IM INTERVIEW: KLAUS REGLING, EUROPEAN STABILITY MECHANISM (ESM)

"Es fließt Geld nach Europa"

Der Chef des Euro-Rettungsschirms über die Ausweitung der Anleihe-Laufzeiten, die Wettbewerbsfähigkeit in der Eurozone und die Stärkung des Banksystems

"Es fließt Geld nach Europa"

– Herr Regling, bisher hat sich der dauerhafte Euro-Rettungsschirm ESM kurzfristig finanziert. Das wird sich nun ändern?Ja. Bisher hat der ESM nur Bills begeben. Im Oktober werden wir den ersten längerfristigen Bond an den Markt bringen.- Mit welcher Laufzeit?Was wir im Oktober bringen, steht noch nicht fest. Mittelfristig wollen wir beim ESM – wie beim vorläufigen Euro-Schirm, der EFSF – alle Laufzeiten anbieten und die ganze Renditekurve abdecken, von drei Monaten bis 30 Jahre.- Mit einem Schwerpunkt bei Zehnjährigen?Nein, nicht unbedingt. Wie bei der EFSF planen wir, beim ESM eine liquide Kurve in allen Benchmarklaufzeiten bis 30 Jahre aufzubauen.- Warum?Weil wir eine breite Investorenbasis ansprechen möchten. Laufzeiten von fünf bis sieben Jahren sind häufig für Banken und Zentralbanken interessant – zehn Jahre und länger finden bei Versicherungen und Pensionsfonds großes Interesse. Ein regelmäßiges Angebot in allen Laufzeiten sichert uns damit eine breite Investorenbasis.- Wird denn die EFSF weiterhin aktiv am Anleihemarkt bleiben?Ja, auf jeden Fall. EFSF und ESM werden beide gleichzeitig am Markt sein, und zwar lange.- Aber die EFSF wird doch keine neuen Hilfsprogramme mehr auflegen?Die EFSF muss aber die laufenden Programme für Irland, Griechenland und Portugal abwickeln. Im nächsten Jahr hat die EFSF, wenn alles wie geplant ausgezahlt ist, 192 Mrd. Euro Marktforderungen ausstehen. Da gibt es allerdings einen großen Unterschied zwischen den Laufzeiten der Forderungen und der Verbindlichkeiten.- Wie groß?Die Forderungen liegen in Griechenland bei rund 30 Jahren, in Irland und Portugal bei etwa 22 Jahren. Bei den Verbindlichkeiten ist diese Spanne natürlich viel kürzer. Es muss also immer wieder ein Rollover der EFSF-Anleihen gemacht werden.- Wie viel Geld wird der ESM aufnehmen?Der ESM macht derzeit das spanische und das zypriotische Programm. Das sind zusammen 50 Mrd. Euro. Es ist im Moment nicht absehbar, dass weitere Hilfsprogramme folgen.- Was planen Sie für 2013 und 2014?Wir gehen derzeit davon aus, dass der ESM in diesem Jahr 9 Mrd. Euro an Bonds ausgeben wird und im nächsten Jahr 17 Mrd. Euro. Das ist die aktuelle Planung, auf der Basis dessen, was wir heute wissen. Hinzu kommt, dass die EFSF Emissionen im Volumen von 7,5 Mrd Euro für das vierte Quartal 2013 und 34 Mrd. Euro für das Jahr 2014 vorsieht.- In welchen Tranchen?Wir streben liquide Benchmark-Anleihen an mit einem Emissionsvolumen von rund 5 Mrd. Euro, welches wir auch in mehreren Schritten durch Aufstockungen erreichen können.- Sind sich EFSF und ESM sehr ähnlich?Aus politischer Sicht ja. Sie haben das gleiche Mandat und sehr ähnliche Instrumente. Für Investoren jedoch gibt es erhebliche Unterschiede.- Welche?Der ESM ist robuster. Er hat eine große Kapitalbasis. Ab nächstem Jahr verfügt er über 80 Mrd. Euro an eingezahltem Kapital. Das ist natürlich ein wichtiges Argument, weil er weniger anfällig ist für Änderungen in den Ratings von Mitgliedstaaten.- Erwarten Sie für den ESM auch Interesse von Investoren, die bei EFSF nicht zugegriffen haben?Ja. Dass der ESM robuster ist, wird bei Investoren Interesse finden. Auch ist der ESM einfacher zu vermitteln.- Rechnen Sie damit, dass der ESM zu günstigeren Konditionen Kapital aufnehmen kann als die EFSF?Die Frage ist spannend. Aufgrund seiner robusteren Kapitalstruktur spricht einiges dafür, dass der ESM – zumindest mittelfristig – mit etwas engeren Spreads handeln könnte als die EFSF. Ich rechne allerdings damit, dass beide ziemlich nahe beieinander liegen werden. Am Ende entscheiden natürlich die Investoren darüber, wie die ESM-Anleihen handeln.- Und im Vergleich zu anderen Emittenten?Die EFSF wird von Marktteilnehmern am ehesten mit der Europäischen Investitionsbank verglichen, deren Papiere grundsätzlich etwas teurer handeln als die der EFSF. Grundsätzlich haben sich die Spreads der EFSF-Anleihen gegenüber unseren stärksten Mitgliedstaaten eingeengt. Aktuell notiert die zehnjährige EFSF-Anleihe etwa 50 Basispunkte über der vergleichbaren Bundesanleihe.- Hat die EFSF nicht darunter gelitten, dass sie von Ratingagenturen herabgestuft wurde?Überraschenderweise nein. Natürlich waren wir stolz auf unser Triple-A und haben bedauert, dass die Herabstufungen von Frankreich und den Niederlanden auf uns durchschlugen. Aber das hat keine Auswirkungen gehabt auf unsere Spreads.- Warum nicht?Da ist weltweit eine gigantische Strukturanpassung im Gange, die Ratings werden anders wahrgenommen. Das Triple-A ist nicht mehr sakrosankt. Ein Doppel-A plus wird anders honoriert als früher. Immerhin besitzen ja viele Staaten nicht mehr die Bestnote.- Werden Anleger aus Asien eine wichtige Investorengruppe für die Euro-Schirme bleiben?Ja. In Asien gibt es Adressen, die regelmäßig Anleihen der EFSF kaufen, und das wird sicher auch so bleiben. Der Anteil asiatischer Investoren ist zwar leicht gesunken. Aber nicht, weil sie sich weniger engagieren, sondern weil andere Anleger aktiver geworden sind.- Aus welchen Regionen der Welt?Wir haben weltweit rund 1 000 Investoren, die regelmäßig bei der EFSF investieren. Das ist eine solide Basis. Die Nachfrage aus dem Mittleren Osten ist sehr stark. Aber auch in Lateinamerika wächst das Interesse. In Brasilien etwa, wo eine Mittelklasse entsteht und mehr Vermögen investiert wird.- An den Märkten werden die Schwellenländer neu bewertet. Sorgt das für Geldflüsse nach Europa?Ja, wir sehen das in den Daten, und wir hören das von den Banken – es fließt Geld auch nach Europa. Wichtig ist dabei, dass nicht alles nur in Triple-A-Länder strömt, denn dann würden ja Spannungen wieder zunehmen. Wir stellen erfreulicherweise fest, dass Teile dieser Gelder in einige südeuropäische Länder fließen.- Bedeutet das: Die Investoren weltweit vertrauen mittlerweile darauf, dass Euroland seine Probleme in den Griff bekommt?Die Einschätzung der globalen Investoren gegenüber Europa ist viel, viel positiver geworden. Und das liegt anders, als es mancher behauptet, nicht nur an der Europäischen Zentralbank und deren Ankündigungen.- Woran sonst?Vor allem ist viel in den betroffenen Ländern selbst passiert. Die makroökonomischen Ungleichgewichte im Euroraum sind dabei zu verschwinden. Die Wettbewerbsfähigkeit hat sich verbessert, die Leistungsbilanzdefizite im Süden sind weg, die Konsolidierung der Haushalte kommt voran.- Die Krise ist doch aber nicht vorbei?Nein, natürlich ist die Krise nicht vorbei – vor allem nicht aus Sicht der Bevölkerung. Die Menschen in Griechenland und Portugal sehen hohe Arbeitslosenquoten und gesunkene Realeinkommen.- Wieso dann die Zuversicht?Als Ökonomen schauen wir uns Frühindikatoren an, und da bewegt sich schon seit einiger Zeit viel. Es gibt dramatische Fortschritte bei der Wettbewerbsfähigkeit. Das spürt man jetzt auch zunehmend bei harten Wirtschaftsdaten. So sind in Spanien die Exporte zuletzt um 16 % gewachsen, und in Portugal kam es erstmals seit zweieinhalb Jahren zu Wachstum – immerhin 1,1 %. Diese Entwicklung zeigt, dass unsere Strategie funktioniert, Programmstaaten Darlehen zu gewähren und dafür im Gegenzug Reformen einzufordern.- Trotzdem hat die EZB erheblichen Anteil daran, dass die Spreads gesunken sind?Die Ankündigung des OMT-Programms war wichtig, um einen Stimmungsumschwung einzuleiten. Aber auf Dauer ist natürlich das, was in den Ländern passiert, viel bedeutsamer – genauso wie andere Faktoren.- Welche?Es ist wichtig, dass die Koordinierung der Politik im Euroraum verbessert wurde. Zudem ist entscheidend, was unter dem Titel Bankenunion diskutiert wird. Und schließlich die institutionellen Innovationen – wie EFSF und ESM, und ich würde dazu das OMT zählen.- Sie sind überzeugt, dass die Investoren das genauso sehen wie Sie?Ja. Denn mittlerweile wird weggesteckt, wenn es zwischendrin irgendwo eine politische Krise gibt, so wie neulich in Portugal. Die Anleger sehen, dass in vier Bereichen parallel große Fortschritte gemacht wurden – bei der Anpassung der Länder, der wirtschaftspolitischen Abstimmung, der Stärkung des Bankensystems und mit neuen Institutionen gegen die Krise.- Lassen Sie uns über das Banksystem sprechen: Bereitet sich der ESM bereits auf die direkte Kapitalisierung von Banken vor?Wir sind von den politischen Vorgaben abhängig. Wir nehmen natürlich zur Kenntnis, dass in der Eurogruppe viel über direkte Bankenrekapitalisierung gesprochen worden ist und es unter den 17 Euro-Finanzministern im Juni dazu eine politische Grundsatzeinigung gab. Aber es gibt noch keine endgültigen Entscheidungen.- Was heißt das für Sie?Grundsätzlich stellen wir uns natürlich darauf ein, dass wir im Bankenbereich unsere Expertise stärken. Ob das Instrument im nächsten Jahr zur Anwendung kommt, werden wir aber erst dann sehen. Um sehr rasch reagieren zu können, überlegen wir, gegebenenfalls auch mit abgeordneten Beamten nationaler Behörden zu arbeiten.- Was wird Ihre Rolle sein, wenn die EZB die Bilanzprüfung der Banken vornimmt?Nach Asset Quality Review und Stresstest wird mehr Klarheit darüber bestehen, ob es Kapitallücken gibt bei einzelnen Banken. Dann wird man die neu gefassten Beihilferegeln anwenden – und im Falle eines Falles werden zunächst die Anteilseigner zur Kasse gebeten, und es wird einen Bail-in geben. Wenn danach noch Bedarf für eine Rekapitalisierung besteht, müssen die Euro-Staaten entscheiden, ob sich der ESM daran beteiligt.- Die EZB bringt die Idee ins Gespräch, dass der ESM den künftigen gemeinsamen Abwicklungsfonds finanziell absichern könnte?Bislang ist das ein Gedankenspiel. Die EZB als zentrale Aufsichtsbehörde macht sich naturgemäß Gedanken, was passiert, falls sich Lücken auftun beim Bankkapital. Man muss jetzt diskutieren, welche Optionen sich dann anbieten.- Wäre der EZB-Vorschlag denn eine echte Option?Ob der ESM auch eine Rolle spielen und Kredite an den Abwicklungsfonds vergeben sollte, ist bisher in keinem Gremium diskutiert worden. Im Moment könnten wir das nicht. Wir haben das Instrument zur finanziellen Unterstützung eines Abwicklungsfonds nicht. Wenn der politische Wille, das zu tun, da ist, müssten zunächst die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden.- Wie viel politischer Wille ist denn nötig?Wir bräuchten einen einstimmigen Beschluss der Euro-Finanzminister. In Deutschland und einigen anderen Euro-Staaten wäre auch ein Parlamentsvotum nötig. Dabei stellt sich die zusätzliche Frage, was passiert, wenn die betroffene Bank aus einem Land stammt, das zwar der Bankenunion angehört, nicht aber dem Euroraum. Viele Dinge sind nicht ausdiskutiert.- Aber der ESM könnte doch schon heute auf anderen Wegen Banken helfen?Man muss drei Einsatzmöglichkeiten unterscheiden. Erstens besteht bereits die Möglichkeit, ein nationales Bankensystem zu unterstützen. Dabei bleibt die Regierung der Gegenpart und ist der Schuldner.- So wie im Falle Spaniens?Ja. Der zweite Fall, über den seit einem Jahr diskutiert wird und wo Fortschritte, aber noch kein endgültiger Abschluss erzielt wurde, ist die direkte Bankenrekapitalisierung. Da wird man sehen müssen, ob es nächstes Jahr zum Einsatz kommt.- Und nun kommt als dritte Variante die Überlegung der EZB ins Spiel?Nun gibt es noch das Gedankenspiel, dass der ESM den Abwicklungsfonds bei Bedarf unterstützt. Denn dessen Kapital baut sich ja erst langsam auf. Diese Option ist noch nicht diskutiert. Das Instrument gibt es noch nicht. Da muss man sehen, wie die Diskussion läuft.- Worauf kommt es in den nächsten Monaten an?Auf nationaler Ebene ist die Anpassung in den Krisenländern zwar gut vorangekommen, aber nicht abgeschlossen. Das muss weitergeführt werden. Es wäre jammerschade, wenn in einem Programmland der soziale Konsens zusammenbrechen würde.- Und in den Ländern, die nicht in einem Programm stecken?Sie müssen die verstärkten, neuen Regeln der Koordinierung der nationalen Wirtschaftspolitik auch tatsächlich anwenden. Da gibt es ja durchaus hier und da Fragezeichen.- Was muss in Sachen Bankenunion geschehen?Als Gegengewicht zu einer grenzüberschreitenden Aufsicht der großen Banken braucht man einen europäischen Abwicklungsmechanismus und Fonds. Wie man dorthin gelangt und ob es dazu zwei Schritte braucht, ist letztlich weniger wichtig. Entscheidend ist, dass man das hinbekommt. Denn es wäre schädlich, eine Lücke zu lassen.- Wie zuversichtlich sind Sie, dass dies trotz der jüngsten hitzigen Streite über rechtliche Grundlagen gelingt?In den vergangenen drei, vier Jahren haben wir erfreulicherweise gelernt, dass die Eurogruppe auch unter schwierigsten Umständen am Ende immer einen Konsens erreicht. Das haben übrigens auch die Märkte verinnerlicht. Es hat sich herumgesprochen, dass wir es in langen Nachtsitzungen letztlich immer schaffen.—-Das Interview führte Detlef Fechtner.