Ein Finanzplatz wird Aufsichtsplatz
Vor 13 Jahren noch im Rausch der Neuer-Markt-Euphorie, blasen die Banken in Frankfurt heute Trübsal wegen schwächelnder Erträge und neuer Regulierung. Am Finanzplatz aber dürften die Perspektiven besser sein als die Stimmung.Von Bernd Neubacher, Frankfurt Waren das Zeiten im Frankfurt der Jahrtausendwende: Die Gontard & Metallbank war noch nicht von der Finanzaufsicht geschlossen worden und brachte als Shootingstar unter den Emissionshäusern ein Unternehmen nach dem anderen auf den Neuen Markt. Einige der dort notierten Werte hatten vielleicht nicht allzu viel Grundkapital, dafür aber mehr Marktkapitalisierung als große Industriekonzerne – EM.TV war vorübergehend schwerer als Lufthansa oder MAN. Und der zum Ende 1997 auf 1 000 Punkte zurückgerechnete Aktienindex Nemax 50 erklomm bis März 2000 das Hoch von 9 666 Punkten. Die Akteure am Finanzplatz schwebten auf Wolke sieben, vereint im Glauben an Wachstum ohne Inflation und Wohlstand ohne Ende dank Technologie, Medien und Telekommunikation – “TMT” im damaligen Börsen-Jargon.13 Jahre später ist der Finanzplatz sehr hart gelandet. Der Nemax 50 war schon 2003 um über 96 % abgestürzt, woraufhin die Deutsche Börse ihn dichtmachte. Heute ist man zudem um die Erfahrung einer Finanz- und Schuldenkrise im Westen der Welt reicher. Die Schäden sind unübersehbar.Der Neue Markt hat den deutschen Privatanlegern dauerhaft die Aktienanlage vergällt. Die Folgen der jüngsten Verheerungen sind noch nicht vollständig zu überblicken, dürften aber gewaltig sein. Am Neuen Markt war schließlich nur Eigenkapital verjubelt worden. Die seit 2008 grassierende Krise dagegen fraß sich auf dem Fremdkapitalkanal durch die Bilanzen der Banken bis in die Staatshaushalte und die Notenbank hinein. Ungleich länger dürfte es dauern, sie auszustehen.Frankfurts Finanzbranche sieht schon jetzt recht mitgenommen aus. Hatte zu Neuer-Markt-Zeiten jede Bank, die auf sich hielt, eine eigene Equity-Capital-Markets-Abteilung unterhalten, um Unternehmen an die Börse zu bringen, setzen die Institute Investmentbanker derzeit in Scharen auf die Straße. Die Dresdner Bank ist verschwunden, die Commerzbank teilverstaatlicht und die Deutsche Bank hat unterdessen die Sparhosen angezogen und schrumpft. Bei der Deutschen Börse wiederum geht es nach mehreren gescheiterten Fusionsversuchen längst nicht mehr um Wachstum, sondern um Kostenoptimierung. Frankfurt 2013 – das ist eine andere Welt als 2000.Und trotz alledem: Die Lage ist vermutlich ein bisschen besser als das Sentiment. Dies legen zumindest Daten des Hessischen Statistischen Landesamts nahe. Demnach verdienten im Bundesland Ende Juni 2010 insgesamt 137 645 Leute ihre Brötchen mit Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, davon 72 775 in der Stadt Frankfurt. Elf Jahre zuvor, zur Blütezeit der sogenannten New Economy, zählte das Amt bei anderer Abgrenzung des Kredit- und Versicherungsgewerbes im Bundesland 139 021 und in Frankfurt 72 640. Krise? Welche Krise?2011 hat die Zahl der hessischen Arbeitsplätze im Bereich der Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, vermutlich entgegen landläufiger Meinung, demnach sogar um 0,6 % zugenommen, nach stärkerem Schrumpfen in den Jahren davor. Bundesweit sank sie um 0,5 % (siehe Grafik).Sicher: Der personelle Kahlschlag in den Banken dürfte erst begonnen haben und noch viele Angestellte den Arbeitsplatz kosten. Die Statistiker gehen davon aus, dass die preisbereinigte Bruttowertschöpfung des Sektors bis Ende 2013 der bundesweiten Entwicklung hinterherhinken wird, auch wenn sie sich dabei knapp über dem Niveau von 2008 halten dürfte, als die Finanzkrise losbrach.Fest steht aber auch: Wenigstens in Teilen wird der abzusehende Abschwung aufgefangen durch eine beispiellose Aufwertung des Finanzplatzes als Aufsichtsplatz. Nicht nur dass sich nach der Europäischen Zentralbank die EU-Versichereraufsicht European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA) am Main angesiedelt hat. Nachdem sich die Londoner EU-Bankenaufsichtsbehörde European Banking Authority (EBA) mit ihren Stresstests überfordert zeigte, haben die EU-Regierungschefs auch die zentrale Bankenaufsicht in Frankfurt bei der EZB angesiedelt.Hinzu kommen nach wie vor rund 300 Kreditinstitute, die Deutsche Börse, der Sitz der Deutschen Bundesbank sowie ein guter Teil der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Mit der KfW Bankengruppe ist am Main überdies eines der wenigen Häuser in der Branche ansässig, die dank ihres Charakters als Förderinstitut infolge der Krise stramm wachsen. Auch für internationale Finanzhäuser ist Frankfurt, entgegen allen Warnungen vor einer Renationalisierung der Branche, zumindest im Jahr 2011 attraktiv geblieben, wie die aktuellsten Angaben der Bundesbank zur Entwicklung des Bankstellennetzes zeigen. Demnach nahmen im vorvergangenen Jahr zwölf Zweigstellen ausländischer Kreditinstitute und Wertpapierhandelsbanken in Frankfurt ihren Betrieb auf, vier machten dicht. Eine andere WeltFrankfurt 2013 ist eine andere Welt als Frankfurt 2000. Aber ist sie so viel schlechter? Die momentane Struktur des Finanzplatzes erscheint in jedem Fall robuster als seinerzeit und eher geeignet, noch 2023 Bestand zu haben. Neuer-Markt-Highflyer wie Fortunecity.com, EM.TV und Mobilcom kommen und gehen wie die entsprechenden Börsensegmente. Eine Behörde aber, die erst einmal eingerichtet ist, wird nicht vergehen, wie nicht zuletzt das Beispiel der EBA zeigt. Die Finanz- und Schuldenkrise ist noch nicht ausgestanden. Nach der Aufwertung zum Aufsichtsplatz aber steht Frankfurt für den Krisenfall diversifizierter da als manch anderer Platz.