ESG-Transformation und geopolitische Risiken
In der Folge des Ukraine-Krieges erleben wir aktuell eine doppelte Zeitenwende. Die Auswirkungen des Krieges erfassen Politik und Wirtschaft, und das mit großer Kraft und gleich in zweifacher Hinsicht: Zum einen müssen fossile Energieträger sukzessive von erneuerbaren abgelöst werden. Das ist eine der fundamentalsten Änderungen der technologischen Grundlagen unseres Wirtschaftens seit Menschengedenken und bildet den Kern der derzeitigen Diskussion der ESG-Transformation. Zum anderen zerstören die durch den Ukraine-Krieg ausgelösten geopolitischen Veränderungen die seit Jahrzehnten geltenden Grundannahmen einer globalisierten Wirtschaft – mit Folgen für Banken.
Jede dieser epochalen Veränderungen beeinflusst schon heute für sich allein genommen das Handeln der Banken in ihren Kundenbeziehungen und Produktangeboten, ebenso wie das Risiko- und Compliance-Management. Wie aber wirken sich die geopolitischen Änderungen auf die ESG-Transformation aus, und wie übersetzen sich diese Auswirkungen für eine Bank in konkretes Handeln? Wir meinen: Die ESG-Transformation bleibt ganz oben auf der Agenda, und sie bleibt eine Wachstumsstory für Banken – auch wenn sie herausfordernder wird. Klar ist: Sie muss sehr schnell sehr viel breiter gedacht werden, als das in der bisherigen Verengung auf die bloße Ablösung fossiler Energieträger der Fall ist.
E ist mehr als Klima
Bislang weniger beachtete Aspekte der E-Transformation, insbesondere die Bedeutung der Kreislaufwirtschaft, treten stärker in den Vordergrund. Die Dimensionen Social und Governance bestimmen als Ausdruck gemeinsamer Werte von Staaten und Unternehmen mehr denn je die Sicht der Öffentlichkeit auf das Handeln und damit die Reputation von Unternehmen. Und sie bestimmen zunehmend die Möglichkeiten und Risiken des wirtschaftlichen Austausches. Damit werden auch die Dimensionen S und G für Banken zu zentralen Elementen des Risikokalküls.
Es sind diese Grundgedanken, die den roten Faden für den Zehn-Punkte-Plan bilden, mit dem Banken nach unserer Einschätzung in ihrer ESG-Transformation konkret auf die geopolitische Zeitenwende reagieren können. Das gehört auf die Top-Management-Agenda als Punkt 1: Die veränderte Bedeutung geostrategischer Rahmenbedingungen in allen Geschäftsentscheidungen der Bank systematisch reflektieren. Das gilt insbesondere für die ESG-Agenda – sie muss den neuen geopolitischen Gegebenheiten angepasst und breiter aufgestellt werden. Ob Betriebsmodell oder Kundenbeziehungen: Die ESG-Strategie muss E, S und G umfassend einbeziehen. Aktuell, das zeigt die KPMG-Marktstudie zur ESG-Integration im Risikomanagement, priorisiert die Mehrheit der Banken klimabezogene Risiken und stuft andere ESG-Aspekte als deutlich weniger relevant ein.
Punkt 2: Den Dialog mit den politischen Entscheidungsträgern ausbauen. Die Bedeutung des Staates für die Wirtschaft nimmt aufgrund der geopolitischen Zeitenwende weiter zu. Denn Wirtschaftsbeziehungen müssen zunehmend unter dem Aspekt geopolitischer Machtverteilung gedacht werden. Im Banken-Management sollten daher die Planungen und Maßnahmen des Staates eine zentrale Rolle spielen.
Punkt 3: Die Kompetenz in den Themenfeldern „Erneuerbare Energien und Energieeffizienz“, „Digitalisierung und Konnektivität“ sowie „Kreislaufwirtschaft“ ausbauen. Banken als Begleiter dieser Entwicklungen brauchen die Fachkompetenz neuer Talente sowie unternehmensinterne Weiterbildung.
Punkt 4: Neben dem klassischen Kreditgeschäft Stärkung der Kapitalmarkt- und Strukturierungskompetenz sowie der themenspezifischen Kompetenzen im Asset- und Wealth Management. Um geschätzte 6 Bill. Euro Investitionen für das Erreichen von Net Zero in Deutschland aufzubringen, wie McKinsey errechnet hat, ist die gesamte Breite der Finanzierungsinstrumente und die Einbeziehung aller Investoren, institutioneller wie privater, erforderlich. Dementsprechend müssen auch die dafür notwendigen Strukturierungs- und Vertriebskapazitäten ausgebaut werden. Wie verwundbar und risikobehaftet sind Waren- und Geldströme?
Punkt 5: Kreditmanagement- und -analysesysteme zum Erkennen und Steuern geostrategischer Abhängigkeiten ausbauen, nicht nur mit Blick auf Großunternehmen, sondern auch auf den Mittelstand. Wichtig ist die geostrategische Verwundbarkeit der Energieversorgung sowie der Liefer- und Absatzbeziehungen. Neben der Dekarbonisierung sind daher auch S- und G-Aspekte umfassend als Kreditrisiken zu interpretieren und im Zusammenspiel mit unternehmensbezogenen Länderrisiken zu analysieren. So sollten Banken zum Beispiel analysieren, wie sie sich in der wieder in den Vordergrund drängenden Frage zur Finanzierung von Rüstungsgütern aufstellen, und die politischen Diskussionen rund um die Sozial-Taxonomie genau beobachten.
Punkt 6: Die IT-Unterstützung der Compliance-Funktion unter Nutzung verbesserter und lernender Algorithmen weiterentwickeln. Nur so ist sie dauerhaft der Komplexität, teilweisen Widersprüchlichkeit und Variabilität der globalen Sanktionsregeln gewachsen, und nur so bleiben die Kosten der Compliance-Funktion beherrschbar. Da, wo Staaten oder Lieferanten S- und G-Standards nicht einhalten, also nicht Teil derselben Wertegemeinschaft sind wie westliche Staaten, Unternehmen und Banken, bestehen erhöhte Risiken. So könnten solche Staaten das Ziel von Sanktionen werden oder umgekehrt den Ausgangspunkt von Cyberattacken darstellen. Die Betrachtung von S- und G-Gesichtspunkten im Rahmen der Analyse der operativen Resilienz wird daher zu einem wichtigen Bestandteil der ESG-Umsetzung in Banken.
Punkt 7: Das IT-Risikomanagement systematisch in das Risikomanagement der Bank integrieren und die IT-Sicherheit mit der Risikosteuerung als strategische Disziplin verknüpfen. Punkt 8: Die eigenen Bankprozesse mit Blick auf die Unabhängigkeit von globalen Lieferketten überprüfen und bestehende Outsourcing-Risiken abbauen. Punkt 9: Nichtfinanzielle Risiken systematisch in Simulationen, Planungen und ICLAAP berücksichtigen und als wesentlichen Erfolgsfaktor für die Banksteuerung interpretieren.
Kommunikation ist wichtig
Gerade in Zeiten epochaler Transformationen ist die Kommunikation von entscheidender Bedeutung für die Sicherheit und Stabilität einer Bank. Darin liegt die große Bedeutung unseres abschließenden Punkts 10: Ausbau einer strategisch ausgerichteten Kommunikation, um konsistente Botschaften über alle relevanten Kommunikationskanäle in kurzer Zeit zur Verfügung stellen und so der wachsenden Gefahr von Reputationsrisiken wirkungsvoll entgegentreten zu können.