Es fehlen kohärente Regeln
Von Bernd Neubacher, Frankfurt
Ein Mangel an Masse, Komplexität, Intransparenz und Regulierungsarbitrage: Diese Aspekte stehen einem Durchbruch der Lieferkettenfinanzierung auf breiter Front entgegen. In einer Umfrage von PwC setzen Unternehmen einen Mangel an Transaktionsvolumen ganz oben auf die Liste der Hindernisse, die sie davon abhalten, sich für Supply-Chain-Finance-Programme zu öffnen – daneben fielen auch etwa niedrige Zinssätze von Zulieferern, unterschiedliche Interessen der Unternehmen und von deren Zulieferern sowie eine schwache interne Zusammenarbeit beim Zulieferer ins Gewicht. Zudem ist nicht jedem Unternehmen bei dem Gedanken, dass eine Supply-Chain-Finance-Plattform automatisiert auf sein Enterprise Resource Planning (ERP) und sein Beschaffungssystem zugreift, wohl.
Supply-Chain-Finance-Programme brauchen daher nicht nur ausreichend große, bonitätsstarke und verlässlich bereitstehende Gegenüber als Käufer, sondern auch ausreichend hohe Volumina an wechselnden Forderungen, damit sich der Aufwand lohnt. Und dieser ist nicht gering. „Die Anbindung dauert endlos“, klagt etwa der Chef einer Auslandsbank in Deutschland – über das hausinterne Programm. Die Anbindung eines Zulieferers an eine Plattform ist keine große Sache, im Falle eines Unternehmens dauert dies schon einmal zwei bis vier Monate, und bei einer Bank nimmt das Prozedere schon einmal sechs bis acht Monate in Anspruch.
Im grenzüberschreitenden Geschäft kann zudem die fehlende Harmonisierung von Lizenz-Anforderungen finanzierungswilligen Spielern den letzten Nerv rauben, da in den verschiedenen EU-Staaten unterschiedliche Regeln gelten. In einer Erhebung der Universität St. Gallen nennen drei Viertel der Befragten denn auch die Komplexität der Verträge als Herausforderung (siehe Grafik oben).
EU empfiehlt Harmonisierung
Wie die EU-Kommission in einer Studie festhält, gibt es in Europa kein „spezifisches“ oder „kohärentes“ rechtliches oder regulatorisches Regelwerk für Suppy Chain Finance. Überdies werde nicht klar zwischen den verschiedenen Formen der Lieferkettenfinanzierung unterschieden, heißt es. Der Bericht empfiehlt eine Harmonisierung der Lizenzierungsanforderungen über die EU-Mitgliedstaaten hinweg durch Einführung einer speziellen Lieferketten-Finanzierungslizenz, die wie der Passport für Kreditinstitute in allen EU-Staaten gilt. Zudem könnten die Mitgliedstaaten Online- oder automatisierte Compliance-Systeme fördern, um Marktteilnehmern die Bewältigung der Know-your-Customer- und Geldwäschepräventionsvorgaben zu erleichtern.
Nicht zuletzt fordert die Kommission den Bilanzstandardsetzer IASB, Prüfer, Regulatoren sowie die Branche auf, Klarheit in der Frage zu schaffen, inwiefern Programme der Lieferkettenfinanzierung als Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen oder aber als Bankkredite zu bilanzieren sind.
Wo es kein kohärentes Regelwerk gibt, sind Marktakteure eingeladen zur Regulierungsarbitrage, zum Beispiel durch eine Verbriefung von Forderungen. Es habe offenbar seinen Grund, dass Verbriefungen grundsätzlich über die Aufsicht entweder in Irland oder Luxemburg liefen, merkt etwa der Chef eines Marktakteurs süffisant an. Offenbar gehe es wieder einmal um nicht viel mehr als Regulierungsarbitrage. Zudem potenzieren Verbriefungen von Lieferkettenfinanzierungen die Intermediation, was ungut an die Finanzkrise 2008 erinnert, ebenso wie Kreditversicherungen, die im Markt zwar als Option gelten, letztlich aber nur die Intransparenz maximieren.
Stellt sich dann noch heraus, dass vermeintliche Versicherungen von Forderungen gar nicht greifen und auch die verbrieften Forderungen nicht die Eigenschaften aufweisen, mit denen sie vermarktet wurden, hat man alle Zutaten für ein Debakel wie bei Greensill zusammen. „Greensill hat dazu geführt, dass die Leute jetzt einmal ganz konkret hinschauen, wenn jemand ihnen sagt, er könne ihre Probleme lösen“, sagt der Manager einer Großbank.