Es ist an der Zeit für eine Regulierungspause

100 Gesetze über Fonds - eine Zwischenbilanz

Es ist an der Zeit für eine Regulierungspause

Nach 100 europäischen und deutschen Gesetzen über Fonds seit 2008 ist es Zeit für eine Zwischenbilanz. Die erste gute Nachricht ist: Die Regulierer sind ihrem Ziel, den Verbraucherschutz zu erhöhen und Systemrisiken zu verringern, ein gutes Stück näher gekommen. Deutliche Fortschritte brachten vor allem die großen europäischen Gesetzeswerke wie MiFID II (Markets in Financial Instruments Directive) und PRIIPs (Packaged Retail and Insurance-based Investment Products) sowie das deutsche Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB). Die zweite gute Nachricht: Anders als bei anderen Finanzmarktakteuren hat es bei regulierten Fonds keinen strukturellen Bruch gegeben. Die Grundpfeiler der Branche stehen nach wie vor, auch wenn die Regulierungsflut an ihnen rüttelt.So bleibt der Spezialfonds auch nach Umsetzung der AIFM-Richtlinie Erfolgsgarant des institutionellen Geschäfts. Die anhaltenden Zuflüsse in offene Immobilienfonds beweisen, dass deren Abschaffung dem Bedürfnis der Anleger nach diversifiziertem Immobilienbesitz Hohn gesprochen hätte. Auch die Provisionsberatung bleibt wohl erhalten, zumal in England die sozialpolitischen Schäden eines Provisionsverbots immer deutlicher werden. Mit dem KAGB und jetzt mit dem Kleinanlegerschutzgesetz ist der graue Markt der Kapitalsammelstellen größtenteils reguliert. Schließlich werden einheitliche Informationsblätter Privatanlegern künftig den Vergleich von Finanzprodukten ermöglichen (PRIIPs). Keine schlechte Zwischenbilanz. All das spricht für das Fondsprodukt und die Vernunft der politischen Entscheider.Für Letztere spricht auch die dritte gute Nachricht: In der Politik mehren sich die Stimmen, die für eine Regulierungspause plädieren. Führende CDU/CSU-Finanzpolitiker sprechen sich dafür aus, die während der Finanzkrise erlassenen Vorschriften zu bewerten, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, statt immer weitere zu erlassen. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat dazu bereits erste Gespräche mit den Spitzenverbänden geführt. Positive Signale kommen auch aus Brüssel. Die von Kommissar Hill vorgeschlagene Kapitalmarktunion soll den Binnenmarkt für Investmentfonds fördern. In der Konsequenz müssten nach unserer Lesart Hürden abgebaut werden, statt das Regelwerk weiter zu verdichten. Dichter ParagrafendschungelIn der Tat ist es Zeit für eine Pause. Denn es gibt auch eine schlechte Nachricht: Gesetzgeber und Aufseher haben in den vergangenen Jahren einen immer dichteren Paragrafendschungel geschaffen. Es gibt Anzeichen, dass sie sich selbst kaum noch darin zurechtfinden. Hinter Kürzeln wie MiFID II, AIFMD (Alternative Investment Fund Managers Directive), OGAW V (Richtlinie für Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren), EMIR (European Market Infrastructure Regulation) usw. verbergen sich nicht nur die Vorschriften selbst, sondern auch Konsultationspapiere, Formulare, Fragenkataloge und Korrespondenzakten, die meterweise Regale füllen. Im Wust der Gesetze, Verordnungen, Richt- und Leitlinien geraten die ursprünglichen Ziele eines Regelwerks aus dem Blick. Uneinheitliche oder sich überlappende Vorschriften häufen sich.Kapitalverwaltungsgesellschaften (KVG) müssen zum Beispiel die Risiken im Portfolio regelmäßig der Aufsicht melden. Das ist sinnvoll. Doch dafür muss die KVG gleich fünf unterschiedliche Richtlinien, Verordnungen und Gesetze beachten. Deren Einhaltung überwachen wiederum drei Aufsichtsbehörden. Für die KVG heißt das: fünf Mal Reporting in unterschiedlichem Format, unterschiedlichem Umfang und unterschiedlichen Zeiträumen. Der technische und personelle Aufwand treibt die Kosten – auch zum Nachteil der Verbraucher. Kosten und KollateralschädenÜberregulierung verursacht nicht nur Kosten, sondern auch Kollateralschäden. Das Paradebeispiel hierfür ist die AIFMD. Wenn aus deutscher Sicht etwas schiefging, dann die Definition des AIF – die aber gründlich! Sie macht alles, was kein OGAW ist, zu einem alternativen Investmentfonds. In dem Bestreben, unregulierte Private-Equity- und Hedgefonds zu regulieren, gingen dem EU-Gesetzgeber bereits regulierte deutsche Spezialfonds und offene Immobilienfonds als Beifang ins Netz. Dieser Urfehler verursacht ein Folgeproblem nach dem anderen. MiFID: OGAW gelten grundsätzlich als nicht komplex, AIF nach den Vorstellungen der European Securities and Markets Authority (ESMA) als komplex, offene Immobilienfonds werden daher Einschränkungen im Vertrieb erleiden, obwohl sie nicht komplexer sind als Wertpapierfonds.EU-Trennbankenverordnung: Die EU-Kommission plant, systemrelevanten Banken Anlagen in AIF zu verbieten. Sie zielt auf Hedgefonds; aber Banken und Versicherungen dürften auch nicht mehr in Spezialfonds der eigenen Gruppe investieren. Ganz frisch: Die European Banking Authority (EBA) schlägt vor, alle AIF als Schattenbanken zu qualifizieren. Ein Wertpapier-Spezialfonds wäre also eine Schattenbank, ein Wertpapier-Publikumsfonds mit gleicher Anlagestrategie dagegen nicht, obwohl sich beide nur nach ihren Kunden unterscheiden.Jedes Mal, wenn Europa die Hedgefonds regulieren will, droht deutschen Spezial- und Immobilienfonds sowie ihren Kunden ein Kollateralschaden. Es wird nicht immer gelingen, den Beifang aus dem Netz zu befreien. AIF machen mit 1 600 Mrd. Euro weit über die Hälfte der Assets aus, die deutsche Fondsgesellschaften verwalten. Wenn es zu einer Evaluation der Post-2008-Regulierung kommt, dann gehört die AIF-Definition an erste Stelle.—Thomas Richter Hauptgeschäftsführer des deutschen Fondsverbands BVI