GASTBEITRAG

Durchschauprinzip bindet viele Kräfte

Börsen-Zeitung, 18.1.2019 In der Kapitalanlage der deutschen Lebensversicherer verfestigt sich seit einigen Jahren ein Trend: Statt direkt Aktien oder Anleihen zu erwerben, setzen die Unternehmen immer stärker auf eine indirekte Kapitalanlage mit...

Durchschauprinzip bindet viele Kräfte

In der Kapitalanlage der deutschen Lebensversicherer verfestigt sich seit einigen Jahren ein Trend: Statt direkt Aktien oder Anleihen zu erwerben, setzen die Unternehmen immer stärker auf eine indirekte Kapitalanlage mit Hilfe von Fonds. Hier spielen vor allem an die eigenen Anlagebedürfnisse angepasste Spezialfonds (alternative Investmentfonds) eine große Rolle. Von den rund 170 Mrd. Euro, die die Lebensversicherer jährlich neu anlegen, entfallen inzwischen rund 75 Mrd. Euro auf Investmentfonds. Insgesamt machen Investmentfonds rund ein Drittel der Kapitalanlagen deutscher Versicherer aus.Fonds sind eine gute Möglichkeit, das Risiko im Portfolio breit zu streuen. Zugleich können sich die Versicherer so leicht neue Anlagefelder erschließen – ein Aspekt, der angesichts der historisch herausfordernden Marktbedingungen mit extrem niedrigen Zinsen wichtiger geworden ist. Zugleich stellen Fondsanlagen die Versicherer aber vor besondere Herausforderungen. Denn mit dem seit 2016 geltenden europäischen Aufsichtsregime Solvency II unterliegen sie dem sogenannten Look-Through-Ansatz. Dieser erfordert eine detaillierte Durchschau durch die “Fondshülle” auf die einzelnen darin enthaltenen Vermögenswerte. Zweischneidiges SchwertDem risiko- und prinzipienbasierten Ansatz von Solvency II entsprechend, durchzieht das Durchschauprinzip alle drei Säulen des Regelwerks: die Solvenzkapitalanforderungen (SCR), die Governance-Anforderungen und das Berichtswesen. Für die Kapitalanforderungen bedeutet das konkret: SCR sind auf Basis jedes einzelnen Fondstitels zu berechnen, um alle Risiken zu erfassen. Sofern Fonds noch Anteile an anderen Fonds halten, sind auch deren Vermögensgegenstände einzeln mit einzubeziehen. Für die Versicherer ist der Look-Through-Ansatz ein zweischneidiges Schwert. Einerseits haben sie ein großes Interesse an vollständiger Transparenz, zumal eine unvollständige Darstellung ihrer indirekten Vermögenswerte in der Regel höhere Eigenmittelanforderungen zur Folge hat. Außerdem stellt das Prinzip sicher, dass indirekte und direkte Anlagen gleich behandelt werden.Nach drei Jahren Praxiserfahrungen mit Solvency II zeigt sich andererseits aber auch, dass der Aufwand für die Umsetzung des Durchschauprinzips teilweise unverhältnismäßig hoch ist, bei den Unternehmen viele Ressourcen bindet und erhebliche Kosten verursacht. Zudem sind die erforderlichen Daten mitunter schwer oder teilweise auch gar nicht zu bekommen.Denn im Unterschied zur Direktanlage liegt die Administration der Assets nicht beim Versicherer, sondern bei der Kapitalverwaltungsgesellschaft (KVG), die den Fonds aufgelegt hat. Von ihr oder gegebenenfalls ihren externen Dienstleistern müssen die Versicherer die benötigten Informationen einholen. Dazu definieren sie ihre Anforderungen und sind dann darauf angewiesen, dass die KVG die benötigten Daten und Kennzahlen zeitgerecht zur Verfügung stellt. Unproblematisch gestaltet sich dies dann, wenn die KVG Teil des Versicherungskonzerns ist. Bei externen KVG kann das schon einmal schwieriger sein.Zwar hat sich auch deren Bereitschaft, Fondsdaten mit institutionellen Anlegern auszutauschen, seit Inkrafttreten von Solvency II erhöht. Und auch die Qualität und die Aktualität der gelieferten Fondsdaten sind besser geworden, wozu wesentlich das unter Beteiligung der Kapitalanleger aus der Versicherungswirtschaft entstandene EU-Fondsdatenblatt (Tripartite Template) beigetragen hat. In der Praxis stoßen die Versicherer bei der Umsetzung des Look-Through-Ansatzes dennoch an Grenzen.Schwierigkeiten bereitet vor allem die Analyse von Dachfonds, deren Zielfonds nicht von der gleichen KVG administriert werden wie der Dachfonds selbst. Die KVG sind in diesen Fällen selbst auf Zulieferungen ihrer Mitbewerber angewiesen. Auf Ebene der Zielfonds kann dies – insbesondere bei Beteiligung außereuropäischer Fondsmanager – Auswirkungen auf die Aktualität und die Qualität der Daten haben, sofern überhaupt welche zur Verfügung gestellt werden. Dass das Durchschauprinzip nicht bei allen Fonds verwirklicht werden kann und der Umsetzungsaufwand teilweise unverhältnismäßig hoch ist, wird unter Solvency II bis dato nicht ausreichend berücksichtigt. Erfreulich ist daher, dass die EU-Kommission im Rahmen der laufenden Solvency-II-Review im November 2018 Vorschläge vorgelegt hat, wie die SCR-Bestimmung bei Fondsinvestments vereinfacht werden kann. Wenn eine Fondsdurchschau nicht möglich ist, soll es Versicherern unter engen Voraussetzungen zukünftig erlaubt sein, die Kapitalanforderung auf Grundlage der zuletzt gemeldeten Vermögensallokation zu bestimmen. Dies ist ein richtiger Ansatz.Es bestehen jedoch Schwierigkeiten bei der Fondsdurchschau in gleicher Weise, wenn es um die Erfüllung der Meldepflichten geht. Hier sind Anpassungen ebenfalls dringend erforderlich. Der EU-Kommission ist es trotz wiederholter Änderung der Anforderungen seit 2016 nicht gelungen, diese praktikabel zu gestalten und notwendige Erleichterungen zu implementieren. Dieses von ihr ausdrücklich verfolgte Ziel hat die EU-Kommission durch immer komplexere Regelungen sogar deutlich verfehlt. Die jüngst im Dezember 2018 erlassene Durchführungsverordnung (EU) 2018/1843, mit der die Meldeformulare für die Übermittlung der quantitativen Berichtspflichten (QRT S.06.03) geändert wurden, dürfte den Aufwand abermals erhöhen.Eine detaillierte und zeitgerechte Berichterstattung ist unbestritten wichtig, um eine risikobasierte Aufsicht sicherzustellen. Wenn aber bestimmte Risiken keine signifikanten Auswirkungen haben und der administrative Mehraufwand gleichzeitig hoch ist, sollten – dem Proportionalitätsgedanken folgend – Erleichterungen geschaffen werden. Hier wäre generell seitens Aufsicht und EU-Kommission ein stärkeres Kostenbewusstsein bei der Umsetzung regulatorischer Vorgaben wünschenswert. Eine Möglichkeit wäre, das Look-Through-Prinzip für Meldezwecke nur bei jenen Fonds anzuwenden, die bezogen auf die Gesamtinvestitionen wesentlich sind.Entsprechend sollten Erheblichkeitsschwellen eingeführt werden. So könnte das Look-Through-Erfordernis auf einen wirtschaftlich wesentlichen Teil des Gesamtwertes aller Fonds beschränkt werden. Gestrichen werden sollte ferner die Pflicht zur Fondsdurchsicht bei fondsgebundenen Lebensversicherungen (FLV). Dies wäre eine echte Entlastung für die Unternehmen, ohne dass damit ein relevanter Informationsverlust für die Aufsicht verbunden wäre. Die Assekuranz setzt sich dafür ein, dass die EU-Kommission spätestens im Rahmen der Solvency-II-Review 2020 Anpassungen an den Berichtsanforderungen vornimmt und die Versicherer spürbar entlastet.—-Klaus Wiener, Chefvolkswirt des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft und Sandra Blösser, Leiterin Gruppe Investmentvermögen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft