Ein guter Unternehmer übergibt das Steuer beizeiten

Nachfolge ist ein komplexer Prozess - Verschiedene Facetten zu beachten

Ein guter Unternehmer übergibt das Steuer beizeiten

Tüftler, Erfinder und mutige Gründer haben den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg zu dem gemacht, was er heute ist: Heimat erfolgreicher Mittelständler und zahlreicher Hidden Champions. Prägend waren starke Unternehmerpersönlichkeiten und traditionsbewusste Unternehmerfamilien. Doch der demografische Wandel erfasst nun auch den Mittelstand: Schätzungen des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) zufolge fallen bis 2018 in Baden-Württemberg rund 19 000 Übergaben an – bundesweit sind es 135 000.Obgleich der Generationswechsel eine der komplexesten Gestaltungsaufgaben im Unternehmen ist, gehen Alteigentümer diesen Prozess oft sehr spät an. Verständlicherweise fällt es vielen schwer, ihr Lebenswerk loszulassen. Umso mehr, wenn sie die Firma gegründet, etabliert und lange geführt haben. Außerdem verändert die Übergabe ihre Lebensumstände gravierend. Darüber hinaus sind nachlassende Gesundheit und Leistungsfähigkeit Themen, mit denen sich die wenigsten gerne auseinandersetzen. Auch die lange währende Rechtsunsicherheit über die Neuregelung der Erbschaftsteuer erschwerte die Nachfolgeplanungen. Thema auf der langen BankIn der Folge schieben viele das Thema auf die lange Bank. Die KfW hat ermittelt, dass mehr als ein Drittel der Inhaber, die sich in den nächsten drei Jahren zurückziehen wollen, noch keine konkreten Pläne haben. Das birgt ein beträchtliches Risiko für Betriebe, Unternehmer und Mitarbeiter. Immerhin vier Millionen Arbeitsplätze hängen vom gelungenen Generationswechsel ab, so die KfW. Studien zeigen auch, dass Eigentümer mit zunehmendem Alter weniger Investitionen tätigen. Das hat Folgen für die Substanz des Unternehmens – und damit für die Attraktivität im Falle eines Verkaufes.In Familienunternehmen erhöht sich die Komplexität der Nachfolgeregelung dadurch, dass der Inhaber verschiedene Rollen ausfüllt – Familienoberhaupt, Firmenlenker, Führungskraft. Folglich muss er verschiedene Szenarien vorbereiten und bestmöglich miteinander vereinbaren: Die private Absicherung und die Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens sollten in Einklang stehen. Ganzheitliche PerspektiveAnders als Unternehmer aus England oder den USA legen deutsche Mittelständler oft alle Eier in einen Korb: Alle Ressourcen – Arbeitskraft, Kapital und Immobilien – sind im Unternehmen gebunden. Darin besteht einerseits eine Stärke des hiesigen Mittelstandes, andererseits ein beträchtliches Klumpenrisiko für den Firmenchef und seine Familienangehörigen. Nachfolgeplanung sollte daher ganzheitlich erfolgen, das heißt private Vermögenswerte einbeziehen und diese vorausschauend strukturieren.Angesichts der heute hohen Lebenserwartung und der gesunkenen Renditen bei Versicherungen sollte der Unternehmer frühzeitig überlegen, welchen Kapitalbedarf er nach seinem Ausscheiden hat und wie er existenzgefährdende Risiken absichert. Viele Inhaber reinvestieren große Teile ihres Vermögens in ihr Lebenswerk – auch in der Erwartung, aus dem Verkauf oder der Übergabe ihren Ruhestand zu finanzieren. Dabei überschätzen sie oft die Zahl der Kaufinteressenten und die Höhe des Verkaufserlöses. Nicht selten weichen die Vorstellungen über den angemessenen Kaufpreis stark ab – auch weil Seniorchefs emotionale Faktoren unbewusst mit einpreisen.Es gilt also mit der Bank zu prüfen, wie die Versorgung fürs Alter gestaltet ist und wie diese mit den Zielen für das Unternehmen in Einklang steht: Ist es sinnvoll, zunächst den Wert des Unternehmens zu steigern? Ist die Versorgung ausfinanziert und aus dem Unternehmen ausgegliedert und dieses somit entlastet? Im privaten Bereich braucht der Unternehmer entsprechende Vollmachten wie eine notariell beurkundete Generalvollmacht oder eine Vorsorgevollmacht, die der Selbstbestimmung im Betreuungsfall dient. Testament früh aufsetzenSchon in jungen Jahren sollte ein Unternehmertestament aufgesetzt werden. Denn eine Erbengemeinschaft ohne flankierende testamentarische Anordnungen bewerten Juristen als kritisch für den Fortbestand der Firma. Bei Errichtung des Testaments müssen eventuelle gesellschaftsvertragliche Regelungen geprüft werden, da diese der testamentarischen Regelung vorgehen. Auch ungewöhnliche Sterbekonstellationen sind zu bedenken: Was passiert, wenn der Erbe zuerst stirbt oder alle Erben bei einem Unfall auf einmal verunglücken? Der Erblasser sollte regelmäßig prüfen, ob das Dokument noch zu seiner aktuellen Lebenssituation passt und seinem Willen entspricht.Außerdem gilt es, die – private wie unternehmerische – Liquiditätssituation kritisch mit der Bank zu durchleuchten. Der Erbfall kann eine sehr hohe Steuerbelastung auslösen. Schon bei der Vermögensverwaltung und den Anlagestrategien ist darauf zu achten, dass ausreichend Liquidität vorhanden ist oder durch den Verkauf von Wertpapieren kurzfristig genügend liquide Mittel geschaffen werden können. Auch Pflichtteilsansprüche der “weichenden” Erben oder die Erfüllung von güterrechtlichen Ausgleichsansprüchen können die Liquidität und damit die Existenz des Unternehmens gefährden. Wechsel rechtzeitig einleitenSpätestens wenn das Ruhestandsalter näherrückt, sollte der Seniorchef Vorsorge für die Zukunft des Unternehmens und seiner Familie treffen. Dazu gehört ebenfalls, neue Ziele und Betätigungsfelder für die Zeit nach seinem Ausstieg zu suchen. Wichtig ist die frühzeitige Planung mit einem Netzwerk von Experten. Je nach Branche ist ein Zeitfenster von fünf bis zehn Jahren sinnvoll. So kann sich der Unternehmer umfassend informieren, Alternativen abwägen und eventuell erforderliche Korrekturen vornehmen.Im Idealfall ist die Nachfolgeregelung ein Teil der Unternehmensstrategie und berücksichtigt die geordnete ebenso wie die ungeplante Übergabe. Ein Viertel aller Übertragungen tritt dem Institut für Mittelstandsforschung zufolge unvorhergesehen ein – nicht nur infolge von Krankheit, Unfall oder Tod, sondern auch durch Scheidung oder Streit in der Inhaberfamilie.Dennoch haben die wenigsten die im Notfall notwendigen Dokumente für eine Vertrauensperson griffbereit hinterlegt, um die reibungslose Fortführung des Betriebs zu ermöglichen. Inhalte eines “Notfallkoffers” sollten sein: Vollmachten, ein Vertretungsplan, Informationen zu Kunden- und Lieferantenstrukturen, eine Dokumentenmappe mit Bankverbindungen, Zugangsdaten sowie ein Testament.Der demografische Wandel erschwert die Suche nach einem geeigneten Nachfolger: Die Zahl derer, die aus Altersgründen übergeben müssen, wächst, während die Zahl der potenziellen Nachfolger sinkt. Für die meisten Unternehmer wäre eine familieninterne Lösung die erste Wahl. Allerdings wollen heute viele Söhne und Töchter eigene Wege gehen. Selbst wenn in der Familie ein geneigter und geeigneter Nachfolger existiert, bleibt die Übergabe ein aufwendiger Prozess – trotz oder gerade wegen der familiären Bindungen.Für Unternehmer, die keinen oder keinen geeigneten Nachfolger finden, ist die Gründung einer Unternehmensstiftung eine Option. Sie bewahrt das Unternehmen in seiner Gesamtheit. Vor der Errichtung sollten aber etwaige Pflichtteilansprüche geklärt werden, da diese die Stiftungslösung gefährden könnten. Neue Aufgabe findenNachfolge ist ein komplexer Prozess, bei dem verschiedene Facetten berücksichtigt werden müssen: rechtliche, organisatorische, finanzielle und nicht zuletzt emotionale. Für die gelungene Übergabe existiert kein Patentrezept: Jeder Fall ist anders, und jeder Firmenlenker setzt andere Schwerpunkte. Entscheidend ist indes die rechtzeitige und ganzheitliche Planung mit einem Netzwerk von Experten – Anwälten, Steuerberatern, Bank und gegebenenfalls externen Moderatoren. Ein guter Unternehmer zu sein, heißt auch, beizeiten das Steuer zu übergeben und für sich selbst eine neue Aufgabe zu finden.—Wolfgang Kuhn, Vorstandssprecher der Südwestbank AG