DER BASELER KOMPROMISS UND SEINE EFFEKTE

Europas Großbanken trifft es am härtesten

Kleinen Instituten winken Erleichterungen - Diverse Faktoren schwächen die Auswirkungen auf die Kreditwirtschaft ab

Europas Großbanken trifft es am härtesten

Der Abschluss des Regelpakets Basel III bringt vor allem für systemrelevante Banken in Europa eine Erhöhung der Mindestkapitalanforderungen mit sich. Nun rückt die Frage einer einheitlichen Umsetzung in den Vordergrund.Von Bernd Neubacher, FrankfurtWährend der Abschluss des Regelwerks Basel III die Mindestkapitalanforderungen an Europas Großbanken im prozentual knapp zweistelligen Bereich erhöhen dürfte, sehen ihre Konkurrenten andernorts einer Entlastung entgegen. Dies zeigen Szenarioberechnungen, welche der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht und die European Banking Authority (EBA) nach der Einigung im Verwaltungsrat der Baseler Aufseherrunde am Donnerstag publiziert haben. Demnach wird die Mindestanforderung etwa für global systemrelevante Institute in Europa gegenüber Ende 2015 insgesamt um 15,2 % steigen, während sie weltweit um 1,4 % sinkt (siehe Tabelle). Europäische Institute mit globaler Systemrelevanz wie die Deutsche Bank, Barclays, BNP Paribas oder HSBC gehen damit als Verlierer aus der Neuregelung hervor – in keiner der untersuchten Gruppen fällt der Auftrieb der Mindestkapitalanforderungen höher aus. Im Falle der zwölf von der EBA untersuchten global systemrelevanten Häuser aus Europa ergibt sich ein Mehrbedarf an Tier-1-Kapital aus der Mindestkapitalanforderung von 30 Mrd. Euro.Im Kontrast zwischen den Häusern in Europa und weltweit schlägt sich nieder, dass Europas Banken zur Kalkulation ihres Eigenkapitalbedarfs recht rege interne Modelle einsetzen. Deren Nutzung will der Baseler Ausschuss begrenzen.Der nach langem Streit vereinbarte Output Floor von 72,5 %, der nur mehr eine Kapitalerleichterung von 27,5 % gegenüber dem Standardansatz durch Nutzung interner Modelle erlaubt, schlägt sich dabei für die wichtigsten Banken weltweit in einen Kapitalauftrieb um nur 1,3 Prozentpunkte, in Europa dagegen in einem Plus von 4,5 % nieder.Besser fahren mit den neuen Regeln kleinere Banken. Für sie hält sich der Zuwachs der Mindestkapitalanforderung in Europa mit 3,9 % in engen Grenzen. Wer den Eigenkapitalbedarf für Kreditrisiken per Standardansatz errechnet, wie eigentlich alle deutschen Sparkassen und Genossenschaftsbanken, erfährt dabei sogar eine Erleichterung um 2,4 %. Global kommt auf kleinere Institute unterdessen ein Anstieg um 2,2 % aufgrund ihrer Kreditrisiken sowie von 3,8 % insgesamt zu. Bundesweit kommen die kleineren Institute dem Vernehmen nach deutlich günstiger weg als mit dem europaweiten Zuwachs um 3,9 %. In der Gesamtbetrachtung liege der Anstieg im deutschen Bankensektor im Mittelfeld oder leicht darunter, heißt es. Das am Donnerstag beschlossene Regelpaket schließt die nach Beginn der Finanzkrise in Angriff genommenen Reformen der Kapitalregeln für Banken ab. Ungefähre IndikationDie von den Aufsehern zur Verfügung gestellten Daten dürften allerdings nur eine ungefähre Indikation für die Auswirkungen des Regelpakets sein. Zum einen fußen die Szenarioberechnungen auf den Daten der Banken per Ende 2015 – seither dürften viele Institute ihre Aktivitäten mit Blick auf die neuen Kapitalregeln bereits angepasst haben. Zum Zweiten umfassen die Kalkulationen nicht alle Banken – so hat sich der Baseler Ausschuss auf die Daten von gerade einmal 42 Häusern gestützt, um die Folgen für kleinere Banken der Welt zu beziffern. Zum dritten wird im Markt geargwöhnt, dass viele Institute konservativ gerechnet haben dürften, bevor sie ihrem nationalen Aufseher Daten zu den Auswirkungen der geplanten Neuregelung geliefert haben. Damit wären die ausgewiesenen Anstiege noch überzeichnet.Ohnehin verändert die Neuregelung allein die regulatorische Mindestanforderung an die Institute. In Säule II des Baseler Regelwerks fordern die Aufseher in Europa den Banken längst individuelle, weit höhere Kapitalquoten ab. Auch mussten Europas Institute schon bisher einen Output Floor von 80 % auf Grundlage des Regimes Basel I in einer Parallelrechnung kalkulieren und einhalten, ohne dass dieser jedoch in die gewichteten Risikoaktiva einfloss. Dies verbesserte ihre aufsichtsrechtliche Kapitalquote, und im Ergebnis sahen europäische Banken damit tendenziell besser aus als US-Banken mit einer ähnlich dicken Kapitaldecke. Dies wird durch die neuen Regeln korrigiert.Gleichwohl werden die neuen Regeln das Geschäft in manchen Feldern des Banking erschweren. Spezialfinanzierer etwa dürften sich auf höhere Kapitalanforderungen einstellen müssen. Ängste vor einer Kreditverknappung infolge der Reform halten Marktbeobachter jedoch zumindest hierzulande für absurd. Falls eine Bank etwa einen Immobilienkredit nicht mehr vergeben wolle, werde sich eine andere finden, und im Zweifelsfalls ein Versicherer, der nicht demselben Regulierungsrahmen unterliege, heißt es. Deutschlands Bankenmarkt gilt als hart umkämpft. Nach nationalem ErmessenNicht zuletzt hat der Baseler Ausschuss den Banken großzügige Übergangsfristen eingeräumt. Die Änderungen greifen erst 2022, und für die vollständige Einhaltung des Output Floor erhalten die Institute dann nochmals fünf Jahre Zeit. Dabei werden die Folgen des Floor nochmals gedrosselt: Während der bis 2027 dauernden Einführungsphase kann der durch den Floor bedingte Anstieg der Risikoaktiva nach nationalem Ermessen auf 25 % begrenzt werden.Entsprechend zufrieden dürfte man denn auch auf deutscher Seite mit dem Ergebnis der Verhandlungen sein. Das letzte Wort ist allerdings noch lange nicht gesprochen: So steht noch die Umsetzung der Anfang 2016 beschlossenen Marktrisikoregelungen (Fundamental Review of the Trading Book, FRTB) ins Haus, welche der Baseler Ausschuss erst am Donnerstag von 2019 auf 2022 verschoben hat, ferner die Einführung der auf Einjahressicht angelegten Liquiditätsquote Net Stable Funding Ratio (NSFR). Erstaunen über die USAIn den zurückliegenden Wochen waren in europäischen Marktkreisen Zweifel geäußert worden, ob die Vereinigten Staaten mitziehen würden. Am Donnerstag nun wurde Erstaunen darüber geäußert, dass die USA vor allem im Fall des FRTB in eine Umsetzung eingewilligt haben. Dem Vernehmen nach hatte allen voran Frankreich dies zur Bedingung für seine Zustimmung gemacht. “Nach meinem Verständnis lag das Problem nicht so sehr in der Frage des Output Floor, sondern vor allem darin, dass man eine globale Verständigung angestrebt hat”, hatte Lars Machenil, Finanzvorstand der größten französischen Bank BNP Paribas, in einem unmittelbar vor der Einigung veröffentlichten Interview der Börsen-Zeitung erklärt. “Und die Sorge einiger Ausschussmitglieder ist gewesen, dass man sich etwa auf eine weltweite Regelung von notleidenden Krediten der Unternehmen einigt, nicht aber im Falle von Anforderungen an Marktaktivitäten.”Um alle Mitglieder persönlich auf ein Engagement einzuschwören, hatte das GHOS für Donnerstag dem Vernehmen nach eigens eine Sitzung mit physischer Anwesenheit anberaumt. Auch sollen sich die vier Vertreter der Vereinigten Staaten im Baseler Ausschuss, also die Federal Reserve in Washington sowie in New York, das Office of the Comptroller of the Currency (OCC) sowie die US-Einlagensicherungseinrichtung FDIC, jeweils mit dem US-Finanzministerium abgestimmt haben, bevor sie für die Regeln stimmten. Einstweilen unwägbar bleibt freilich die Politik, die sich in den USA derzeit daranmacht, das 2010 erlassene Dodd-Frank-Gesetz aufzuweichen.Andererseits bleibt ebenso abzuwarten, wie bzw. in welcher Form die EU die Regeln der Liquiditätsquote NSFR umsetzen wird. In Brüssel wird derzeit über eine Überarbeitung der EU-Eigenkapitalrichtlinie beraten. Eigentlich soll die NSFR schon ab kommendem Jahr eingeführt werden. Aus den USA kommen derweil Signale, dass dies in den Vereinigten Staaten etwas länger dauern dürfte.