LEITARTIKEL

Digitalwährung krass konkret

Schade, dass führende Zentralbanker derzeit keine Gelegenheit zu persönlichen Treffen auf einschlägigen Konferenzen haben. Es gäbe Anlass genug, bei Kamingesprächen die Köpfe zusammenzustecken und über Perspektiven und Probleme von digitalen...

Digitalwährung krass konkret

Schade, dass führende Zentralbanker derzeit keine Gelegenheit zu persönlichen Treffen auf einschlägigen Konferenzen haben. Es gäbe Anlass genug, bei Kamingesprächen die Köpfe zusammenzustecken und über Perspektiven und Probleme von digitalen Währungen vertraulich zu tuscheln. Christine Lagarde, Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), hat sich kürzlich auf einer virtuellen Konferenz zuversichtlich zu Cybermoney-Plänen geäußert und die Vermutung ausgesprochen, dass Europa auf eine Digitalwährung zusteuert. Bis zum Start eines solchen Projekts könnte es aber noch zwei bis vier Jahre dauern. Bei ihren Kollegen der People’s Bank of China (PBOC) wird man sich ein breites Grinsen sicherlich nicht verkneifen können. Für China nämlich ist eine Digitalwährung kein vages Zukunftsprojekt, sondern ein krass-konkretes Gegenwartsthema.Chinas Zentralbank hockt schon in den Startlöchern. Im Herbst wurde ein erster Feldversuch gestartet – passenderweise in der Tech-Metropole Shenzhen. Einer Gruppe von 50 000 freudigen Versuchskaninchen wurde auf ihren Smartphones eine neue elektronische Geldbörsenapp eingerichtet und mit einem Gutschein von 200 Yuan (etwa 25 Euro) aufgeladen. Damit durften sie sich in ihrer Cybernachbarschaft bei einer Gruppe von angeschlossenen Händlern kleinere Einkäufe oder eine Tankfüllung Benzin gönnen. Allem Anschein nach sind die Tests positiv ausgefallen. Das Pilotprojekt wird nun auf eine Reihe anderer Städte ausgedehnt. Einer landesweiten Einführung des chinesischen Digitalgeldes steht damit wenig im Wege.Chinas Staatsmedien jubeln bereits über eine unangefochtene Pole-Position in Sachen Digitalwährung. Es ist Peking gerade in Zeiten eines erbitterten Technologiestreits mit den USA eine besondere Genugtuung zu demonstrieren, dass das Zahlungsmedium der Zukunft nicht dem Dollarraum entsprungen ist. So kann die Idee einer langfristigen Ablösung der Dollarherrschaft zumindest auf Cyberebene angegangen werden. Hier geht es freilich in erster Linie erst einmal um positive patriotische Stimmungsmache. Bei der Frage, was die konkreten Vorteile einer digitalen Währung in einem wie auch immer gearteten globalen Währungsvorherrschaftsrennen sein könnten, tut sich allerdings eine gewisse Leere auf.Derzeit ist nicht erkennbar, warum der Yuan als Reservewährung von Zentralbanken, Anlagewährung für globale Investoren und Handelswährung für Wirtschaftspartner dadurch an Attraktivität gewinnt, dass chinesische Verbraucher eine weitere Alternative zu Papiergeld zur Verfügung gestellt bekommen. Schließlich sind die Konsumenten für alle erdenklichen Alltagsbesorgungen größtenteils schon mit den Smartphone-Apps Alipay und Wechat unterwegs.Bei der PBOC sieht man das sicherlich anders. Für sie und nicht zuletzt die Parteiführung liegt der Charme des digitalen Geldes in neuen Möglichkeiten einer Totalerfassung von Zahlungsverkehrsbewegungen auf nicht manipulierbarer Blockchain-Basis, und zwar im Rahmen eines Real-Time-Monitoring. Der PBOC winkt ein statistisch noch vollkommenerer Überblick über Finanzierungsströme und Geldmengenentwicklung. Der Traum vom völlig gläsernen Wirtschaftssubjekt in der Bandbreite vom Kleinanleger bis zum Großunternehmen und die damit verbundene zusätzliche Überwachung von Zahlungsströmen ist in einem stets von latenten verdeckten Kapitalabflüssen geprägten Land in jedem Fall ein Kontrollgewinn. Für die Big-Data-Überwachung eines jeden einzelnen Einwohners, die bereits in Form sogenannter Sozialprofile Gestalt annimmt, schließt sich mit der technischen Nachvollziehungsmöglichkeit aller Zahlungstransaktionen eine weitere Lücke.Für China ist es damit keine Frage, dass es sich lohnt, unbegrenzte Ressourcen in ein Digitalwährungsprojekt zu stecken. In anderen Ländern wird man der PBOC sicherlich neugierig über die Schulter schauen, um neue Erkenntnisse aus konkreten Anwendungen von zentralbanküberwachtem Digitalgeld zu ziehen. Das mag dazu beitragen, technologische Aspekte zu glätten. In vielerlei Hinsicht jedoch ist Chinas Erfahrungsschatz in westlichen Augen nicht sonderlich viel wert. Der gläserne Bürger ist im westlichen Demokratieverständnis nun einmal kein Ideal. Es gibt sicherlich Effizienteres, als mit schrumpeligen Scheinchen an der Ladenkasse zu hantieren, aber die Grundvorstellung, dass Staaten und Zentralbanken nicht alles wissen müssen, was wer wo mit seinem Geld alles anstellt, ist Anlass genug für Skepsis gegenüber einer Big-Data-Währungsüberwachung. ——Von Norbert HellmannChina hat einen Mordsvorsprung bei der Digitalwährung. Das ist zwar schön für Staat und PBOC, hilft aber wenig, die globale Rolle des Yuan zu stärken. ——