Europäische Bankenaufsicht bringt neue Herausforderungen mit sich
Von Dr. Christian SchmiesPartner Frankfurter Büro von Hengeler Mueller Partnerschaft von Rechtsanwälten mbBAm 4. November 2014 hat der europäische “Einheitliche Aufsichtsmechanismus” (Single Supervisory Mechanism – SSM) seine operative Tätigkeit aufgenommen. Nachdem sich die europäischen Staats- und Regierungschefs im Juni 2012 grundsätzlich auf die Errichtung einer einheitlichen Bankenaufsicht bei der Europäischen Zentralbank (EZB) verständigt hatten, wurden in den darauffolgenden Monaten mit beeindruckendem Tempo die rechtlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen für die europäische Bankenaufsicht geschaffen.Nunmehr werden sogenannte bedeutende Institute, aktuell 122 Bankengruppen, unmittelbar durch die EZB beaufsichtigt. Weniger bedeutende Institute werden grundsätzlich weiterhin durch die nationalen zuständigen Behörden (National Competent Authorities – NCA) beaufsichtigt, allerdings beschränkt durch Befugnisse der EZB auch hinsichtlich dieser Institute unter der SSM-Verordnung.Der politische Wille zur zügigen Europäisierung der Bankenaufsicht bedingte, dass die Bankenaufsicht auf der Grundlage bestehender europarechtlicher und organisatorischer Rahmenbedingungen errichtet werden musste. Fortwirkende praktische Implikationen ergeben sich daraus unter anderem wegen des Erfordernisses der Trennung geldpolitischer und bankaufsichtlicher Entscheidung und der Stellung des EZB-Rats als Entscheidungsgremium der EZB, die beide zur Errichtung eines neuen Aufsichtsgremiums (Supervisory Board) bei der Europäischen Zentralbank führten, welches für Fragen der Bankenaufsicht zuständig ist.Allerdings bleibt auch für den Bereich der Bankenaufsicht der EZB-Rat das Entscheidungsorgan der EZB, während das Supervisory Board in rechtlicher Hinsicht lediglich Entscheidungen des EZB-Rats vorbereitet. Formal muss der EZB-Rat pro Jahr mehrere tausend bankaufsichtliche Entscheidungen treffen. Die SSM-Verordnung sieht bereits Mechanismen zur Beschleunigung des Entscheidungsverfahrens vor, wie die Beschlussfassung im schriftlichen Verfahren beziehungsweise die Fiktion der Annahme eines Entscheidungsvorschlags durch den EZB-Rat nach Ablauf bestimmter Fristen. Gleichwohl erscheinen weitere Flexibilisierungen des Entscheidungsverfahrens geboten.Die EZB trägt nach der SSM-Verordnung die Verantwortung für eine einheitliche Funktionsweise des SSM. Allerdings übt die EZB ihre Befugnisse in einem Umfeld unvollständiger Vereinheitlichung des materiellen Bankaufsichtsrechts aus. Obgleich das europäische Bankaufsichtsrecht zunehmend in unmittelbar anwendbaren europäischen Verordnungen anstatt in Richtlinien kodifiziert wird, die noch der Umsetzung durch nationale Gesetzgeber bedürfen, sehen die europäischen Rechtsgrundlagen weiterhin eine Vielzahl nationaler Wahlrechte vor. Die EZB ist bei der Ausübung der Bankenaufsicht verpflichtet, nicht nur das anwendbare Europarecht, sondern auch einschlägiges nationales Recht anzuwenden. Die verbleibenden nationalen Spielräume bei der Umsetzung europäischer Richtlinien stehen dabei in einem Spannungsverhältnis zur Verantwortung der EZB für die einheitliche Funktionsweise des SSM. Nicht nur im materiellen Recht ergeben sich Herausforderungen für die europäische Bankenaufsicht: Während das materielle europäische Bankaufsichtsrecht trotz verbleibender nationaler Unterschiede schon weitgehend harmonisiert ist, übernimmt die EZB jedenfalls für die direkt von ihr beaufsichtigten Banken nunmehr weitgehend die Aufgaben der nationalen Aufsichtsbehörden, die bislang jeweils auf der Grundlage ihrer nationalen Verfahrensrechte und darunter praktizierter Verwaltungstraditionen agierten. Die SSM-Verordnung selbst statuiert grundlegende Verfahrensanforderungen, wie das Recht auf rechtliches Gehör in Verfahren mit der EZB, Verteidigungsrechte der betroffenen Personen sowie die Pflicht der EZB zur Begründung von Entscheidungen.Aufgrund der Unterschiede in den bislang weitgehend national geübten Verwaltungspraktiken stellt es gleichwohl eine große Herausforderung für die EZB dar, für konsistente Verfahrensabläufe und für die Akzeptanz ihres Verwaltungsansatzes bei den Aufsichtsunterworfenen zu sorgen. Die Bundesbank hat bereits darauf hingewiesen, dass die Akzeptanz für die Vorgehensweise der EZB bei den beaufsichtigten Unternehmen zum Beispiel durch mehr Transparenz über aufsichtliche Konzepte und die dahinter stehenden Methoden weiter verbessert werden könnte.Neuerungen ergeben sich für die aufsichtsunterworfenen Unternehmen auch bei der rechtlichen Kontrolle von Aufsichtsentscheidungen. Bei der EZB selbst wurde mit dem Administrative Board of Review (ABoR) ein internes Kontrollgremium errichtet, das auf Antrag der betroffenen Partei aufsichtliche Maßnahmen der EZB prüft. Die Entscheidungen des ABoR haben keine aufschiebende Wirkung und binden weder das Supervisory Board noch den EZB-Rat. Die Anrufung des ABoR ist auch keine Voraussetzung für gerichtlichen Rechtsschutz gegen Entscheidungen der EZB. Vor diesem Hintergrund dürfte es für die weitere Bedeutung des ABoR entscheidend darauf ankommen, ob dieser in den ersten Verfahren ausreichende Glaubwürdigkeit als kritisches Prüfungsgremium herstellen kann. Im Hinblick auf den gerichtlichen Rechtsschutz gehen die Zusammenarbeit von EZB und nationalen Behörden sowie die Anwendung auch nationalen Rechts durch die EZB mit interessanten Rechtsfragen einher. Soweit die EZB Entscheidungen unmittelbar an ein direkt beaufsichtigtes Institut richtet, steht diesem nach Maßgabe von Art. 263 (4) AEUV der Rechtsweg zum Gerichtshof der Europäischen Union offen. Aufgrund der Verpflichtung der EZB zur Anwendung nationalen Rechts unter der SSM-Verordnung könnte es dabei dazu kommen, dass der Gerichtshof auch über Fragen nationalen Rechts judizieren muss. Gegen Entscheidungen, welche eine NCA im Rahmen des SSM gegenüber einem Institut erlässt, muss dieses hingegen regelmäßig die nationalen Gerichte anrufen. Unter Umständen besteht dabei für Institute auch die Möglichkeit und Notwendigkeit, Weisungen der EZB an NCA unmittelbar vor dem Gerichtshof anzugreifen.