Eine Rückkehr zu laxer Regulierung darf es nicht geben
Der Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB) blickt auf seine ersten 100 Jahre zurück. Da reiht sich auch ein Finanzaufseher, der von Amts wegen eine kritische Distanz zum Jubilar halten muss, gerne in die Reihe der Gratulanten ein. 100 Jahre sind eine lange Zeit. Der VÖB hat in dieser Zeit zwei schwere Banken- und Wirtschaftskrisen überstanden – von den großen historischen Verwerfungen und Katastrophen ganz zu schweigen. Das zeugt von einer gewissen Standfestigkeit, die sich der Verband bis heute bewahrt hat. Beitrag zur StabilisierungDer VÖB vertritt eine Spezies von Banken, die ihre Daseinsberechtigung mehr als andere Institute immer wieder unter Beweis stellen mussten. Den Staat als Eigentümer oder Träger sah und sieht der Markt mit Unbehagen – zumal dann, wenn die Dinge auf diesem Markt gut laufen. Laufen sie weniger gut, lässt das privatwirtschaftliche Unbehagen meist nach, denn öffentliche Banken können gerade dann ihren besonderen Wert demonstrieren.So geschehen beispielsweise nach Ausbruch der Finanzmarktkrise 2007/2008. Als allenthalben die Kreditvergabe zurückgefahren wurde, waren die Förderinstitute des Bundes und der Länder dank des Zuschnitts ihrer Aufgaben dazu prädestiniert, den Betroffenen – etwa kleinen und mittelständischen Unternehmen – den Zugang zu Krediten zu erleichtern. Sie übernahmen entweder einen Teil des Ausfallrisikos oder stärkten über nachrangige Darlehen die Unternehmen, wodurch deren Ausfallrisiko geringer wurde. Die Förderbanken haben damit zur Stabilisierung der Finanzmärkte beigetragen.Der VÖB ist in Fragen der Regulierung und der Aufsicht immer ein guter Kommunikator gewesen – nach außen wie nach innen. Bei Standardsetzern und Aufsehern – bei denen es sich nicht selten um dieselben Personen handelt – brachte und bringt der VÖB die Anliegen seiner Institute selbstbewusst und kompetent vor. Seinen Mitgliedern ist der Verband bei der Umsetzung von Regulierung ein wichtiger Berater und Dienstleister. Seit Ende 2008 hat er damit alle Hände voll zu tun. Damals, im November 2008, kurz nach dem Kollaps der US-Bank Lehman, gaben die G 20-Staats- und Regierungschefs in Washington den Startschuss für regulatorische Aufräumarbeiten historischen Ausmaßes. Alle Finanzmärkte, alle Produkte und Marktteilnehmer sollten fortan angemessen reguliert werden.In den Jahrzehnten vor Ausbruch der globalen Finanzkrise hatte eine weitreichende Deregulierung stattgefunden – vielerorts gepaart mit Aufsicht der leichten Hand. Die internationalen Regulierungsstandards etwa für Banken, die viele Staaten in ihr Recht überführt und damit für Aufseher und Beaufsichtigte verbindlich gemacht hatten, hatten gravierende Schwächen. Zudem gab es Bereiche, die regulatorisch weitgehend unerschlossen waren.Die Finanzmärkte waren regulatorisch nicht dafür gerüstet, auch in turbulenten Zeiten ihre Grundfunktionen zu erfüllen. Hinter all dem steckte die falsche Annahme, dass man den Finanzsektor von der Leine lassen müsse, damit er wachse und wachse und der Volkswirtschaft damit automatisch ebenfalls zu Wachstum verhelfe. Aber (Über-)Größe und Stabilität sind eben nicht dasselbe.Nach der großen Ernüchterung begann also das große Aufräumen. Weit oben auf der Liste stand der Wunsch, die Banken widerstandsfähiger zu machen. Das globale Regelwerk Basel III und sein europäisches Pendant, das CRD-IV-Paket aus Richtlinie und Verordnung, setzen an zwei wesentlichen Schwachstellen an, die sich in der Krise offenbart haben: Banken müssen genügend Eigenkapital haben, um Verluste im laufenden Geschäftsbetrieb abfedern zu können. Und sie müssen eine ausreichende Liquiditätsvorsorge betreiben, was bis dato kaum als explizite Aufgabe des Risikomanagements gesehen worden war.Haben wir alles getan, um nach dem Lehman-Schock die Finanzstabilität besser schützen zu können als vor der Krise? Der Weg zu regulatorischen Neuerungen ist mit Analysen und Auswirkungsstudien gepflastert. Und doch werden regulatorische Entscheidungen zwangsläufig mit einem gewissen Maß an Unsicherheit getroffen. Nachsteuern wahrscheinlichOb und wie ein Regelwerk wirkt und ob es mit anderen Regelwerken kollidiert, lässt sich erst im wirklichen Leben der Anwendung feststellen. Dieser Mühe einer Gesamtschau werden sich Gesetzgeber und regulatorische Community unterziehen müssen. Zwar darf man davon ausgehen, dass die Richtung stimmt. Aber man wird sicher an der einen oder anderen Stelle nachsteuern müssen. Selbstkritisch fragenDas heißt auch, dass sich Regulierer immer wieder selbstkritisch fragen müssen, ob sie die regulatorischen Vorgaben insgesamt und über die Breite der Bankenlandschaft angemessen kalibriert haben. Eine Rückkehr zu laxer Regulierung darf es nicht geben. Der zerstörerische Kreislauf aus Krise – Regulierung – Deregulierung – erneute Krise muss gestoppt werden. Erstrebenswert ist eine Regulierung, und damit auch Aufsicht, die sich nach dem jeweiligen Geschäft und dessen Risiko bemisst. Dem Prinzip der Proportionalität, der Verhältnismäßigkeit, muss daher mehr Geltung verschafft werden. Das gilt umso mehr, als es sich bei den Baseler Regelungen – bei Lichte betrachtet – um Empfehlungen handelt, die primär für international aktive Banken konzipiert sind. Die Europäische Union (EU) hat sie aber für alle Institute umgesetzt. Bei Proportionalität geht es nicht nur um die Kriterien “klein” und “groß”. Es geht darum, die Besonderheiten verschiedener Geschäftsmodelle adäquat zu berücksichtigen – in Regulierung und Aufsicht. Dies sei auch mit Blick auf die Förderbanken gesagt, deren Geschäftsmodell bekanntlich ein ganz besonderes ist.Die BaFin ist sich dieser Besonderheit bewusst, wie sie sich auch der Besonderheiten anderer Geschäftsmodelle bewusst ist. Sie berücksichtigt sie in der Aufsichtspraxis. Und sie setzt sich in den globalen und europäischen Regulierungsgremien dafür ein, dass sinnvolle und erhaltenswerte Besonderheiten regulatorisch nicht eingeebnet werden. Nur Gleiches soll gleich behandelt werden. Selbstverständlich ist der VÖB an dieser Front ebenfalls sehr aktiv. BaFin und VÖB führen lebhafte, hin und wieder kontroverse, aber in jedem Fall hilfreiche Diskussionen über diese Themen. Neue ZeitrechnungAufsichtlich hat für den Verband – wie für die BaFin auch – am 4. November 2014 eine neue Zeitrechnung begonnen. An jenem Tag ist ein weiteres, ein europäisches Schwergewicht in den Aufsichtsring gestiegen: der Einheitliche Aufsichtsmechanismus für die Banken der Eurozone (Single Supervisory Mechanism – SSM) unter Federführung der Europäischen Zentralbank (EZB). 12 der 29 Institute, die Mitglieder des Verbands sind, stehen derzeit als sogenannte bedeutende Institute unter der direkten Aufsicht des SSM.Die anderen Institute, sie tragen das missverständliche Label “weniger bedeutend”, beaufsichtigt der SSM nur mittelbar, sie stehen nach wie vor unter direkter deutscher Aufsicht. Seit etwa zwei Jahren haben wir nun also eine integrierte europäische Bankenaufsicht mit echten Eingriffsbefugnissen – und seit Anfang 2016 auch einen einheitlichen europäischen Abwicklungsmechanismus. Und das alles nur wenige Jahre, nachdem die EU als Antwort auf die Finanzkrise das dezentrale Europäische System der Finanzaufsicht aus der Taufe gehoben hatte. Das erfordert auf allen Seiten eine große geistige Beweglichkeit und viel Einsatz. Die Landschaft ist jedenfalls nicht weniger komplex geworden. Noch in den KinderschuhenNoch einmal zurück zum SSM: Im Vergleich zum VÖB steckt die europäische Bankenaufsicht noch in den Kinderschuhen. Loslaufen musste sie trotzdem. Man hat ihr im November vor zwei Jahren einen Blitzstart abverlangt, der geglückt ist. Dafür gebührt allen Beteiligten großer Respekt: der EZB, den nationalen Aufsichtsbehörden, die Teil des SSM sind, und ebenso den Instituten und ihren Verbänden. Gemeinsam haben sie das kritische erste Jahr gemeistert, in dem noch alles neu und ungewohnt war. Mittlerweile sind die ersten Kinderkrankheiten überstanden, und viele Abläufe haben sich eingespielt. Der SSM befindet sich auf einem guten Weg. Am Ziel ist er noch nicht. In einigen wichtigen Punkten wird man noch nachjustieren müssen – bei der nadelöhrartigen Entscheidungsfindung über Supervisory Board und EZB-Rat etwa und beim Aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess (Supervisory Review and Evaluation Process – SREP).Natürlich herrscht nicht in allen Fragen Einigkeit zwischen dem Verband und der BaFin. Die BaFin möchte die Diskussionen mit dem VÖB aber nicht missen. Möge der Verband auch in den nächsten 100 Jahren ein kompetenter Sparringspartner der Aufsicht bleiben. Die Aufsicht braucht diesen Austausch.—Felix Hufeld, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)