IM INTERVIEW: NOURIEL ROUBINI, STERN SCHOOL OF BUSINESS, ROUBINI GLOBAL ECONOMICS

"Es könnte eine weitere Krise notwendig sein"

Der US-Ökonom über die Idee einer Bankenunion und die Notwendigkeit einer Rückkehr zum Trennbankensystem

"Es könnte eine weitere Krise notwendig sein"

Nouriel Roubini ist einer der weltweit bekanntesten Ökonomen, weil er schon 2006 vor der kommenden Finanzkrise gewarnt hatte. Im Interview der Börsen-Zeitung erklärt der Professor der zur New York University gehörenden Stern School of Business, was Europa gegen eine “Balkanisierung” seines Bankensektors tun sollte.- Prof. Roubini, in Europa ist eine Debatte über eine sogenannte Bankenunion entbrannt, die neben einer einheitlichen europäischen Aufsicht über systemrelevante Banken eine gemeinsame Einlagensicherung und direkten Zugang zum künftigen Rettungsfonds ESM umfassen soll. Was soll dies bringen?Derzeit erleben wir im Bankensektor eine Fragmentierung und Auflösung. Die grenzüberschreitende Interbankenfinanzierung auf dem Wholesale-Markt ist kollabiert. Wir beobachten eine Flucht hochvermögender Kunden aus Südeuropa, zudem beginnt ein stiller Run auf Einlagen in Griechenland. Sollte Griechenland auf ungeordnete Weise die Eurozone verlassen und sollten griechische Einlagen eingefroren und von Euro auf neue Drachmen umgestellt werden, droht ein Bankensturm auch in Italien, Spanien sowie Portugal und in der Folge ein Kollaps des Finanzsystems und ein Zusammenbruch der Eurozone. Noch sind wir davon einige Schritte entfernt. Um diese Gefahr zu bannen, denkt man aber über eine EU-weite Einlagensicherung nach.- Steht auf einem solchen Modell nicht in Großbuchstaben “Moral Hazard”?Es gibt viele Wege, Moral Hazard zu vermeiden. Zunächst ist sicherzustellen, dass die Einlagensicherung durch von den Banken zu zahlende Abgaben finanziert wird. Zweitens braucht man Insolvenzregeln, denen zufolge Verluste zunächst einmal Aktionäre und Gläubiger einer Bank tragen müssen, bevor Geld der Steuerzahler eingesetzt wird. Und zum Dritten muss man Europas Banken rekapitalisieren, sodass sie über genug Kapital verfügen. Meiner Meinung nach darf dieses Geld nicht von Staaten bereitgestellt werden, die dazu ihrerseits Anleihen emittieren müssen. Vielmehr sollte das Kapital direkt aus Mitteln der EU-Rettungsfonds EFSF bzw. ESM injiziert werden. Um Moral Hazard entgegenzuwirken, braucht man zudem ein EU-weit effizientes System der Bankenaufsicht. Sonst würde dem deutschen Steuerzahler natürlich ein erhebliches Kreditrisiko aufgebürdet. All diese Dinge müssen parallel passieren, um die sich derzeit beschleunigende Balkanisierung des Bankensektors zu revidieren.- Aber gerade die Aufsicht hat doch versagt, neben den Banken und der Politik. Seit Beginn der Krise werden Risiken von Banken hin zum Steuerzahler verlagert.Man muss wegkommen von einem politischen System der Bankenaufsicht, wo auf nationaler Ebene Politiker Aufseher und Regulierer kontrollieren, hin zu einem EU-weiten System der Regulierung, das sich bei Banken durchzusetzen und Störungen sowie Moral Hazard zu minimieren vermag.- Auf welche Weise sollte die Einlagensicherung finanziert werden?Das kann eine Finanztransaktionssteuer sein, es kann aber auch eine Abgabe auf Passiva einer Bank sein.- Wenn in der Vergangenheit Schutzmechanismen im Bankensystem eingerichtet wurden, ob nun durch Gründung der Federal Reserve in den USA oder die dortige Einlagensicherung, haben Banken anschließend ihre Kapitaldecke langfristig jeweils reduziert, wohl im Vertrauen, Verluste notfalls sozialisieren zu können – bis manche Großbank vor der jüngsten Krise mit einem Fremdkapitalhebel von 50 arbeitete. Wäre es an der Zeit, Schutzmechanismen eher abzuschaffen als einzurichten, auf dass der Markt Banken diszipliniere, wenn es um deren Refinanzierung geht?Nun, als erstes muss man höhere Kapitalvorgaben durchsetzen. Das bedeutet auch striktere Vorgaben für die Liquiditätshaltung. Um der Marktdisziplin wieder zur Geltung zu verhelfen, brauchen wir meines Erachtens aber zusätzlich Insolvenzregeln, die Verluste zuerst den Aktionären und dann den unbesicherten Gläubigern aufbürden, ob sie nun vor- oder nachrangige Schuldverschreibungen halten. Bis jetzt haben wir dagegen in der Eurozone ein System, das sogar die unbesicherten Schuldverschreibungen von Banken garantiert, und wir haben uns dazu entschieden, zunächst in Irland, dann in anderen Ländern, unbesicherten Gläubigern von Banken keine Verluste aufzubürden. Marktdisziplin wird nicht funktionieren, solange man davor zurückschreckt, für Verluste nicht auch die Bond-Bürgerwehr heranzuziehen. Da muss man harte Entscheidungen treffen. Aber solange man sie nicht trifft, wird es keine Marktdisziplin geben.- Hat denn Paul Volcker recht mit seiner Forderung nach einem Eigenhandelsverbot für Banken, die Einlagensicherung genießen?Es ist wichtig, dass letztlich Steuergeld nicht dazu verwendet wird, riskante Aktivitäten zu finanzieren. Jemand will Eigenhandel betreiben? Bitte, aber dann in einem Hedgefonds oder in einem anderen Finanzinstitut, das nicht der Steuerzahler garantiert. Restriktionen sind daher notwendig. Aber sogar in den USA hat man die Volcker-Regel zu stark aufgeweicht und zu viele Ausnahmen zugelassen, und nun ist sie zu einer Art Witz geworden.- Was ist zu tun?Ich würde so weit gehen und sagen, wir sollten uns fortbewegen von einem System von Universalbanken. Wir sollten zurück zum Trennbanksystem wie zu Zeiten des Glass-Steagall-Gesetzes, um die fundamentalen Interessenkonflikte zu lösen, die sich aus all den Aktivitäten dieser Institutionen ergeben. Das Modell des Finanzsupermarktes mit Commercial Banking, Investment Banking, Asset Management und Versicherung beinhaltet einfach zu viele Interessenkonflikte. Die Anbieter sind zu groß, um umfallen zu können, zu komplex im Management und so weiter. Das Konzept der Chinese Walls ist sozusagen bedeutungslos. Um das Too-big-to-fail-Problem anzugehen, muss man diese Institute daher verkleinern. Auch sollten bestimmte Aktivitäten untersagt werden. Deshalb müssen wir wegkommen von dieser Art System. Dagegen gibt es aber eine Menge Widerstand. Es könnte eine weitere Finanzkrise notwendig sein, bevor man zu Glass-Steagall zurückkehrt. In Europa zum Beispiel hatte man diese Trennung ja von vornherein nicht eingeführt.- Fünf Jahre nach Beginn der Krise gibt es noch immer keine Handhabe für den Umgang mit dem Schattenbankensektor. Wie kommt das?Zunächst ist mehr Eile geboten gewesen im Umgang mit regulären Banken, aber sicher hat der Schattenbankensektor zur Entstehung der Krise beigetragen. Wir haben festgestellt, dass einige dieser Schattenbanken in der Tat systemrelevant sind, entweder allein oder im Ganzen. Also bleiben Schattenbanken fraglos einer der Bereiche in der grenzüberschreitenden Aufsicht, um den man sich im Laufe der Zeit noch wird kümmern müssen. Es besteht auch die Gefahr, dass, je stärker man traditionelle Banken reglementiert, desto mehr Aktivitäten in den Schattenbankensektor abwandern.- Wo muss eine Regulierung denn ansetzen, indirekt etwa bei den Prime-Brokerage-Abteilungen von Investmentbanken oder direkt bei den Akteuren des Schattenbankensektors?Schattenbanking hat als Begriff für viele Dinge herhalten müssen. Da gab es Broker-Dealer, Hedgefonds, Structured Investment Vehicles, Conduits, Geldmarktfonds . . . In einigen Teilen des Schattenbankensystems ist es schon zu einem Run gekommen, und etwa die Structured Investment Vehicles, die Conduits und andere hoch gehebelte Vehikel sind ja schon so gut wie verschwunden. Man kann aber nicht ein Stück der Regulierung etwa eines Broker-Dealers etwa auf einen Geldmarktfonds, einen Hedgefonds, Private Equity oder andere Teile des Systems übertragen. Ich würde etwa sagen, dass Hedgefonds, solange sie nicht systemrelevant sind, sich selbst überlassen werden sollten. Solange sie nicht groß genug sind, dass sie im Falle eines Falles gerettet werden müssen – wen kümmert’s?- Und die großen Hedgefonds?Auf die systemrelevanten Fonds, deren Zusammenbruch ähnliche Effekte nach sich ziehen kann wie damals der Kollaps des Hedgefonds LTCM, sollten wir natürlich achten. Eine Schlüsselrolle spielen dabei sicherlich die Broker-Dealer, ob sie nun als separate Einheit auftreten oder ob sie nun Teil einer größeren Universalbank sind, etwa J.P. Morgan oder Citi. Bei den reinen Broker-Dealern haben wir ja schon eine schöne Bescherung erlebt, bei Bear Stearns, Lehman und zuletzt MF Global.- Werden die USA Basel III einführen?Warum nicht? Man kann feststellen, dass die USA schneller bei der Hand sind als Europa mit der Reregulierung ihres Bankensektors. Ob Sie ihn nun begrüßen oder nicht: Der Dodd-Frank Act hat sich in diese Richtung bewegt, bevor die Europäer dies getan haben. Nun gibt es eine Vereinbarung, die Kapitalziele von Basel III zu erreichen. In Europa haben Banken Probleme, diese Ziele zu erreichen, weil ihnen der Zugang zu privatem Kapital fehlt. Die Banken in den USA haben sich dagegen schneller rekapitalisiert. Also glaube ich, dass die USA Basel III einführen werden. Wichtig wird dabei aber das richtige Tempo sein: Führen sie die mit Basel III verbundenen Belastungen zügig ein, fällt die Kreditklemme umso schärfer aus. Verschieben sie die Einführung weit nach hinten, mangelt es dem System länger an Stabilität.—-Das Interview führte Bernd Neubacher.