GASTBEITRAG

Europäische Bankenunion ohne effektiven Rechtsschutz?

Börsen-Zeitung, 5.1.2013 Nein, überzeugend ist das nicht, was bisher an Vorschlägen zu einer Europäischen Bankenunion vorgelegt wurde. Die Beschlüsse der EU-Finanzminister und des Europäischen Rates vom 13./14. Dezember 2012 verfehlen wesentliche...

Europäische Bankenunion ohne effektiven Rechtsschutz?

Nein, überzeugend ist das nicht, was bisher an Vorschlägen zu einer Europäischen Bankenunion vorgelegt wurde. Die Beschlüsse der EU-Finanzminister und des Europäischen Rates vom 13./14. Dezember 2012 verfehlen wesentliche Ziele. Sie schaffen eine mehrfach gespaltene Bankenunion, sie sind widersprüchlich und lückenhaft. Letzteres betrifft vor allem das Verhältnis von europäischem und nationalem Aufsichtsrecht und den gebotenen Rechtsschutz.Die beiden Kernstücke der geplanten Bankenunion bestehen in einem weithin – aber keineswegs umfassend – einheitlichen materiellen Aufsichtsrecht (single rulebook) sowie einem einheitlichen Aufsichtsmechanismus mit der Europäischen Zentralbank (EZB) an der Spitze (single supervisory mechanism). Ein vereinheitlichtes Restrukturierungsverfahren mit wirksamen Durchgriffsrechten auf insolvente Banken und die Möglichkeit der Sanierung von Instituten durch Kredite und Garantien durch den Rettungsfonds ESM sollen flankierend hinzukommen, schließlich auch ein einheitlicher Abwicklungsmechanismus mitsamt einem Europäischen Abwicklungsfonds. Vom Europäischen Rat nicht mehr erwähnt wurde die von der Europäischen Kommission noch erwogene rechtliche Vergemeinschaftung der bisher nationalen Einlagensicherungssysteme. Spaltpilz insideGanz unschön ist dabei, dass die Vorschläge den Spaltpilz in sich tragen; denn unionsweite Geltung werden lediglich das materielle Aufsichtsrecht und die Regeln für Restrukturierungsverfahren haben. Der einheitliche Aufsichtsmechanismus wird hingegen nur Banken aus Mitgliedstaaten der Eurozone zwingend erfassen; die übrigen EU-Mitgliedstaaten können sich dem einheitlichen Aufsichtsmechanismus aber freiwillig anschließen. Großbritannien wird das nicht tun. Entsprechend werden auch die geplante Möglichkeit einer direkten Rekapitalisierung von Banken durch den ESM aufgrund einer Sanierungsentscheidung der EZB und der Europäische Abwicklungsmechanismus mitsamt Abwicklungsfonds nur Banken aus Mitgliedstaaten der Eurozone und aus kooperierenden Mitgliedstaaten betreffen.Als ambitionierter Starttermin der Bankenunion ist nunmehr der 1. Januar 2014 vorgesehen. Regelungsvorschläge liegen bislang allerdings nur für drei Bausteine vor. Nämlich das vor allem der Umsetzung von Basel III dienende Capital-Requirements-Directive-(CRD-)IV-Paket, bestehend aus den Entwürfen einer Verordnung und einer Richtlinie, die zwei Verordnungsentwürfe zur Etablierung eines einheitlichen Aufsichtsmechanismus sowie der Vorschlag für eine Richtlinie zur Festlegung des Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Instituten. Für diese Rechtsakte werden im Trialog zwischen Rat, Parlament und Kommission nicht nur nationale Meinungsverschiedenheiten wie etwa zu den verbleibenden nationalen Regelungsspielräumen beim CRD-IV-Paket zu überwinden sein. Vielmehr wirft der einheitliche Beaufsichtigungsmechanismus über das in der Öffentlichkeit bekannte Stichwort des Rechtsschutzdefizits eine Fülle von Rechtsproblemen auf, die im Trialog dringend zu bereinigen sind. Probleme der ZweiteilungDie Probleme wurzeln zum Teil in der Zweiteilung des CRD-IV-Pakets in eine Verordnung und eine Richtlinie. Erstere wird unionsweit unmittelbare Geltung haben, wogegen die Richtlinie der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten bedarf und als umgesetztes nationales Recht gelten wird. Soweit in der europäischen Diskussion gleichwohl von einem “single rulebook” gesprochen wird, meint dies daher lediglich, dass ein materiell weitestgehend einheitlicher unionsweiter Regelungsrahmen geschaffen und nationale Sonderregeln wie insbesondere Verschärfungen (sog. gold-plating) vermieden werden sollen. Geplant ist also kein umfassend einheitliches europäisches Aufsichtsrecht. Maßstab der Aufsicht ist weiterhin nationales Richtlinienrecht und autonomes nationales Aufsichtsrecht, soweit nicht das “single book” dem entgegensteht.Vor diesem Hintergrund eines Nebeneinanders von EU-Verordnungsrecht und umgesetztem nationalem Aufsichtsrecht sieht der Vorschlag für eine Verordnung zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank vom 12. September 2012 (KOM511) vor, dass der EZB ein umfangreicher, abschließender Katalog an Aufsichtsaufgaben übertragen wird. In der alleinigen originären Verantwortung der fortbestehenden nationalen Aufsichtsbehörden verbleiben nur wenige Aufgaben, insbesondere der Verbraucherschutz und die Geldwäschebekämpfung als im Verordnungsvorschlag ausdrücklich genannte Bereiche. Verantwortung der EZBDie EZB soll die Verantwortung für die Gesamtarbeit des einheitlichen Aufsichtsmechanismus tragen. Sie erfüllt ihre Aufsichtsaufgaben im Zusammenwirken mit den zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden. Nach dem Kommissionsvorschlag gilt dies für alle beaufsichtigten Kreditinstitute unabhängig von ihrer Größe. Allerdings erfolgt eine Zweiteilung in der konkreten Aufsichtspraxis. Nach dem Kompromisstext der EU-Finanzminister besteht eine Primärzuständigkeit der EZB für Banken eines teilnehmenden Mitgliedstaates, die eines der folgenden drei Kriterien erfüllen: (i) eine Bilanzsumme (“total value of its assets”) von mehr als 30 Mrd. Euro, (ii) Gesamtaktiva von mehr als 20 % des BIP ihres Sitzlandes, (iii) eine der drei größten Banken des Sitzlandes. Unabhängig hiervon kann die EZB eine Bank in den einheitlichen Aufsichtsmechanismus einbeziehen, wenn diese Banktöchter in mehr als einem teilnehmenden Mitgliedstaat errichtet hat und der Anteil ihrer grenzüberschreitenden Vermögenswerte oder Verbindlichkeiten bedeutsam ist. Für die anderen Institute bleibt es bei der nationalen Aufsicht. Die Frage der ZulassungAuch was die Zuständigkeiten der EZB im Einzelnen und die ihr zur Aufgabenerfüllung zugewiesenen Befugnisse anbelangt, divergieren der Kommissionsvorschlag und der von den EU-Finanzministern jüngst gefundene Kompromiss erheblich. Die Vergleichbarkeit der beiden Texte leidet allerdings darunter, dass beide nur unzureichend zwischen der Zuweisung der allgemeinen Aufgabe, den konkreten einzelnen Zuständigkeiten und den Handlungsbefugnissen unterscheiden.Der Kommissionsverschlag weist der EZB ausdrücklich die Zuständigkeit für die Zulassung eines Kreditinstituts sowie den Widerruf der Zulassung zu. Bei Verstößen eines Kreditinstituts gegen unmittelbar geltendes Unions(verordnungs)recht darf die EZB Geldbußen verhängen, wogegen sie bei Verstößen gegen nationales Umsetzungsrecht lediglich berechtigt ist, von der nationalen Aufsichtsbehörde die Verhängung effektiver Sanktionen zu verlangen. Sodann räumt der Kommissionsvorschlag der EZB bestimmte Untersuchungsbefugnisse ein und begnügt sich im Übrigen mit der Vorgabe, dass die nationalen Aufsichtsbehörden die EZB bei der Erfüllung der Aufgaben zu unterstützen haben und dass die EZB hierbei bindende Weisungen erteilen darf. Nationale VerwaltungsakteDer Kompromisstext der EU-Finanzminister ergänzt dies zugunsten der nationalen Aufsichtsbehörden dahin, dass diese für die meisten Aufsichtsaufgaben grundsätzlich verantwortlich und insbesondere für den Erlass von Verwaltungsakten und sonstigen Entscheidungen zuständig sind. Die EZB soll lediglich für die Zulassung von Banken und deren Widerruf sowie für Inhaberkontrollverfahren beim Beteiligungserwerb ausschließlich zuständig sein.Im Übrigen kann die EZB Verordnungen, Richtlinien und allgemeine Weisungen zur Sicherung einer einheitlichen Aufsicht gegenüber den nationalen Aufsichtsbehörden erlassen und sogar alle Aufsichtsbefugnisse gegenüber einem oder mehreren Kreditinstituten an sich ziehen, wenn dies die Wahrung einer einheitlichen Aufsichtspraxis verlangt. Insgesamt haben die Finanzminister die Position der nationalen Aufsichtsbehörden gegenüber der EZB deutlich aufgewertet, ohne andererseits das im Kommissionsentwurf enthaltene Einzelweisungsrecht der EZB zu modifizieren. Im Trialog wird das Kräfteverhältnis zwischen EZB und nationalen Aufsichtsbehörden daher noch präziser auszutarieren und gegebenenfalls auch festzulegen sein, ob das Eintrittsrecht der EZB auch die den nationalen Behörden ausschließlich zugewiesenen Zuständigkeiten und Befugnisse umfasst, etwa die Verhängung von Maßnahmen gegen Mitglieder der Leitungs- und Verwaltungsorgane.Die Handlungsbefugnisse und -bindungen der EZB bei der Anwendung umgesetzten nationalen Aufsichtsrechts sind nur für die Zulassung und deren Widerruf ausdrücklich geregelt. Insoweit beurteilt die nationale Behörde abschließend und mit Bindungswirkung für die EZB, ob die vom nationalen Aufsichtsrecht festgelegten Anforderungen eingehalten werden, also etwa die Corporate-Governance-Regeln für Kreditinstitute.Bei der Beteiligungskontrolle ist eine Einbeziehung der nationalen Aufsichtsbehörde hingegen nicht vorgesehen, sodass die EZB selbst unter Anwendung des nationalen Aufsichtsrechts zu entscheiden hat. Hierbei wird die EZB nicht nur die durch die Richtlinie weitestgehend vereinheitlichten materiellen Voraussetzungen, sondern auch die nach dem jeweiligen nationalen Recht bestehenden Entscheidungsbindungen zu beachten haben, aus Sicht des deutschen Rechts also die bei einer Ermessensentscheidung zu wahrenden Ermessensgrenzen.Praktisch bedeutet diese Notwendigkeit der Anwendung nationalen Aufsichtsrechts nach den Maßstäben des nationalen Rechts, dass die EZB eine entsprechend differenzierende und also uneinheitliche Entscheidungspraxis entwickeln müsste. Das ist im Ergebnis wenig überzeugend und praktisch auch nur schwer umzusetzen. Organaufsicht bleibt nationalWas Maßnahmen gegen Geschäftsleiter sowie Mitglieder von Verwaltungsorganen im Besonderen anbelangt, räumt der Vorschlag der EZB lediglich die Befugnis ein, die Verhängung einer ebenso wirksamen wie verhältnismäßigen Sanktion zu verlangen. Die Entscheidung über die konkrete Maßnahme liegt bei der nationalen Behörde, die hierbei die nationalen Ermessensbindungen zu wahren hat. Ob die EZB weitergehend, etwa unter Rückgriff auf ihr allgemeines Weisungsrecht, eine konkrete Sanktion anordnen darf, erscheint daher zweifelhaft.Erst recht dürfte sie sich hierbei nicht über die Ermessensbindungen des nationalen Rechts hinwegsetzen. Im Übrigen ist unklar, ob diese Regeln den Fall der Abberufung eines Organmitglieds mangels Sachkunde überhaupt betreffen. Der Verordnungstext spricht nämlich lediglich von Maßnahmen gegen Personen, die nach nationalem Recht für einen Verstoß eines Kreditinstituts verantwortlich sind. Dass das nicht hinreichend sachkundige Organmitglied selbst für einen Verstoß des Instituts gegen Corporate-Governance-Anforderungen verantwortlich sein soll, liegt jedenfalls nicht auf der Hand.Beim Rechtsschutz hat die fehlende Abstimmung zwischen materiellem Aufsichtsrecht und Aufsichtsverfahrensrecht grobe Verwerfungen zur Folge. Entscheidet die EZB wie etwa bei der Beteiligungskontrolle auf der Grundlage umgesetzten nationalen Aufsichtsrechts, steht schon die Zuständigkeit in Frage: EuGH oder nationales Gericht?Sollte der EuGH zuständig sein, steht als Folgeproblem in Frage, ob er die Auslegung und Handhabung nationalen Rechts überhaupt überprüfen kann. Im Ergebnis müsste dies wohl der Fall sein, weil den Erwerbsinteressenten andernfalls effektiver Rechtsschutz ganz verwehrt bliebe. Ob dies allerdings auch noch dann gelten kann, wenn die EZB bei der Zulassung oder deren Entzug auf der Basis einer für sie bindenden Entscheidung der nationalen Behörde über die Fragen des umgesetzten nationalen Aufsichtsrechts entscheidet, steht damit noch nicht fest. Eingeschränkter SchutzSpiegelbildlich steht bei der Entscheidung nationaler Aufsichtsbehörden eine drastische Beschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten von Kreditinstituten zu befürchten. Entscheidungen der EZB unterliegen nämlich, wie Art. 12 Abs. 2 des Verordnungsentwurfs für den Sonderfall von Durchsuchungsanordnungen ausdrücklich festlegt und wie allgemein aus Art. 267 AEUV folgt, allein der Überprüfung durch den EuGH.Nationale Gerichte können daher eine Entscheidung der nationalen Aufsichtsbehörde jedenfalls nicht überprüfen, soweit die Entscheidung auf einer bindenden Einzelweisung der EZB beruht. Aber auch dann, wenn die EZB bindende allgemeine Vorgaben zur Sicherung einer einheitlichen Aufsicht macht, könnte das nationale Gericht nur überprüfen, ob sich die nationale Behörde zu Recht auf die EZB-Vorgabe stützt, nicht aber deren Rechtmäßigkeit überprüfen. Hier muss nachgearbeitet werden. Bessere Abstimmung nötigFür eine auch “qualitativ hochwertige Bankenunion” bedarf es – auch – einer besseren Abstimmung von materiellem Aufsichtsrecht und Aufsichtsverfahrensrecht. Andernfalls drohen rechtsstaatlich inakzeptable Rechtsschutzlücken. Auch insoweit sind Europäisches Parlament, Rat und Kommission im bevorstehenden Trialog gefordert.