Doktor Ma und sein Regulierungsrezept

Von Norbert Hellmann, Schanghai Börsen-Zeitung, 30.10.2020 Jack Ma, Gründer und Chefkontrolleur des gigantischen chinesischen Fintech-Players Ant Group, scheint derzeit alles im Griff zu haben. Der diese Woche auf die Schienen gestellte weltgrößte...

Doktor Ma und sein Regulierungsrezept

Von Norbert Hellmann, SchanghaiJack Ma, Gründer und Chefkontrolleur des gigantischen chinesischen Fintech-Players Ant Group, scheint derzeit alles im Griff zu haben. Der diese Woche auf die Schienen gestellte weltgrößte Börsengang läuft wie am Schnürchen, die institutionellen Anleger balgen sich förmlich um eine Zeichnungsschnitte bei der Emission und niemand äußert Zweifel, dass der Handelsstart der Ant-Aktie in der kommenden Woche imposante Kursgewinne mit sich bringen wird.Die Finanzregulierung und insbesondere das Baseler Regelwerk zur Risikokontrolle und Eigenkapitalvorhaltung im Bankengewerbe sind nicht sonderlich griffige Themen, aber auch hier scheint der Tausendsassa-Tech-Entrepreneur Hand anlegen zu wollen. Auf einem Finanzforum unmittelbar vor der Preisfestsetzung der Ant-Offerte stand Ma zwangsläufig im Mittelpunkt – und nutzte die Gelegenheit, um einmal eine ordentliche Breitseite gegen die seiner Ansicht nach völlig verstaubte Kaste der Finanzregulierer abzufeuern.Hat Ma etwa Chinas Finanzaufseher im Visier? Gott behüte, nein! Selbst für eine Unternehmerlegende wie ihn wäre es äußerst unklug, an heimischer Front auszuteilen. Und zwar nicht nur, weil es grundsätzlich gefährlich ist, sich mit dem chinesischen Staatsapparat anzulegen. Vielmehr muss er befürchten, dass Ant als Finanzinstitut, das es auf eine höhere Marktbewertung als der heimische Bankenprimus ICBC und das weltweit wertvollste Geldhaus J.P. Morgan Chase bringen wird, nicht länger als harmloses Start-up angesehen wird, das unter dem Radar der Finanzüberwachung hindurchfliegt. Aber der Reihe nach.Auf dem “Bund Summit Kongress” in Schanghai warf Ma die Frage in die staunende Runde, ob die tradierte internationale Finanzregulierung à la Basel in China überhaupt angewendet werden sollte. Er hält sie nämlich für eine Art Erstickungstuch, mit dem der ultradynamischen chinesische Finanzszene der Atem genommen zu werden droht. Dabei hat Ma natürlich in erster Linie das eigene Unternehmen im Blick, das es mit dem atomisierten Mikrokreditgeschäft für chinesische Verbraucher auf ein gewaltiges Volumen bringt und nebenbei auch noch über eine Restguthabenanlage beim Bezahlsystem Alipay den tatsächlich weltgrößten Geldmarktfonds unterhält.Ma zufolge zielen die auch von Pekinger Regulatoren mit Eifer verfolgten Bemühungen zur Vermeidung von systemischen Finanzrisiken voll und ganz an seiner Tech-Bude vorbei. Schließlich verfolgen deren clevere Algorithmen eine ganz andere Herangehensweise an die Bonitätsprüfung von Kreditnehmer, als die tradierten Risikoprüfmechanismen der Banken. Darf dies allerdings zu einem regulatorischen Blankoscheck gereichen?Ma jedenfalls ist der Meinung, dass das Basler Regelwerk mit seinen Eigenkapitalunterlegungspflichten nicht die richtige Medizin für den chinesischen Finanzsektor sein kann. Daher fordert er die heimischen Regulatoren dazu auf, einen eigenen Weg einzuschlagen, der zur Unterfütterung des Wirtschaftswachstums durch den Kreditsegen von flotten Finanz-Apps und Bezahlsysteme wie Alipay dient.Der Baseler Akkord wird, so die Überzeugung des Managers, von einem “Altherrenclub” regiert und dient in erster Linie dazu, die Mängel und Krankheiten eines vor sich hin alternden Bankensystems zu behandeln. Entsprechend solle Basel bitteschön nicht bei dem dank Fintech-Playern wie Ant noch juvenilen chinesische Finanzsystem zur Anwendung kommen.Mit einem weiteren bildlichen Vergleich kritisierte Ma auch die heimischen Bankenriesen als Pfandhausveranstaltungen, die ihr Kreditgeschäft durch die sperrige Hinterlegung von Sicherheiten abfedern müssten. Dieses Bild kontrastierte der Ant-Gründer mit seiner schönen Innovationsfantasie von Kreditvergabeentscheidungen, die ausschließlich auf Bonitätschecks auf der Grundlage von Big-Data-Anwendung basieren. “Innovation kommt immer mit Risiken daher. Das größte Risiko ist eigentlich aber, dass man Risiken auf null herunterzuschrauben versucht”, sinniert Ma weiter.Nun, solche visionären Denkanstöße mag der Finanzsektor zwar gut gebrauchen können. Gleichwohl darf man die Frage stellen, ob die Innovationsausrede reicht, um das von Ant betriebene Darlehenssystem aus der Kontrollsystematik herausfallen sollte, obwohl es sich bislang noch nicht über einen kompletten Konjunktur- und Kreditrisikozyklus bewährt hat.Schließlich haben auch Ants Geschäfte mit sogenannten Externalitäten zu tun, da nun einmal Fremdgelder von Kunden verwaltet werden. Im Kern geht es bei Finanzregulierung darum, Risiken kontrollierbar zu halten. Das heißt auch, dafür zu sorgen, dass ein Turbowachstum von Instituten wie Ant nicht zum Risikofaktor für das gesamte Finanzsystem wird, auch wenn ein Start-up-Gründer davon nichts wissen will.Ohne effektive Regulierung können Fintech-Entrepreneure Innovationsvorteile für sich allein genießen und verborgene Risiken in der breiteren Gesellschaft abladen, lautet der weise Warnruf von Ökonomen. So gesehen grenzt Jack Mas Patentrezept an Quacksalberei, die den Doktor reich macht, aber den Patienten vernachlässigt. Und noch in einer anderen Hinsicht kann man über das Timing der Brandrede ein wenig die Stirn runzeln. Wenn ein Kreditinstitut den weltgrößten Börsengang stemmt und dabei fast 35 Mrd. Dollar einsammelt, ist kaum Mitleid dafür vonnöten, dass nicht alle Mittel in das weitere Turbowachstum mit Konsumfinanzierungen gesteckt werden kann. Ein klein wenig Eigenkapital zur Risikoabdeckung abzuzweigen, kann gar nicht schaden. Genügend Moos ist allemal vorhanden.——Fintech-Gründer Ma hält die Baseler Regulierung für eine ungeeignete Arznei für Chinas juvenilen Finanzsektor. ——