GASTBEITRAG

Eine neue Form der Fristentransformation

Börsen-Zeitung, 22.2.2020 Rechtliche - auch bankenaufsichtliche und bankbetriebswirtschaftliche - Rahmenbedingungen können nicht wie Naturgesetze zu allen Zeiten gleich und unveränderlich bleiben, sondern müssen sich an veränderte sozioökonomischen...

Eine neue Form der Fristentransformation

Rechtliche – auch bankenaufsichtliche und bankbetriebswirtschaftliche – Rahmenbedingungen können nicht wie Naturgesetze zu allen Zeiten gleich und unveränderlich bleiben, sondern müssen sich an veränderte sozioökonomischen Verhaltensweisen, Verfügbarkeiten von Ressourcen und Orientierungen (Zielverschiebungen) anpassen. Der Gleichlauf der Rahmenbedingungen mit den genannten Veränderungen ist nur selten gegeben und führt dann zu Brüchen und Friktionen und erfordert mutige Positionierungen der handelnden Personen. Erst im Rückblick zeigt sich in solchen Fällen, dass die handelnden Unternehmer (im Hayek’schen Sinne) in diesen Umbruchzeiten das Richtige oder gar das Beste getan haben.Im bankwirtschaftlichen Bereich gab es entsprechend zu den jeweiligen Zeiten relevante Regeln, die für “richtig” gehalten wurden und gegebenenfalls waren, die aber an die veränderten Umstände im Laufe der Zeit angepasst werden mussten. Galt zunächst die goldene Bankregel der Fristenkongruenz, so entwickelte sich mit der Giral- und Kreditgeldwirtschaft die Fristentransformation zu einem wesentlichen Produktionsfaktor der Banken. Zumindest solcher Banken, die sich den direkten Bezug zur Realwirtschaft z. B. durch Hereinnahme von Kundengeldern und Ausgabe von Kundenkrediten bewahrt haben. Dies dürfte wohl für die Mehrzahl der genossenschaftlichen Banken zutreffen.Aus der Bodensatztheorie entwickelte sich die heute relevante Überzeugung in der Gesamtbanksteuerung, dass rein rechtlich, kurzfristige Kundeneinlagen entsprechend einer angenommenen Ablauffiktion über längere Laufzeiten verteilt angelegt werden können. Bei einer normalen Zinsstruktur wird die sich daraus ergebende, als risikolos geltende Fristentransformation dadurch vergütet, dass bei den längeren Laufzeiten ein höherer Zinssatz vereinnahmt werden kann. Dabei ist nicht auf die einzelne Kundeneinlage, sondern auf das gesamte beziehungsweise das um kurzfristige Schwankungen bereinigte Volumen der Kundeneinlagen abzustellen.Für die bankwirtschaftliche Profitabilitätsbeurteilung von Kundeneinlagen ist damit nicht der mit der rechtlichen Fälligkeit korrespondierende Tagesgeldzinssatz, sondern der Mischzins der zugrundeliegenden Ablauffiktion relevant. Die Komplexität wird dadurch weiter erhöht, dass nicht die jeweils aktuellen Zinssätze der Laufzeiten, sondern die historischen Zinssätze zum jeweiligen Zeitpunkt der Anlage der Tranche zu verwenden sind.Für eine gleichmäßige Verteilung der relevanten Kundeneinlagen über zehn Jahre unter den vereinfachenden Annahmen, dass die jeweiligen Anlagen nur zum Jahresanfang getätigt werden und die gesamten betrachteten Kundeneinlagen konstant waren und bleiben sowie unter Heranziehung der Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit als Anlagezins, ergibt sich für diese Kundeneinlagen für 2019 die Profitabilität mit einer Marge von ca. 1 %.Als Prognose lässt sich ableiten, dass bei konstanten zukünftigen Zinsen auf dem derzeitigen Niveau von -0,25 % und einem Kundenzins von weiterhin null (d. h. ohne Weitergabe der Negativzinsen an Privatkunden) die Prolongationen bestehender Tranchen und neue Kundeneinlagen nicht mehr mit einem positiven Zinsertrag angelegt werden können, so dass die gesamten Kundeneinlagen in fünf Jahren tatsächlich ertraglos werden.Während sich die Literatur für Vermögensanlagen in diesem Zinsumfeld einig ist, dass bei langfristigem Anlagehorizont die Aktienanlage eine sachgerechte Anlageform ist, wird diese Erkenntnis auf die Banksteuerung bisher noch nicht angewandt. Es wird wie ein Naturgesetz davon ausgegangen, dass Kundeneinlagen nur in Anlagen im Zinsbuch untergebracht werden dürfen. Spätestens in der derzeitigen Negativzinsphase wird man aber erkennen müssen, dass dies ein eingeschränktes Verständnis ähnlich der Newton’schen Mechanik im Rahmen der Relativitätstheorie ist. Die Auffassung ist nicht falsch, aber nur eine unter ganz bestimmten Bedingungen umfassend.Allgemein müsste auch in der Banksteuerung gelten, dass für langfristige Anlagehorizonte Aktienportfolien eine sachgerechte Anlageform sind. Bei einem langen Anlagehorizont stellt die Volatilität von Aktienportfolien kein Risiko dar und die Dividenden sind zwar nicht rechtlich aber aus der langjährigen Erfahrung in Aktienportfolien stabil. Allgemein – zumindest aber für Negativzinsphasen – sind die Dividenden aus Aktienportfolien der “neue Zins”, d. h. eine verbliebene Ertragsmöglichkeit für Anlagen am Kapitalmarkt. Ersetzt man im obigen Beispiel die Tranchen der Ablauffiktion mit neun- und zehnjähriger Laufzeit durch die Anlage in einem Aktienportfolio mit einer Dividendenrendite von 3 %, etwa einem Dax-Portfolio, ergibt sich für Kundeneinlagen daraus eine dauerhafte Profitabilität, die bis 2022 auch noch nahe bei 1 % liegen würde.Während für die Bankbetriebswirtschaft lediglich zu bedauern ist, dass sie diesen Ansatz noch nicht ausreichend unterstützt, wird er durch das Bankenaufsichtsregime sogar diskriminiert. Aktienanlagen werden bei der Eigenmittelunterlegung der Säule 1 mit Adressenausfallrisiken unterlegt und zusätzlich im Rahmen des Marktpreisrisikos in der Säule 2 bei den Eigenmittelzuschlägen berücksichtigt. Dazu kommt die Berücksichtigung bei den Stresstests mit zuletzt steigenden Abschlägen, die ausschließlich bei kurzfristiger Ausrichtung sachgerecht wären.Für Banken mit langfristiger Ausrichtung, wie dies bei den meisten Genossenschaftsbanken der Fall sein sollte, stellt die Volatilität von Aktienportfolien kein Risiko dar, da es in einem Anlagehorizont von mehr als acht Jahren in der Vergangenheit kaum negativen Veränderungen der Marktpreise z. B. bei einem Dax-Aktienportfolio gab. Insbesondere Aktienpositionen im Rahmen der Gesamtbanksteuerung zur Anlage der langfristigen Tranchen aus Ablauffiktionen sollten daher aus der Eigenmittelunterlegung und den Stresstests herausgenommen werden. Diskriminierung ertragenBis sich diese Auffassung zum Allgemeingut der Bankbetriebswirtschaft durchsetzen wird und im Rahmen der Bankenaufsicht sachgerechte Berücksichtigung findet, dürfte noch etwas Zeit vergehen. Bis dahin bleibt genossenschaftlichen Geschäftsleitern nur, diesen Weg aus eigener Überzeugung mutig zu gehen und dabei die aufsichtsrechtliche Diskriminierung, wie eine börsennotierte, quartalsergebnisgetriebene Bank behandelt zu werden, zu ertragen. Jedenfalls sollte dafür nicht die genossenschaftliche Ausrichtung auf die langfristige Mitgliederförderung über Bord geworfen werden und das kurzfristige Ertragsdenken übernommen werden. Markus H. Müller, Vorsitzender des Vorstandes Sparda-Bank Hessen