Ein Amazon für Mieter und Nutzer

Digitale Ökosysteme haben in der Immobilienwirtschaft noch Seltenheitswert - Hamburger Investmentmanager zählt zu den Vorreitern auf diesem Gebiet

Ein Amazon für Mieter und Nutzer

Der aus der Biologie stammende Begriff des Ökosystems wurde zum ersten Mal 1993 von James F. Moore in einem wirtschaftlichen Zusammenhang erwähnt. In einem Artikel für die Harvard Business Review beschrieb der US-Wirtschaftswissenschaftler das sogenannte “Business Ecosystem”, in dem Unternehmen branchenübergreifend kooperieren und sich auf eine gemeinsame Wertschöpfung ausrichten. Digitalisierung hieß damals vor allem die Um-wandlung von analogen Daten in digitale Formate und war kaum ein strategisches Thema. Zur Erinnerung: Das erste iPhone kam erst im Jahr 2007 auf den Markt. Deutlich Fahrt aufgenommenSeitdem hat die digitale Transformation deutlich Fahrt aufgenommen. Und die Corona-Pandemie hat sie noch einmal enorm beschleunigt. Das Ökosystem ist längst digital geworden. Die althergebrachten Geschäftsmodelle werden zunehmend infrage gestellt.Unternehmen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit langfristig erhalten und Wachstum auch abseits des klassischen Kerngeschäfts erzielen wollen, setzen auf digitale Ökosysteme. Als eines ihrer wesentlichen Merkmale gilt das Plattformprinzip, wie man es von Internetriesen wie Amazon und Alibaba kennt: Auf einer Plattform werden Produkte und Dienstleistungen unterschiedlicher Anbieter gebündelt. Aber nicht nur im Einzelhandel hat das digitale Ökosystem bereits Einzug gehalten, auch in der Fahrzeugbranche sind immer mehr Gerätefunktionen miteinander gekoppelt: Autobauer werden zu digitalen Mobilitätsdienstleistern.Das wirtschaftliche Potenzial ist immens, glaubt man einer Studie der Unternehmensberatung Accenture Strategy aus dem Jahr 2018. In den kommenden zehn Jahren dürften Ökosysteme weltweit 87 Bill. Euro an Wertschöpfung für Unternehmen und Gesellschaft freisetzen, heißt es dort. Diese Zahl ist zwar schwer zu verifizieren, fest steht aber: Ökosysteme sind ein wichtiger Treiber für Umsatzwachstum in einer digitalen Welt. Anforderungen ändern sichAuch für Immobilienunternehmen bietet die Kooperation mit unterschiedlichen Akteuren auf einer gemeinsamen Plattform enorme Chancen. Ihre tradierten Geschäftsmodelle werden durch digitale Ansätze wenn nicht komplett ersetzt, so doch zumindest ergänzt. Daran führt kein Weg vorbei. Die Anforderungen der jungen Generation an ihre Wohn- und Arbeitsräume ändern sich grundlegend, und auch der Klimawandel und die damit einhergehende zunehmende Regulierung fordern die Branche heraus.Es ist darum unabdingbar, “out of the box” zu denken und für Partnerschaften offen zu sein. Denn nur so können bessere und zukunftsfähige Lösungen für die Anforderungen der Nutzer und Mieter entwickelt und bereitgestellt werden. Ob es Mobilität, Sicherheit oder Energiemanagement betrifft – die Immobilienwirtschaft braucht den Schulterschluss mit anderen Indus-trien. Das digitale Ökosystem schafft genau diese Verbindungen. Und nicht zuletzt eröffnet die Plattform-Ökonomie auch in der Immobilienwirtschaft Potenziale für zusätzliche Erlösquellen, etwa durch gemeinsame Dienstleistungen oder auch Services für die im Ökosystem involvier-ten Partner.Dennoch haben die digitalen Gemeinschaften nach wie vor Seltenheitswert in der Branche. Union Investment zählt hier zu den Vorreitern. Bereits 2018 startete der Hamburger Investmentmanager sein eigenes Pilotprojekt zum Thema “Digitales Ökosystem”, das im November 2019 die Vorstudie erfolgreich abschloss und im laufenden Jahr erste konkrete Anwendungen realisieren wird. Am 31. März dieses Jahres wurde dafür eigens die Union Investment Real Estate Digital GmbH gegründet. Der Auftrag: Eine Plattform entwickeln, die den Lebensalltag von Gebäudenutzern – in den Fondsobjekten von Union Investment und in Gebäuden Dritter – verbessert, darüber hinaus auch deutliche Mehrwerte für Mieter, Dienstleister und Partner schafft und den Weg zu smarten, intelligenten Immobilien ebnet.Die Leitlinie für dieses Geschäftsmodell war und ist, konsequent aus der Sicht des Kunden zu denken. Einfacher, effizienter und lebenswerter – mit dieser Formel lässt sich der Kundennutzen des digitalen Ökosystems am besten umreißen. Für Union Investment bedeutet das Konzept neben der Unterstützung der Immobilienwertschöpfungskette auch eine perspektivisch geringere Abhängigkeit von Dritten entlang der zunehmend an Relevanz gewinnenden Kundenschnittstellen. Digitales Mieter-ÖkosystemIn der zweiten Hälfte dieses Jahres ist Union Investment mit einem digitalen Mieter-Ökosystem gestartet. Mit rund 400 Büroimmobilien im Portfolio und einer Gesamtzahl von etwa 9 000 Mietern und 125 000 Nutzern liegt es nahe, dass dies zunächst eine Dienstleistungsplattform für Büroobjekte ist. Die erste konkrete Anwendung, die auf der Plattform umgesetzt wird: eine Parkraum-App für den Hamburger Bürokomplex Emporio. Sie macht das Thema Parken digital zugänglich. Dies fördert nicht nur den Komfort. Die drei Parkdecks können viel effizienter genutzt werden und dies mit deutlich weniger Aufwand. So muss der Besucher künftig beispielsweise nicht erst klingeln, ein Parkticket ziehen und um Einlass bitten. Er registriert einfach sein Nummernschild in der App und kann einparken. Dies ermöglicht unter anderem ein kamerabasiertes Einfahrtssystem. Die Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit werden dabei natürlich vollumfänglich berücksichtigt. Bis Ende März kommenden Jahres werden noch ein weiteres Hamburger Objekt und eines in Stuttgart mit dem System ausgerüstet. Parken ist nur die erste StufeDie Idee des Mieter-Ökosystems geht jedoch weit über das Parken hinaus. Im Vordergrund steht, eine digitale Gemeinschaft zu schaffen, von der Mieter und Nutzer gleichermaßen profitieren. Auf der Plattform sollen sich sämtliche Akteure im und um das jeweilige Gebäude wiederfinden – Mieter, Nutzer, Dienstleister aus Gastronomie, Mobilität, Bewirtschaftung oder aber Lieferanten. So können beispielsweise auch Mitteilungen des Vermieters empfangen werden, etwa wie in Zeiten von Corona die Aufzüge zu benutzen sind – mit Maske oder ohne. Oder es wird eine digitale Kantine eingerichtet, in der hinterlegt ist, wann, welcher Foodtruck kommt und welche Restaurants in der Nähe Essen liefern.Ab 2021 soll das Mieter-Ökosystem sukzessive um weitere Features ergänzt werden. Die Immobilie wird dabei zunehmend mobil, indem beispielsweise auch Personen aus der Umgebung die Parkplätze über die Plattform buchen können. Aber auch dabei wird es nicht bleiben. Unter anderem über Sensoren und die Vernetzung der unterschiedlichen Facilities im Gebäude sollen gebäude- und nutzungsspezifische Daten intelligent miteinander verzahnt werden, um auf dieser Basis nutzerorientierte Bedürfnisse bestmöglich befriedigen und weitere clevere Services im Sinne eines Smart Buildings anbieten zu können. Gleichzeitig unterstützen die gesammelten Daten auch das Energiemonitoring und -management der Gebäude und liefern so einen wichtigen Beitrag auf dem Weg hin zu mehr Nachhaltigkeit. Vorstudien weisen den WegDie Vorstudien und Pilotprojekte im Hamburger Hotel- und Bürokomplex Emporio sowie im Düsseldorfer Büroviertel Seestern haben gezeigt, dass digitale Plattformen in einem urbanen Mikrokosmos besonders erfolgversprechend sind. Hier bewegen sich zahlreiche Akteure wie Mieter, Property und Facility Manager, aber auch Handwerker, Paketzusteller, Lieferanten und andere Dienstleister. Die logische Folgerung: Die Erweiterung des digitalen Ökosystems auf ganze Quartiere. Als Orte urbaner Dichte und des sozialen Miteinanders mit starker eigener Identität und einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure und Nutzungen sind sie prädestiniert für Vernetzung und Kooperationen – und damit auch für die kompletten Lösungen, die ein digitales Ökosystem liefert.Noch ist die Digitalisierung von Stadtquartieren hierzulande nicht besonders weit entwickelt. Doch die großen und komplexen Fragestellungen, die letztlich darüber entscheiden, wie hoch die Mieterzufriedenheit ist und ob sich in einem Quartier eine Community herausbildet, können durch Vernetzung am besten gelöst werden. Verstehen, Verbinden, Integrieren – das ist das Motto, wenn es um die Umsetzung digitaler Ökosysteme geht, ob auf der Mikroebene des einzelnen Gebäudes oder im Rahmen eines kompletten Quartiers. Jens Wilhelm, Aufsichtsratsvorsitzender der Union Investment Real Estate GmbH