PARADIGMENWECHSEL

ESG-Maximalisten sorgen für Unruhe

Erste Fonds boykottieren US-Staatsanleihen

ESG-Maximalisten sorgen für Unruhe

Von Björn Godenrath, FrankfurtWelche Auswüchse das Anlegen von Klimaschutzkriterien gemäß ESG-Ansatz (Environment, Social, Governance) annehmen kann, wird nirgendwo so offensichtlich wie im Falle von auf Ausschluss basierenden Investmentstrategien. Zugegeben: Einschränkungen kommen in allen Farben und Schattierungen, und vieles lässt sich gut nachvollziehen, etwa wenn die von Stefan Ingves geführte schwedische Notenbank (Riksbank) entscheidet, sich von gewissen Anleihebeständen “aus Klimagründen” zu trennen. Im November wurde mitgeteilt, man wolle zur Klimapolitik von Regierung und Parlament “ein Stück weit” beitragen, indem man bei Investments in ausländische Währungsreserven Sustainability-Aspekte einfließen lasse. Dies setzt die Riksbank um, indem sie Emittenten ablehnt, die “einen großen Klima-Fußabdruck” haben. Rohstoffförderung schwierigAus dem Raster gefallen waren damit zum einen Papiere der kanadischen Provinz Alberta. Dort findet die Gewinnung von Ölsand statt, was eine Reihe umweltschädlicher Nebenwirkungen hat. Zum anderen wurden Papiere der australischen Bundesstaaten Queensland und Western Australia verkauft. Dort findet eine umfangreiche Ausbeutung von Rohstoffen statt. In Australien haben Wissenschaftler nun begonnen, ESG-Kriterien für Minenprojekte zu erarbeiten, droht schmutzigen Baustellen doch ein Finanzierungsstopp durch internationale Investoren – selbst wenn es sich um Rohstoffe handelt, die dringendst in globalen Lieferketten gebraucht werden. Auch das gilt es einzukalkulieren, wenn Ausschlusskriterien formuliert werden: Globale Lieferketten sind empfindlich für kleinste Störungen.Doch während jeder Laie diese schwarze Liste der Riksbank nachvollziehen kann, wird es an anderer Stelle schwierig – insbesondere da, wo in Eigenregie “ethische Standards” formuliert werden. Bestes Beispiel dafür sind ESG-Fonds, die es ablehnen, in US-Staatsanleihen zu investieren. Vehikel von Erste Asset Management, Berenberg, Union Investment sowie der staatliche französische Pensionsfonds (ERAFP) stecken nicht einen Euro in das weltweit liquideste Wertpapier, das im Gegensatz zu europäischen Emissionen auch noch Rendite abwirft.Dieser Boykott kann nicht nur auf Kosten der Rendite gehen, er engt auch die Diversifikation ein – und für all das sind die Fonds ihren Investoren Rechenschaft schuldig, sollte die Performance zu stark hinter klassischen Benchmarks zurückbleiben. Wobei ein gewisser Renditerückstand für ESG-Investoren grundsätzlich akzeptabel zu sein scheint.Für Rupini Deepa Rajagopalan, bei Berenberg Leiterin der ESG-Aktivitäten im Wealth und Asset Management, stellt das Aufkommen nachhaltiger Finanzprodukte eine Abkehr vom kalten Shareholder-Kapitalismus dar. Zwar sei es kein Novum, dass Anleger ökologische und ethische Aspekte in ihre Entscheidungen einbeziehen. Aber das Wachstum an nachhaltigen Fonds zeigt, dass ESG-Aspekte am Kapitalmarkt immer bedeutender werden. Jeder weiß: Wer als Klimasünder enttarnt wird, der hat Probleme mit der Reputation. Und Firmen, die nicht der entstehenden grünen Taxonomie entsprechen, dürften künftig Probleme haben, Geld über den Kapitalmarkt aufzunehmen, bzw. es bleiben dann die Kauforders aus für Papiere, die auf der Blacklist stehen. Da baut sich eine Bugwelle auf, die gehörig Kollateralschäden anrichten kann. Selektives Vorgehen möglichKriterien für den Ausschluss von Treasuries seien neben der Haltung der USA zum Klimawandel der Bestand an Atomwaffen sowie die Todesstrafe, sagt Rajagopalan. Selektiv vorgehende ESG-Fonds zeichnen dagegen einzelne US-Unternehmensanleihen oder Hypothekenbonds, was der Risikodiversifikation nützt. Viele orientieren sich wiederum an ESG-Ratings, klammern aber einen gewissen Teil ihres Portfolios von spezifischen ESG-Kriterien aus und investieren nur zwei Drittel der Fondsmittel nach strengsten Sustainability-Regeln.Auch wenn bislang nur zarte Anfänge eines ESG-Maximalismus sichtbar sind, so kann dieser Trend schon bald systemische Wirkung entfalten. Und zwar spätestens, wenn Notenbanken bei Ankäufen wie auch immer als schmutzig definierte Papiere meiden sollten.