SERIE: FINANZPLATZ FRANKFURT (21)

"Ein Projekt der vergeudeten Chancen"

Frankfurt könnte zu den großen Profiteuren der europäischen Kapitalmarktunion werden

"Ein Projekt der vergeudeten Chancen"

In Frankfurt wächst der Unmut über die äußerst schleppende Umsetzung der Kapitalmarktunion – einem EU-Projekt, von dem eigentlich auch der heimische Finanzplatz enorm profitieren könnte. Nach Einschätzung von Kritikern gibt es aber eine viel zu geringe politische Unterstützung für diese Union.Von Andreas Heitker, BrüsselDie Kapitalmarktunion gehört seit 2015 zu den Vorzeigeprojekten der aktuellen EU-Kommission. Nach den Jahren der Krise, in denen in Brüssel das Thema Finanzmarktstabilität absolut im Mittelpunkt stand, setzte die Juncker-Administration mit dem Thema Finanzierung einen ganz neuen Akzent. Ziel der Kapitalmarktunion war, die Finanzierungsbedingungen vor allem für kleinere und mittelgroße Unternehmen zu erleichtern, ihnen Alternativen zum Bankkredit zu geben, die grenzüberschreitenden Kapitalmarktangebote zu fördern und den EU-Kapitalmarkt insgesamt breiter aufzustellen und zu entwickeln.Wie richtig die EU-Kommission ihr Schwerpunktthema im Finanzbereich gewählt hatte, zeigte sich dann 2016, als es nach der Brexit-Entscheidung auch darum gehen musste, etwas gegen die Abhängigkeit Europas vom Finanzplatz London zu unternehmen. Der Juncker-Kommission ging es mit ihren Projekten um eine breite Förderung der Kapitalmärkte in möglichst allen EU-Ländern. Aber selbstverständlich hätten auch gerade die Finanzplätze profitiert, die – wie Deutschland und hier speziell Frankfurt – ohnehin schon eine gut entwickelte Infrastruktur vorzuweisen haben. Von der vorgesehenen engeren Verflechtung der Märkte könnten Banken, Versicherungen und Fintechs profitieren.”Es gibt immer noch zu wenig Kapitalmarkt in Deutschland”, stellt etwa Christian Ossig klar. Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung verweist der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Banken (BdB) auf den Nachholbedarf, zum Beispiel im Bereich der Altersvorsorge, beim Thema Verbriefung oder in der Fintech-Branche. “Von der Weiterentwicklung der europäischen Kapitalmarktunion könnte der Finanzplatz Deutschland und hier natürlich speziell auch der Finanzplatz Frankfurt enorm profitieren”, ist sich Ossig sicher. “Einfach nur Desinteresse” Ossig spricht im Konjunktiv. Denn mittlerweile ist auch viel Ernüchterung eingekehrt. Zwar liegt eine ganze Reihe von konkreten Gesetzesvorschlägen auf dem Tisch, aber das Projekt Kapitalmarktunion kommt trotzdem irgendwie nicht voran. Der zuständige EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis klagte schon vor einem halben Jahr, dass von den damals zwölf Gesetzesvorlagen nur drei auch schon von den anderen europäischen Mitgesetzgebern angenommen worden waren. Alle anderen hingen irgendwo im EU-Parlament oder im Rat der EU-Mitgliedsstaaten oder in den Schlussverhandlungen zwischen den Institutionen (Trilog) fest. Zu vielen der Projekte im Zuge der Kapitalmarktunion dürfte es bis zur Europawahl im nächsten Jahr keine Einigung mehr geben.”Die Kapitalmarktunion ist bisher ein Projekt der vergeudeten Chancen”, meint deshalb auch Michael Huertas, Partner im Frankfurter Büro der internationalen Wirtschaftskanzlei Dentons. Die EU-Kommission habe bis heute längst nicht alle Punkte ihres ambitionierten Programms abgedeckt. “Das hatte zum Teil sicherlich mit dem Brexit zu tun. Die Kapitalmarktunion wird aber leider auch immer wieder von nationalen Interessen gebremst”, sagt Huertas, ein Experte im Bereich von EU-Banken- und Kapitalmarktunion sowie der EZB-Geldpolitik.Und dies ist keinesfalls eine Einzelmeinung. Auch Christian Ossig vom Bankenverband benennt sehr deutlich, woran es derzeit bei der Umsetzung der Kapitalmarktunion hakt: “Bisher hat der politische Wille gefehlt, hier entscheidend voranzukommen.”Huertas verweist im Gespräch mit der Börsen-Zeitung darauf, dass das Projekt Kapitalmarktunion, das eigentlich einzigartige Chancen biete, auch in Frankfurt von Anfang an nicht mit besonders viel Liebe und Interesse angenommen wurde. In der Mainmetropole, so sagt der Österreicher, sei man auch mit dem Status quo des derzeitigen Sammelsuriums an Kompetenzen der Aufseher und dem “Regulatory Spaghetti” an Regeln zufrieden. Huertas begründet dies sowohl mit der “Eiszeit zwischen Berlin und Frankfurt bei Finanzmarktthemen” als auch damit, dass Deutschland eine viel stärkere Bankenkultur habe als andere Länder. “Andere Finanzierungsmöglichkeiten wurden hier nie groß vorangetrieben, und es wurde zu wenig über den Tellerrand zum Nachbarn geschaut. Und auch beim Thema Kapitalmarktunion gab es hier zum Teil einfach nur Desinteresse – gewisse Frankfurter und Berliner möchten doch gerne die Nudeln wie bisher.” Dombrovskis drängeltDer für die Finanzmärkte zuständige EU-Kommissionsvize Dombrovskis drängelt schon seit einiger Zeit, dass zumindest in drei Bereichen bis 2019 noch echte Fortschritte erzielt werden müssten: Es müsste eine kohärentere und wirksamere Aufsicht geschaffen werden sowie europäische Gütesiegel und Pässe für Finanzprodukte. Außerdem müssten Vorschriften weiter harmonisiert und vereinfacht werden. In der aktuellen österreichischen Ratspräsidentschaft spielt das Thema Kapitalmarktunion allerdings keine große Rolle.Wien setzt seine ganze Kraft zurzeit eher mit dem Ziel ein, bis Jahresende noch eine politische Einigung beim großen Bankenregulierungspaket zu erreichen. Experten wie Michael Huertas von der Wirtschaftskanzlei Dentons setzen daher jetzt schon eher auf die nächste EU-Kommission und hoffen auf ein Projekt “Kapitalmarktunion 2.0”. Dann müsse aber mehr kommen als bei der Version 1.0, vielleicht auch mit einer Konzentration auf den Euroraum, sagt Huertas. “Wichtig wäre es, dann auch Produkte zu ermöglichen, die den Konsumenten auch einen wirklichen Mehrwert bringen.” Nötig seien “wirkliche” einheitliche europäische Märkte mit gemeinsamen Standards bei Covered Bonds und Unternehmensanleihen, stärkere Aufsichtsbehörden, aber auch ein engeres Zusammenspiel mit der erfolgreichen Bankenunion. Hoffen auf Version 2.0Und was der Kapitalmarktunion wirklich noch fehlt, ist eine Absicherung der privaten Anleger. Bei Einlagen gibt es den 100 000-Euro-Schutz, bei Versicherungs- oder anderen Kapitalmarktprodukten fehlt er bisher. Das sei weder transparent noch konsumentenfreundlich, sagt Dentos-Experte Huertas und verweist auf Länder wie die USA, Kanada oder Japan, wo es heute etablierte und gut gefüllte Sicherungsfonds hierfür gebe. In der EU seien private Investoren dagegen unterschiedlich abgesichert, je nachdem, ob sie über einen Mifid-Dienstleister oder über eine Bank handelten. “Ohne eine Absicherung für private Anleger wird eine Kapitalmarktunion nie die von der Politik erhofften Ziele erreichen können”, ist sich Huertas sicher. Für die künftige EU-Kommission bleibt da noch viel Arbeit.—-Zuletzt erschienen:- Macron kämpft für Standort Paris (12. September)- Talentschmiede mit Strahlkraft (11. September)- Beständige Verantwortung (7. September)