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DIN-Norm soll Dilemma der Finanzberatung entschärfen

Von Jan Schrader, Frankfurt Börsen-Zeitung, 22.3.2017 Gerade zwei Wochen ist es her, da forderten die Verbraucherzentralen einen Ausstieg aus der provisionsbasierten Beratung - wieder einmal. Die Fehlanreize in der Finanzberatung seien "Ursprung...

DIN-Norm soll Dilemma der Finanzberatung entschärfen

Von Jan Schrader, FrankfurtGerade zwei Wochen ist es her, da forderten die Verbraucherzentralen einen Ausstieg aus der provisionsbasierten Beratung – wieder einmal. Die Fehlanreize in der Finanzberatung seien “Ursprung allen Übels”, wie der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) bekräftigte. Doch wenn der Gesetzgeber die verbreitete Praxis einschränke oder gar verbiete, gefährde er zugleich die Beratung in der Fläche, hält die Branche oft dagegen. Seit Jahren flammt die Diskussion immer wieder auf. Fehlanreiz oder mangelnde Verbreitung lautet der Zielkonflikt.Eine neuer Industriestandard soll dieses Dilemma zumindest teilweise entschärften: Am Deutschen Institut für Normung (DIN) arbeiten derzeit Vertreter aus Industrie und Verbraucherschutz an einem Standard, der die Erfassung der Kundenbedürfnisse vereinheitlichen soll. So soll erreicht werden, dass der Berater die Situation der Kunden richtig deutet und passende Produkte empfehlen kann. Die geplante Norm wäre unabhängig vom Vertriebsmodell anwendbar und stellt die Provisionsberatung nicht in Frage. Seit 2014 sitzen Vertreter der Deutschen Bank und Commerzbank, Allianz und Zurich, der Vermittler OVB und Formaxx sowie der Stiftung Warentest, des Bundesjustizministeriums und auch der Verbraucherzentralen neben anderen an einem Tisch.War die Verständigung in dem 40-köpfigen Gremium am Anfang noch holprig, so laufen die Gespräche mittlerweile in geordneten Bahnen, wie Teilnehmer berichten. Geht alles nach Plan, könnte bereits bis Sommer ein Normentwurf zur Diskussion veröffentlicht werden, wie das DIN-Institut mitteilt. Für Stellungnahmen bleiben in der Regel vier Monate Zeit, bis Anfang 2018 schließlich soll die Norm veröffentlicht werden. Das Dokument wäre für die Finanzbranche nicht bindend, doch hätte es durch die vorherige Abstimmung Gewicht. Allerdings fehlen auch einige wichtige Branchenvertreter, denn weder der Sparkassenverband DSGV noch der BVR als Sprachrohr der Kreditgenossen sind in dem Gremium präsent. “Ganz viel Individualität”Die Norm soll eine solide Beratung “für alle Bevölkerungsschichten” ermöglichen und zugleich vor “britischen Verhältnissen” schützen, also vor einer weitgehenden Einschränkung der Beratung für die Masse der Kunden, sagt Klaus Möller, Geschäftsführer und Gesellschafter der Firma Defino Institut für Finanznorm. Die 2011 gegründete Gesellschaft, deren erklärter Zweck die Standardisierung der Finanzberatung ist, hat über das DIN-Institut bereits eine Spezifikation als Vorstufe für ein allgemeines Regelwerk angeschoben (siehe Kasten). Die Norm soll nun darauf aufbauen.Möller, der beim Finanzvertrieb MLP bis 2004 in diversen Positionen Karriere gemacht hat und dort auch Personalchef war, vergleicht die geplante Norm mit den Verfahren eines Arztes, der nach anerkannter Methodik ein Blutbild ermittle. Die Diagnose sei einheitlich. “Die Lösung aus einer Analyse wird man jedoch nie standardisieren können”, sagt er. “Da ist ganz viel Individualität drin.”Da die Branche die Norm abwarte, nutzten nur wenige Gesellschaften die bereits existierende Spezifikation – neben dem Finanzvertrieb Formaxx und dem Versicherer VPV zählt etwa die Volksbank Emmerich-Rees dazu. Das Institut, das ebenfalls in dem DIN-Gremium vertreten ist, zeigt sich auf Nachfrage zuversichtlich: Die Beratung sei zwar auch im Breitengeschäft zeitaufwendig, doch führe die Analyse zu mehr Produktabschlüssen und verhindere eine einseitige Beratung, schreibt die Bank. Aus Sicht der Befürworter der Norm können die Regeln das Vertrauen der Kunden in die Anbieter stärken. “Für die Finanzbranche kann die DIN-Norm ein Mittel sein, um ihr schlechtes Image zu verbessern”, sagt Holger Rohde, wissenschaftlicher Leiter für Versicherung und Recht der Stiftung Warentest.Details der Norm stehen aus, doch dürfte das Grundgerüst der Spezifikation erhalten bleiben: Priorität haben Grundbedürfnisse, ehe die Erhaltung und schließlich die Verbesserung des Lebensstandards folgen. So könnte ein Berater einer Versicherung zum Beispiel zunächst eine private Haftpflicht und eine jeweils rudimentäre Deckung durch eine Berufsunfähigkeits- und eine private Rentenversicherung empfehlen, ehe später zum Beispiel eine höhere Deckung der beiden Versicherungen und weitere Produkte folgen. Bisher oft vermittelte, aber nicht unbedingt notwendige Policen wie etwa Unfall- und Gepäckversicherungen stünden dann hintenan. Investmentfonds könnten womöglich als Form der Altersvorsorge zum Einsatz kommen, oder aber in dritter Stufe zum Vermögensaufbau. Noch ist offen, welche Rangfolge sich etablieren wird – wenn überhaupt eine große Anzahl an Anbietern das Vorhaben mitträgt. Knackpunkt ProduktauswahlDenn Beratungsstandards sind schon formuliert worden, und die Erfassung des Kundenstatus funktioniert im provisionsbasierten Vertrieb – Fehlanreiz hin, Fehlanreiz her – schon recht gut, wie eine Untersuchung der Stiftung Warentest von Beratungsgesprächen in Banken nahelegt. Demnach hapert es aber oft an der Auswahl passender Produkte. Wie weit der Standard die Empfehlungen der Berater angleichen soll und wird, ist somit der Knackpunkt. Die Produktauswahl soll Sache der Berater sein, und doch sollen die Regeln eine Richtung skizzieren, damit die Kunden passende Instrumente erhalten. Nur wenn sich diese Ziele vereinbaren lassen, kann sich die Norm bewähren.