LEITARTIKEL

Es gibt zu tun

Die Leute, die niemals Zeit haben, tun am wenigsten", hat der Mathematiker und Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg gewusst. Einer, der niemals Zeit hat, aber definitiv etwas getan hat, ist Bundesfinanzminister Olaf Scholz: Vor einem Jahr machte...

Es gibt zu tun

Die Leute, die niemals Zeit haben, tun am wenigsten”, hat der Mathematiker und Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg gewusst. Einer, der niemals Zeit hat, aber definitiv etwas getan hat, ist Bundesfinanzminister Olaf Scholz: Vor einem Jahr machte der SPD-Politiker sehenden Auges ein Fass auf mit dem Postulat einer nationalen Bankenstrukturpolitik und den Worten: “Ja, wir brauchen so etwas wie eine Standort- oder Industriepolitik.” Es gehe darum, wie die deutschen Banken eine Größe entwickeln könnten, mit der sie Unternehmen weltweit unterstützen könnten.Für Standort- oder Industriepolitik wäre kraft Amt ja zuständig: Olaf Scholz. Mit der Größe ist das bei deutschen Großbanken aber so eine Sache. Seit dem Vorstoß des Ministers haben die Aktienkurse von Deutscher Bank und Commerzbank 29 % bzw. 34 % verloren, die Rekordtiefstände liegen nahe. Richtig ins Rutschen kamen die Notierungen, nachdem die Häuser, von Berlin mehr oder weniger unverhohlen dazu gedrängt, Gespräche über eine Fusion aufgenommen hatten – um sie nach wenigen Wochen zu beenden. Es hat nicht den Anschein, als habe Berlin einen Plan B für den Fall scheiternder Verhandlungen gehabt.Bei der Commerzbank jedenfalls ist seither jegliche Fusionsfantasie raus. Hatten Spin Doctors zu Beginn der Verhandlungen noch argumentiert, die Deutsche Bank müsse handeln, bevor ein ausländischer Spieler die letzte große Chance zur Konsolidierung des deutschen Bankenmarktes ergreife, so liegt nun auf der Hand: Den ausländischen Wettbewerber, der die Commerzbank unbedingt haben will, gibt es nicht, nicht einmal zu Preisen, die gerade einem Viertel des Buchwerts entsprechen, und einem Kurs von rund 5,49 Euro, der schon wegen des mit einer Aktie verbundenen Anspruchs auf ein warmes Mittagessen auf der Hauptversammlung ein gescheites Investment zu sein scheint – für dasselbe Geld gibt es in Eberts Suppenstube auf Frankfurts Fressgass nicht einmal eine “Currywurst mit Pommes rot/weiß”.Am Donnerstag nun hat Scholz erklärt, der Staat solle sich im Bankensektor nicht aktiv betätigen, aber man könne sicher annehmen, “dass wir dabei sind mitzuhelfen, dass wir eine gute Finanzmarktarchitektur in Deutschland haben”. Dann mal los.Es gibt zu tun. Auszeichnen könnten sich die Industriepolitiker vor allem, sollte es unter der im zweiten Halbjahr 2020 beginnenden EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands gelingen, die Umsetzung Baseler Kapitalregeln und die Überarbeitung der Finanzrichtlinie Mifid II zum Abschluss zu bringen. Im Falle des Bürokratiemonsters Mifid II hat sich in Berlin bereits die Auffassung durchgesetzt, dass nachzubessern und manche Vorschrift zu lockern sei. Beim Abschluss von Basel III ist Vorsicht geboten. Auch wenn die Branche schon die alte Leier von der drohenden Kreditklemme wegen zu strenger Kapitalvorgaben hervorholt, gilt noch immer: Banken, die mehr Eigenkapital haben, können mehr Kredite vergeben, nicht weniger. Und stark kapitalisierte Banken fallen nicht so schnell um wie manches Haus in der Finanzkrise, welche staatliche Rettungsprogramme erforderte, in eine Staatsschuldenkrise überging und eine geldpolitische Orgie nach sich zog, deren Folgen Banken heute beklagen.Zweifellos wird der Abschluss von Basel III die Kapitalanforderungen gerade an deutsche Großbanken spürbar erhöhen. Wenn aber die nationale Aufsicht Banken erst dazu anhält, den Einsatz interner Modelle zu forcieren und auf diese Weise das Eigenkapital zu optimieren, nimmt es nicht wunder, dass die Institute in Deutschland mehr Kapital als andernorts brauchen, wenn der Einsatz dieser Modelle später global beschränkt wird.Auch steht es dem Bundesfinanzminister frei, den Widerspruch aufzulösen, dass er auf der einen Seite Fortschritte bei der Banken- und Kapitalmarktunion anmahnt, zugleich aber zufrieden damit scheint, dass nationale Aufseher den grenzüberschreitenden Transfer von Kapital und Liquidität innerhalb von Bankengruppen nach wie vor unterbinden. Auch im Umgang mit solchen Fragen drückt sich Industrie- und Standortpolitik aus, eher als in Initiativen zu bald scheiternden Fusionsgesprächen.Entschieden wird darüber jeweils nicht in Berlin, sondern in Brüssel. Auch industriepolitisch aber geht es nicht mehr darum, ein Bankenschwergewicht in Deutschland aufzubauen – dieser Zug ist abgefahren. Inzwischen lautet die Frage, ob es europaweit nochmals ein Haus geben wird, das gegen die Größen aus Wall Street und künftig die chinesischen Häuser wird antreten können.——Von Bernd NeubacherIndustriepolitik für Banken zu betreiben, heißt nicht, Fusionsgespräche zu initiieren, sondern der Branche den Rahmen zu setzen – vor allem in Brüssel. ——