EZB verschafft Banken Eigenkapital

Vorgabe zur Risikosteuerung setzt potenziell erhebliche Mittel frei - Gegenläufige Effekte

EZB verschafft Banken Eigenkapital

Vorgaben der europäischen Bankenaufsicht zur Risikosteuerung bescheren gerade deutschen Banken potenziell milliardenschwere Entlastungen des Bedarfs an ökonomischem Eigenkapital. Gegenläufige Effekte sowie andere Normen können ihr Ausmaß indes erheblich schmälern. Von Bernd Neubacher, Frankfurt Üblicherweise gibt die europäische Bankenaufsicht deutschen Kreditinstituten kaum Anlass zu frohlocken. Derzeit dürfte dies anders sein: Eine Bestimmung der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Kapitalausstattung sorgt dafür, dass große Institute flugs Milliarden an ökonomischem Eigenkapital freisetzen können. Allein die Förderbank KfW, die zwar nicht von der EZB beaufsichtigt wird, aber dennoch deren Linie folgt, dürfte auf diese Weise dem Vernehmen nach 3 Mrd. bis 4 Mrd. Euro an überschüssigem Kapital kreieren.An die ganz große Glocke hat die deutsche Kreditwirtschaft das Phänomen nicht gehängt. Aus verständlichen Gründen: Zum einen zeugt die Episode von der enormen Varianz von Modellannahmen. Und zum anderen ist es doch nicht ganz so einfach, mit Hilfe der Bestimmung das Eigenkapital zu polstern. Gleichwohl hat in der deutschen Kreditwirtschaft ein Prozess eingesetzt, in dem Banken entsprechende Änderungen erwägen oder vornehmen. 99,9 ist der neue StandardIm Pfeffer liegt der Hase im EZB-Leitfaden zur internen Einschätzung der Kapitaladäquanz (Internal Capital Adequacy Assessment Process/ICAAP). Mit dem auf die Liquidität einer Bank gemünzten Pendant ILAP sowie der Beurteilung des Geschäftsmodells, der Governance und des Risikomanagements einer Bank durch die EZB entscheidet dieser ICAAP über die individuelle Kapitalvorgabe, welche die europäische Bankenaufsicht im Zuge der SREP (Supervisory Review and Evaluation Process) genannten Überprüfung einem Institut auferlegt. In einem seit Jahresbeginn geltenden Leitfaden zum ICAAP hat die EZB das sogenannte Konfidenzniveau, das der Modellierung ökonomischer Risiken zugrunde gelegt werden soll, festgelegt. Auf Seite 32 heißt es dort in Fußnote 41, alles in allem sollten Banken einen Grad an Konservatismus erreichen, welcher mit einem Konfidenzniveau von 99,9 % bei Berechnung des ökonomischen Eigenkapitalbedarfs vergleichbar sei. Ein Niveau von 99,9 % besagt im Grunde, dass der jeweilige im Risiko stehende Wert (Value at Risk/VaR) nur einmal in 1 000 Jahren übertroffen werden dürfte.Damit hat die EZB die Anforderung für die interne Kapitalsteuerung nach Säule II des Baseler Kapitalregelwerks, welche den bankaufsichtlichen Überprüfungsprozess regelt, dem Niveau in Säule I angepasst, welche die Mindestkapitalanforderungen etwa zur harten Kernkapitalquote CET1 regelt. Europaweit reagieren Institute darauf.”Die Harmonisierung in Europa macht absolut Sinn”, erklärt Bernd Loewen, Finanzvorstand der KfW, der Börsen-Zeitung. “Nur so werden ein einheitliches Level Playing Field und Vergleichbarkeit zwischen den Banken gewährleistet.” Gerade deutsche Banken haben bei dieser Harmonisierung in der Regel gut lachen. Sie wiesen bisher tendenziell höhere Konfidenzniveaus aus und sehen daher einer entsprechenden Freisetzung von Eigenkapital entgegen. Andernorts in Europa dagegen müssen sich Institute eher nach der Decke strecken, wie in der Branche zu hören ist. Die EZB äußert sich auf Anfrage nicht und verweist auf ihre ICAAP-Leitlinien. Deren Direktiven zum Konfidenzniveau hat die deutsche Finanzaufsicht in ihrem Papier “Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte und deren prozessualer Einbindung in die Gesamtbanksteuerung (, ICAAP’)” eins zu eins umgesetzt. Auf Seite 17 legt dort Fußnote 13 fest: “Unter Berücksichtigung aller Parameter sollte das Konservativitätsniveau in etwa dem 99,9 %-Konfidenzniveau entsprechen.”Zu den Banken, die ihr Konfidenzniveau reduzieren, wenn sie die Vorgabe von 99,9 % umsetzen, zählt die KfW. “Im Markt findet derzeit eine Harmonisierung statt”, sagt Vorstandsmitglied Bernd Loewen. “Als neuer Standard etabliert sich ein Konfidenzniveau von 99,9 %. Danach wird sich zukünftig auch die KfW richten.” Mit gewaltigen Folgen. Loewen: “Eine Reduktion des Konfidenzniveaus von 99,99 % auf 99,90 % hört sich geringfügig an, hat tatsächlich aber einen großen Effekt. Durch die Harmonisierung des Konfidenzniveaus auf 99,9 % steigt der Deckungsgrad der ökonomischen Risiken um mehr als ein Drittel.” Schließlich fallen gerade solche Risiken durch den Rost, die zwar mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit eintreten, dann aber besonders einschneidende Folgen nach sich ziehen. Loewen will sich nicht festlegen, was dies für die KfW in konkreten Zahlen bedeutet. Ablesbar sein wird der Effekt, wenn die Bank im April kommenden Jahres ihren Lagebericht 2019 vorlegen wird. Für 2018 weist die Förderbank ein Risikodeckungspotenzial von 28,3 Mrd. Euro aus, das waren 9,9 Mrd. Euro mehr als der ermittelte ökonomische Gesamtkapitalbedarf.Wegen der neuerlichen Freisetzung ökonomischen Eigenkapitals wird die KfW ihre Kreditvergabe aber kaum im großen Stil ausweiten. Denn während sie im bankaufsichtlichen Überprüfungsprozess nach Säule II der Baseler Kapitalregeln entlastet wird, drohen ihr gemäß den Mindestkapitalanforderungen nach Säule I höhere Belastungen, weil sie Förderkredite, die sie über gewöhnliche Banken weiterreicht, ab 2022 möglicherweise mit Kapital unterlegen muss. Es hilft nichts”Praktisch hilft uns das nichts”, kommentiert KfW-Finanzvorstand Loewen die Senkung des Konfidenzniveaus. “Wegen stetig steigender Kapitalanforderungen in der bankaufsichtlichen Säule I, die sich überwiegend nicht am individuellen Risikoprofil einer Bank orientieren, stellen wir fest, dass sich potenzielle Kapitalknappheit von Banken nunmehr in Säule I abspielt, während in Säule II eher Überkapitalisierung herrscht. Dies führt dazu, dass auch die internen Steuerungsmechanismen vermehrt wieder auf Säule I fokussieren.”Eine weitere Bank, die vor einer Absenkung ihres Konfidenzniveaus steht, ist die LBBW. Dort liegt das Konfidenzniveau seit Jahren bei 99,93 %. Nun heißt es in Stuttgart: “Natürlich schauen wir uns das Thema vor dem Hintergrund des ICAAP-Leitfadens an.” Wie viel Eigenkapital eine Reduktion freisetzen dürfte, will auch Baden-Württembergs Landesbank nicht beziffern. Schließlich gilt es in solchen Fällen erst einmal, bei Ratingagenturen und Investoren vorzufühlen. Denn die Absenkung ist keine Einbahnstraße – die Aufsicht muss mitspielen. Sie kann eine Reduktion zwar akzeptieren, zugleich aber andere Änderungen im Risikomanagement verlangen.Ohnehin hat der Leitfaden die Anforderungen an die Qualität des Kapitals verschärft. Es gehe nicht nur um Kapitalersparnis, sondern auch um Kompensation, heißt es im Markt. Die Deutsche Bank etwa hat ihr Konfidenzniveau eigenen Angaben zufolge zwar von 99,98 % auf 99,9 % gesenkt. Wie man aber im Markt hört, steht unterm Strich sogar eine leichte Mehrbelastung, weil Ergänzungskapitalinstrumente nicht mehr angerechnet werden. Die Bank beziffert den Nettoeffekt auf Anfrage nicht.Gegenläufige Effekte wirken offenbar auch in umgekehrter Richtung. So verfuhr die Aareal Bank bis Ende 2018 aus der Perspektive des Fortführungsprinzips (Going Concern) mit einem Konfidenzniveau von nur 95 %, erwartet infolge der Umstellung auf 99,9 % aber dennoch “keine wesentlichen Auswirkungen auf ihre Gesamtbanksteuerung”, wie es auf Anfrage heißt. Die Helaba hatte dieselbe Änderung bereits zum Geschäftsjahr 2018 vorgenommen.Keine Änderungen planen die schon bisher mit einem Niveau von 99,9 % steuernden Häuser Commerzbank und DZ Bank. Die HypoVereinsbank senkte ihr Niveau schon Ende 2015 von 99,93 % auf das gruppenweite Unicredit-Level von 99,9 %. Weitere Anpassungen seien derzeit nicht geplant, heißt es.