EZB-Bankenaufseher vollführen Kehrtwende
bn Frankfurt – Die europäische Bankenaufsicht will, offenbar alarmiert von den Folgen des Zinstiefs, ihr Augenmerk in den kommenden Jahren wieder stärker auf die Nachhaltigkeit der Geschäftsmodelle der ihr direkt unterstellten Kreditinstitute legen. Wie der Supervisory Mechanism (SSM) am Montag mitgeteilt hat, sollen dann unter anderem Fragen der Ertragskraft, aber auch Aspekte der Digitalisierung in den Fokus rücken. Die Nachhaltigkeit der Geschäftsmodelle bleibe im Fokus, da viele Banken in der Eurozone mit einer schwachen Ertragskraft kämpften, heißt es. Der Ausblick auf andauernd niedrige Zinsen und harten Wettbewerb laste zudem auf der Fähigkeit der Institute, Erträge zu erzielen.Auf einer am Montag für 2020 vorgelegten Risikolandkarte haben die Aufseher die Frage der Nachhaltigkeit der Geschäftsmodelle herausgestellt, sowohl was die Auswirkungen als auch die Eintrittswahrscheinlichkeit angeht: Hinsichtlich der Effekte messen die Aufseher allein den “Herausforderungen für die wirtschaftliche, politische und Schulden-Tragfähigkeit in Euroland” eine größere Bedeutung zu. In Sachen Wahrscheinlichkeit wird nur der Brexit höher gewichtet. Als weitere Risikotreiber haben die Aufseher unter anderem Cybercrime und IT-Defizite, eine Lockerung der Kreditvergabestandards, Fehlverhalten mit Blick auf Geldwäsche-Prävention sowie Reaktionen auf Regulierung geortet. Risiken infolge des Klimawandels haben an Bedeutung gewonnen.Die prominente Aufnahme der Nachhaltigkeit von Geschäftsmodellen in die Liste der Prioritäten ist für die Aufseher eine bemerkenswerte Kehrtwende. Sie lässt den Schluss zu, dass die Folgen der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, bei welcher der SSM angesiedelt ist, die Aufsicht alarmiert. Auf der Risikolandkarte und in der Liste der aufsichtlichen Prioritäten für 2019 hatte man die Frage nachhaltiger Geschäftsmodelle vergebens gesucht. Zuvor hatte der SSM sie für 2016 bis 2018 regelmäßig als vorrangig genannt. Anfang September hatte der EZB-Rat das Szenario einer Zinswende fürs Erste in weite Ferne rücken lassen mit dem Beschluss, den Zinssatz für die Einlagefazilität um 10 Basispunkte auf minus 0,50 % zu senken, gleichwohl nicht ohne einen Teil der Überschussliquidität der Banken vom Negativzins zu befreien, und die Nettokäufe von Wertpapieren wieder aufzunehmen. Die Folgen des Zinstiefs sind zuletzt vermehrt sichtbar geworden. In der vorvergangenen Woche hatte die Commerzbank eine bis 2022 reichende Strategie formuliert, die unter Annahme einer Fortdauer des Zinstiefs eine Eigenkapitalrendite von nur mehr mindestens 4 % verheißt. BaFin-Bankenaufseher Raimund Röseler hatte kurz zuvor von einer für die Banken absehbar “zerstörerischen Wirkung” des Zinsumfeldes gesprochen.Neben Governance generell ist die Nachhaltigkeit der Geschäftsmodelle das einzige Feld, in welchem die Aufseher für 2020, aber auch für 2021 und möglicherweise noch das darauf folgende Jahr, neue Aktivitäten in Aussicht stellen. Ihre übrigen Prioritäten sind unverändert geblieben: Neben Leitlinien zum Umgang mit faulen Krediten stehen unter anderem die bankinternen Modelle der Institute, die Vergabekriterien und die Qualität von Engagements in der Immobilienfinanzierung sowie bei hoch gehebelten Finanzierungen (Leveraged Finance), zudem IT- und Cyber-Risiken sowie der Brexit au der Agenda.Wie die EZB zudem im Zuge eines Liquiditätsstresstests ermittelt hat, verfügt die “große Mehrheit” der ihr direkt unterstellten Banken über ausreichend Liquiditätsreserven, um die in einem Szenario simulierten Nettoabflüsse zu bewältigen. Schwachstellen haben die Aufseher indes in einzelnen Fällen mit Blick auf Liquiditätsbeschränkungen in Fremdwährungen bzw. von außerhalb Eurolands ansässigen Töchtern entdeckt. Auch seien “wichtige Datenqualitätsprobleme” zutage getreten. So haben verschiedene Banken ihre regulatorischen Liquiditätsberichte infolge des Stresstests neu fassen müssen. Die Resultate der Übung fließen in den aufsichtlichen Überprüfungsprozess SREP ein.