„Es war wie Malen nach Zahlen“
sck München – Im Strafprozess um den Wirecard-Betrugsskandal hat der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft neben dem angeklagten Ex-CEO Markus Braun und dem flüchtigen Konzernvorstand Jan Marsalek auch den früheren Finanzvorstand Burkhard Ley erneut schwer belastet.
In seiner umfangreichen Befragung durch den Vorsitzenden Richter Markus Födisch am Landgericht München I sagte der mitangeklagte Oliver Bellenhaus aus, dass die „Idee“ für das dubiose Drittpartnergeschäft im Ausland (Third-Party Acquiring, TPA) Marsalek und Ley hatten. Dafür gründete Bellenhaus in seiner früheren Tätigkeit als Wirecard-Manager nach eigener Auskunft den arabischen Geschäftspartner Al Alam mit Sitz in Dubai. Er, so Bellenhaus, habe mit Ley im Jahr 2013 darüber gesprochen. Seinerzeit beförderte der damalige CFO Bellenhaus zum Geschäftsführer einer Konzerntochter in Dubai, um von diesem Standort aus die TPA-Geschäfte zu steuern. „In dem Gespräch mit Ley war mir schon klar, dass es in Dubai nicht um Straightforward-Finanzierung geht“, sagte Bellenhaus vor der Vierten Wirtschaftsstrafkammer am sechsten Verhandlungstag.
Die vom einstigen Dax-Aufsteiger Wirecard als Umsätze verbuchten TPA-Geschäfte haben nie existiert, wie sich im Frühjahr 2020 im Rahmen einer Sonderprüfung durch KPMG herausgestellt hatte. Wochen später brach der Zahlungsabwickler mit Sitz in Aschheim bei München nach den aufgeflogenen Luftbuchungen zusammen. Der vierte Sachstandsbericht des Wirecard-Insolvenzverwalters Michael Jaffé bestätigte den Befund der Wirtschaftsprüfer. In seiner Befragung bezog sich Födisch auf das Insolvenzgutachten der auf Wirtschaftsrecht spezialisierten Anwaltskanzlei Gleiss Lutz.
„Window-Dressing“
Der gelernte Bankkaufmann Ley hatte im Vorstand von Wirecard das Finanzressort und das Personalwesen von 2006 bis Ende 2017 geführt. Nach seinem Wechsel in den Ruhestand war er für seinen früheren Arbeitgeber beratend tätig gewesen. Leys Nachfolge trat Alexander von Knoop an. Nach dem Zusammenbruch von Wirecard saß Ley zeitweise in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft München soll beide weiterhin als Beschuldigte führen.
Bellenhaus zufolge war nach dem Organigramm für den TPA-Bereich im Vorstand eigentlich die für Technik und Produkte verantwortliche Susanne Steidl zuständig gewesen. De facto aber lag die Zuständigkeit seinen Worten zufolge bei Marsalek.
Das heißt, dass Letzterer auch die vielen Verträge mit den Drittpartnern aus dem Ausland „gemacht“ habe. Später stellte sich heraus, dass auch diese Verträge vom Management frei erfunden waren. „Es war klar, es handelte sich um gefälschte Verträge. Diese gab es nicht“, so Bellenhaus. „Es war ab 2013 klar, dass wir Window-Dressing betreiben.“ Nach seiner Darstellung „passte“ er, Bellenhaus, zusammen mit Stephan von Erffa in Abstimmung mit Marsalek diese Verträge an, um die Dokumente für die Konzernbilanzierung nach IFRS „tauglich“ zu gestalten. „Es war ein Riesenchaos. Der Wirtschaftsprüfer brauchte etwas. Dann herrschte Panik. Es war wichtig, den Wirtschaftsprüfer glücklich zu machen“, sagte der Kronzeuge über den Konzernabschlussprüfer EY. Der frühere Konzernchefbuchalter von Erffa sitzt ebenfalls auf der Anklagebank.
Unter Zeitdruck hatten die Manager etwas zusammengeschustert. „Es fehlten die erforderlichen Unterschriften, es wurden falsche Vertragspartner ausgeführt, es gab keine nachvollziehbaren Datumsangaben“, sagte Bellenhaus. „Das war unserer Inkompetenz geschuldet. Wir haben vorab versucht, zu antizipieren, was der Wirtschaftsprüfer haben will.“ Das Spiel sei „allen Beteiligten klar gewesen. Braun musste nur die Unterschriften leisten.“ Spätestens mit Einführung der sogenannten „Treuhandkonten war klar, in welche Richtung das geht“. Es sei „wie Malen nach Zahlen“ gewesen, ergänzte Bellenhaus. Man habe diese vielen Zahlen gehabt und dazu für den Prüfer ein passendes Bild gezeichnet.