LEITARTIKEL

Einfach ausprobieren

Im mobilen Zahlungsverkehr galt Deutschland lange als rückständig. Das hat sich innerhalb weniger Wochen radikal geändert. Die Mehrheit der Deutschen kann jetzt mobil per Smartphone bezahlen, das nur noch an ein Kassenterminal gehalten wird. So...

Einfach ausprobieren

Im mobilen Zahlungsverkehr galt Deutschland lange als rückständig. Das hat sich innerhalb weniger Wochen radikal geändert. Die Mehrheit der Deutschen kann jetzt mobil per Smartphone bezahlen, das nur noch an ein Kassenterminal gehalten wird. So weit, so einfach. Mal abgesehen davon, dass das Smartphone eine neuere Version und mit der NFC-Funktion zur drahtlosen Datenübertragung ausgestattet sein muss, gibt es doch einige Unterschiede infolge der verschiedenen Anbieter. In der Breite möglich ist mobiles Bezahlen per Smartphone in Deutschland erst durch den Start der Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie der Sparkassen, die die meisten Retailkunden haben und die dafür jeweils ein eigenes Bezahlsystem entwickelt haben. Seit Wochenbeginn stellen 85 % der 915 genossenschaftlichen Finanzinstitute die von ihnen an ihre Kunden bisher ausgegebenen 14 Millionen kontaktlosen Girocards sowie die 1,5 Millionen kontaktlosen Kreditkarten Mastercard und Visa digitalisiert in der VR-Banking-App zur Verfügung, die wiederum auf das Smartphone heruntergeladen werden kann zum digitalen und mobilen Bezahlen. Die Genossenschaftsinstitute hätten ganz bewusst eine eigene Android-Lösung entwickelt, um zu gewährleisten, dass die Daten bei ihnen bleiben und nicht durch Dritte weiterverarbeitet werden, hat DZ Bank-Vorstand Thomas Ullrich im Interview der Börsen-Zeitung unterstrichen. Ähnlich handhaben es die Sparkassen. 300 der 390 Institute hatten ihr mobiles Bezahlen per Smartphone bereits Ende Juli gestartet. Damit können die von den Sparkassen ausgegebenen 45 Millionen Girocards sowie die Kreditkarte Mastercard, aber nicht Visa, genutzt werden. Sämtliche Daten verblieben bei der Sparkasse und würden nicht an Dritte weitergegeben oder verkauft, betont der Sparkassenverband. Die beiden Verbände finden damit Lösungen für zwei kritische Punkte, die einem breiten Einsatz von Mobile Payment in Deutschland bisher entgegenstanden: die Einbindung der mit Abstand am meisten verbreiteten Zahlungskarte, der Girocard, und den gerade in Deutschland extrem relevanten Datenschutz. Für den Einsatz außerhalb Deutschlands genügen die in der App hinterlegten Kreditkarten mit Kontaktlos-Funktion. Dennoch: Der Datenschutz und vor allem die direkte Verbindung zum eigenen Kunden ist den beiden Verbänden derart wichtig, dass sie Millionensummen investierten, um eigene Systeme zu entwickeln. Viele Kunden werden das zu schätzen wissen. Sie sollten Mobile Payment einfach mal ausprobieren.Anders mag das bei Google Pay aussehen, das Ende Juni in Deutschland als 19. Land startete. In der App muss eine virtuelle Kreditkarte von Visa oder Mastercard hinterlegt werden, die zwingend von einer der teilnehmenden Banken ausgegeben wurde. Derzeit sind dies die Commerzbank, die dazugehörige Direktbank Comdirect und das Online-Institut N26. Die Girocard ist nicht dabei. Auch hier würden keine Daten der Kunden weitergegeben werden, versichert zwar die Commerzbank, denn wie bei allen mobilen Kartenzahlungen verlassen die echten Kartendaten nicht das Handy, sondern kommen anonymisiert per Token beim Terminal des Händlers an. Doch die Bedenken vieler Nutzer gegenüber den “Datenkraken” sind kaum auszuräumen. Schließlich bietet Google, auch wenn sie nicht selbst Zahlungsanbieter sind, mit Google Pay ihre eigene Plattform den Banken an, über die Verbraucher wiederum weitere Funktionen nutzen können, wie einen Überblick über die jüngsten Transaktionen einschließlich weiterer Informationen über den Händler – und da ist es schon: das Bombardement mit Werbung, weil man hier und da gekauft hat und vielleicht noch dort dies kaufen sollte. Hier kommt die neue europäische Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 ins Spiel. Ihr zufolge haben Banken mit Zustimmung des Kunden die Kontoschnittstelle kostenfrei zu öffnen, etwa für Plattformen außerhalb von Banken, den Kontoinformationsdiensten. Diese müssen sich finanzieren, und das geht nur über Daten, um ein Werbeprofil zu erstellen und es zu verkaufen. Das muss nicht schlecht sein, vielleicht erhält man ja ungefragt ein Angebot eines günstigeren Stromanbieters? Google Pay, demnächst Apple Pay und vielleicht auch Facebook sind wie Payback Pay und Paypal für die US-Internetgiganten das Einfallstor, um noch mehr und detailliertere Daten über Einkaufs-, Bewegungs- und Lebensgewohnheiten zu schöpfen. Deutsche Volksbanken, Raiffeisenbanken und Sparkassen nutzen ihre Kundendaten zwar auch, aber nur für eigene Produktwerbung, und: Sie verkaufen sie nicht an Dritte. —–Von Karin BöhmertGenossenschaftsinstitute und Sparkassen haben zum Datenschutz eigene Systeme für Mobile Payment entwickelt. Das sollte man ausprobieren.—–