IM INTERVIEW: ROBERT SCHARFE

"Es wird keinen Gewinner geben"

Der Chef der Luxemburger Börse über den Brexit, die Position seines Hauses und die EU-Börsenlandschaft

"Es wird keinen Gewinner geben"

Robert Scharfe, CEO der Luxemburger Börse, geht im Interview der Börsen-Zeitung auf den Brexit und seine Konsequenzen für den Luxemburger Finanzplatz ein. Scharfe sieht durch die Scheidung Großbritanniens von der EU keine Gewinner, auch nicht für die “Spezialitätenbörse” Luxemburgs – wie er sie nennt. Er spricht sich für eine weiterhin enge Zusammenarbeit mit dem Finanzplatz London aus.- Herr Scharfe, sehen Sie den Finanzplatz Luxemburg als einen Brexit-Gewinner an?In der Brexit-Frage wird es mit Blick auf die Kapitalmärkte keinen Gewinner geben. Durch diese Entscheidung wird der europäische Kapitalmarkt außerhalb Europas eher als geschwächt angesehen. Die nun entstehenden Verschiebungen von Großbritannien und Kontinentaleuropa sind eben nur Verschiebungen und keine Verstärkungen. Wir müssen aber jetzt mit dieser Realität leben. Der Zugang zum EU-weiten Vertriebsmarkt für Kapitalmarkt- oder andere Finanzprodukte ist für eine Reihe von Akteuren sehr wichtig. Der luxemburgische Finanzplatz ist in diesem Zusammenhang – wie andere Finanzplätze auch – dafür offen, bestimmte Aktivitäten am Platz zu verstärken. Darüber wird dann auch in Zukunft der Vertriebsweg in die EU gewährleistet sein.- Glauben Sie, dass der zweijährige Verhandlungsprozess reichen wird, um die formale Scheidung Großbritanniens von der EU zu realisieren?Diese Frage kann aus heutiger Sicht keiner abschließend beantworten. Wir betreten – wie man heute sagt – “unchartered territory”, also absolutes Neuland. Es hat sich nach den ersten Wochen der begonnenen Verhandlungen ja bereits herausgestellt, dass die gesamte Angelegenheit enorm komplex ist. Ich glaube, dass es im Interesse beider Seiten ist, im Sinne von Europa einen verträglichen Kompromiss zu finden.- Welche Herausforderungen kommen auf den Luxemburger Platz durch den Brexit zu?Luxemburg ist traditionsgemäß ein sehr internationaler Kapitalmarkt und auch ein sehr großer Anbieter von innovativen Finanzdienstleistungen. Das gilt insbesondere für den Bereich des Fondsvertriebs. Der Finanzplatz London ist für Luxemburg ein sehr starker und wichtiger Partner. Das war in der Vergangenheit so, und das wird auch künftig der Fall sein. London als führender Finanzplatz in Europa ist die treibende Kraft beim Thema Regulierung, vor allem bei der Regulierung grenzüberschreitender Aktivitäten gewesen. Der Finanzplatz London hat dabei immer wieder versucht, an diese Themen mit dem nötigen Realitätssinn heranzugehen. Zu befürchten ist nun, dass man künftig wieder mit vermehrt nationalen Ansichten an diese thematischen Aspekte herangehen wird. Dies würde dem internationalen EU-Kapitalmarkt sowie dessen Akteuren nicht zuträglich sein.- Welche Chancen bietet der Brexit Luxemburg?Der Finanzplatz Luxemburg ist in den Bereichen Vermögensverwaltung, Private Equity und Investmentfonds sehr stark positioniert. Diese Geschäftsbereiche werden künftig wohl sehr stark ausgebaut werden. Dies geschieht aber nicht durch reine Verlagerungen, sondern über den Ausbau bereits bestehender Aktivitäten an diesem Platz oder durch Neuansiedlungen, damit der EU-Markt als Vertriebsmarkt genutzt werden kann. Diese Bereiche sind die Hauptgebiete, auf denen der Luxemburger Finanzplatz seine Stärken ausspielen kann. Ein weiterer Bereich ist das Versicherungsgeschäft, in dem Luxemburg als Standort für grenzüberschreitende Aktivitäten offenkundig sehr gefragt ist. Insbesondere bei den Spezialversicherungen entscheiden sich neue Akteure für Luxemburg als Hauptstandort innerhalb der EU.- In welchen Bereichen sehen Sie am ehesten künftig verstärkt Interesse am Luxemburger Platz: Banken, Versicherer, Fonds, Vermögensverwaltung?Im Fondsbereich stellen die britischen Assetmanager in Luxemburg die zweistärkste Kraft dar nach ihren Kollegen aus den USA. Das betrifft rund 17 % der Anlagevolumina von knapp unter 4 Bill. Euro. Dieser Teil wird hier im Land sicher weiter verstärkt werden. Dazu kommt der Bereich Private Equity sowie die Versicherer. Um es ein wenig allgemeiner zu formulieren: Es sind die weniger arbeits- bzw. kapazitätsintensiven Aktivitäten, die ihren Weg wohl nach Luxemburg finden werden. In diesem Zusammenhang sind immer auch die begrenzte Dimension des Finanzplatzes und die Geografie des Landes zu sehen. Es gibt in Luxemburg nur begrenzte Möglichkeiten und Kapazitäten, bestimmte Volumina der genannten Geschäftsbereiche aufzufangen.- Die Luxemburger Börse ist ein sehr beliebter Platz für Anleihelistings. Sehen Sie in diesem Bereich Potenzial für sich?Wir sehen ein sehr großes Potenzial für Listings in Bezug auf mehr Transparenz und mehr Sicherheit für internationale Anleger, aber eben nicht unbedingt in Bezug auf den Brexit-Aspekt. Wir haben da eher die Veränderungen an den internationalen Finanzmärkten im Blick. In diesem Zusammenhang sind wir als Spezialitätenbörse sehr gut positioniert. Unsere Dienstleistungs- und Serviceofferte haben wir sehr stark an die unterschiedlichen Bedürfnisse der Märkte bzw. Marktteilnehmer angepasst. Als Beispiel sei hier unsere Führungsrolle im Bereich der nachhaltigen Finanzierungen angeführt. Diese Anpassungen werden wir auch in der Zukunft vornehmen, und zwar vollständig unabhängig von den Brexit-Diskussionen.- In welchen Anleihebereichen – Green Bonds, Sukuks, konventionelle Anleihen – erwarten Sie künftig am ehesten Zuspruch durch den Brexit?Es ist heute zu früh, um abzuschätzen, was der Brexit für Notierungen von internationalen Wertpapieren wie Anleihen von nichteuropäischen Emittenten an der Londoner Börse bedeuten wird. Das lässt sich heute nicht abschließend beantworten, aber die Frage wird heute natürlich schon gestellt. Es könnte also durchaus sein, dass für außereuropäische Emittenten von Anleihen diverser Arten ein Listing an einer Börse innerhalb der EU interessanter wird als in London.- Profitiert die Luxemburg Green Exchange von dem Brexit?Grüne Anleihen entwickeln sich derzeit sehr stark, und zwar auf globaler Ebene. Sie sind aber erst in der Anfangsphase ihrer Entwicklung. Es sind starke Wachstumssprünge dieses Segments in Europa, aber auch in China und in den USA festzustellen. Die mittelasiatischen Märkte sind sehr wachstumsstarke Märkte, die aber keinen direkten Brexit-Bezug aufweisen. Dieser junge Markt der grünen Anleihen ist derzeit dabei, sich seine internationale Basis zu formen. Die Green Exchange in Luxemburg ist als Vorreiter auf diesem Gebiet sehr gut positioniert. Brexit spielt hier momentan keine Rolle.- Wie sieht es diesbezüglich mit Ihren Erwartungen bezüglich Aktienlistings aus?Wir sind traditionell eine Börse für Notierungen und Handel von festverzinslichen Wertpapieren, und zwar auf internationaler Bühne. Ich glaube, im Bereich von Aktien wird Luxemburg auch künftig keine große Rolle spielen. Daran ändert auch der Brexit nichts.- Gehen Sie als Börse auf Marketing-Tour in Großbritannien?Nicht in Großbritannien, sondern ganz allgemein. Die Emittenten der bei uns an der Börse gelisteten Anleihen kommen aus rund einhundert Ländern. Uns interessiert, aus welchen Gründen sich Emittenten in der Vergangenheit für ein Listing an der Londoner Börse entschieden haben. Diese Emittenten würden wir ganz gern von den Kapazitäten und den Vorteilen der führenden Anleihebörse im EU-Raum überzeugen. Unsere Marketing-Anstrengungen sind insofern sehr international ausgerichtet.- Wer startet aus Großbritannien heraus Anfragen bei der Luxemburger Börse?Ganz allgemein gibt es Anfragen aus aller Herren Länder bei uns, weil Brexit schlichtweg ein sehr großes Fragezeichen darstellt. Keiner kennt verständlicherweise die künftigen Auswirkungen des Brexit in Bezug auf den EU-stämmigen Anleger. Wir können infolgedessen zum jetzigen Zeitpunkt keinen Trend hin zu einem bestimmten künftigen Emissions- oder Listingverhalten feststellen.- Können Sie sagen, mit welchen Arten von Anfragen Sie konfrontiert werden?Es geht vornehmlich um Regulierungsfragen, die von Interesse sind. Es geht in diesem Zusammenhang um die Frage, wie sich die Regulierung in London gegenüber der EU darstellen beziehungsweise weiterentwickeln wird. Bleibt sie gleich, wird sie abgewandelt? Werden wir einen zweigeteilten Kapitalmarkt in Europa haben – einen Kapitalmarkt der zwei Geschwindigkeiten? Oder anders ausgedrückt: Wird es zwischen London und der EU Abweichungen geben? Wir haben ein Interesse daran, dass London in der Regulierung der Finanzmärkte sehr eng mit der EU verbunden bleibt. Wir wollen die Stärken, die London und die EU haben, weiterhin gemeinsam anbieten, insbesondere mit Blick auf die internationalen Anleiheemittenten, für die wir weiterhin in Europa attraktiv bleiben wollen. Dies gilt auch für die Entwicklung einer effizienten Kapitalmarktunion, die zwar aktienlastig sein wird, aber eben auch auf einer soliden Kapitalmarktfinanzierung basieren muss.- Nach der gescheiterten Fusion von Deutscher Börse und London Stock Exchange: Ist das Thema M & A in der Branche der Börsenbetreiber noch aktuell?Die Frage, ob wir in Europa der enormen Konzentration der Börsen in den USA oder an den asiatischen Märkten eine Alternative bieten können, bleibt nach dem Scheitern dieser Fusion unbeantwortet. Brauchen wir stärkere Börsen? Ja, denn wir brauchen stärkere Märkte, die von stärkeren Betreibern konkurrenzfähig bereitgestellt werden können. Wir benötigen noch höhere Volumina an den Märkten und auch mehr Effizienz in einzelnen Segmenten. Und genau das hätte eine Fusion der beiden Betreiber herbeiführen können. Die europäische Börsenlandschaft ist heute weiterhin sehr fragmentiert und wird auf dieser Basis keine Alternative zu den Global-Playern darstellen. In dieser Hinsicht ist das Thema Börsenfusion in Europa nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben.- Gibt es bei Ihnen im Hause Überlegungen für Kooperationen mit anderen Börsenbetreibern?Wir sind eine kleine Börse in einem kleinen Land. Aber traditionell sind wir eine sehr offene Institution. Unser Geschäft gestaltet sich ausgesprochen international. Wir arbeiten heute recht eng mit der Euronext zusammen, und zwar im Bereich Trading-Plattformen. Wir befürworten prinzipiell Kooperationen zwischen Börsen, da sie für Effizienz, insbesondere für Kosteneffizienz sorgen. Die Luxemburger Börse ist eine reichlich spezialisierte Börse. Für uns ist es enorm wichtig, dass wir einen hohen Grad an Flexibilität behalten, damit wir uns weiterhin sehr schnell an die sich rasant verändernden Marktverhältnisse anpassen können. Entscheidungsfreiheit ist infolgedessen überaus wichtig für uns.- Der Markt für Mittelstandsanleihen in Deutschland ist gescheitert. Ein solcher Markt hätte aber mit Sicherheit Potenzial. Ist das für Sie ein Thema?Wir beobachten die Entwicklung an den Kapitalmärkten sehr genau. In diesem Zusammenhang ist das Projekt Kapitalmarktunion zweifelsohne ein Thema, das uns auch sehr beschäftigt. Die Mittelstandsfinanzierung steht im Mittelpunkt dieser EU-Initiative, allerdings eher mit Blick auf Aktienfinanzierung. Die Kapitalmarktunion soll den diesbezüglichen Kapitalmarktzugang für mittelständische Unternehmen vereinfachen. Die Luxemburger Börse fokussiert traditionsgemäß aber eher die Fremdkapitalfinanzierung, also die Anleihen in ihren unterschiedlichen Ausprägungen. Wir vertreten die Auffassung, dass ein gut funktionierender Aktienmarkt eben auch einen gut funktionierenden, starken Anleihemarkt voraussetzt. Eine europaweite Initiative der Mittelstandsfinanzierung – auch über Anleihen – könnte vielleicht eher Erfolg haben. Denn diese hätte eine andere Dimension, eine breitere Auswahl an etwaigen Emittenten und auch einen sehr viel größeren und vor allem heterogeneren Kreis an Investoren. Eine europäische Lösung wäre sicherlich eine Alternative zum bisherigen Modell der deutschen Mittelstandsbonds.—-Das Interview führte Kai Johannsen.