EZB zeigt sich in Sachen Brexit gelassen

Stabilitätsbericht: "Kein signifikantes Risiko für die Eurozone" - Kontrast zu Aussagen von Bankenaufsehern - Umsetzungspläne werden gefordert

EZB zeigt sich in Sachen Brexit gelassen

Die Finanzstabilitätswächter der EZB relativieren die vom Brexit ausgehenden Risiken. Ihre Einschätzung steht im Kontrast zu Äußerungen der ebenfalls unter dem Dach der Notenbank untergebrachten Bankenaufseher, aus der deutschen Finanzaufsicht sowie aus Banken.Von Bernd Neubacher, FrankfurtDie Europäische Zentralbank (EZB) zeigt sich angesichts des Brexit gelassen. Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union dürfte “kein signifikantes Stabilitätsrisiko für die Eurozone” darstellen, stellt die Notenbank in ihrem jüngsten Finanzstabilitätsbericht fest. Sie räumt gleichwohl “Herausforderungen für die Steuerung der EU im Lichte des Brexit-Prozesses” ein.Diese Einschätzung, welche die Notenbank in ihrem unter Beteiligung des Finanzstabilitätskomitees des Eurosystems zustande gekommenen Bericht zum Ausdruck bringt, steht im Kontrast zu jüngsten Äußerungen der unter dem Dach der EZB ansässigen Bankenaufseher. So hat Danièle Nouy, Chair des obersten Aufsichtsgremiums der europäischen Bankenaufsicht, erst in der vergangenen Woche mehr Kompetenzen gefordert, um Aufsichtsarbitrage durch Banken entgegenzuwirken, die infolge des Brexit Aktivitäten von der Insel nach Euroland verlagern müssen.Insbesondere stört sich Nouy an Instituten, die dabei in Euroland keine Tochter gründen wollen, welche unter die Aufsicht der EZB fallen würde, sondern nur eine Zweigstelle, für die jeweils die nationale Aufsicht zuständig ist. Nouy verlangt daher, Banken zu verpflichten, diese sogenannten Drittstaatenzweigstellen in eine Holding einzubringen, welche wiederum der EZB-Aufsicht unterliegt. Auch fordert sie die Befugnis, von London nach Euroland umziehende Broker-Dealer zu systemrelevanten Einheiten zu erklären und auf diese Weise die Aufsicht über diese Adressen an sich zu ziehen. Erhebliches operatives RisikoZumindest mit Blick auf Broker äußert auch Felix Hufeld, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Sorgen: “Auf der Wertpapierseite können Sie riesige Räder von winzig kleinen Standorten aus drehen”, sagte er jüngst der Börsen-Zeitung. Mehr noch zeigt er sich wegen Risiken für die Stabilität der Infrastruktur von Banken infolge eines Umzugs alarmiert: “Sie müssen als großer Spieler, der in den vergangenen Jahren in London hocheffiziente und mit hohen Volumina betriebene Plattformen aufgebaut hat, bestehende Strukturen zerschneiden”, erklärte er. “Das ist ein erhebliches operatives Risiko. Und jeder halbwegs verantwortliche Manager, aber auch Aufseher hat davor Respekt. Sie müssen solche Verlagerungen erst einmal operativ hinkriegen, ohne dass Ihnen eine solche Aktion um die Ohren fliegt.”Warnungen vor Risiken infolge des Brexit kommen auch aus der Branche selbst, und zwar mit Blick auf eine Verlagerung des Clearing von auf Euro denominierten Finanzkontrakten von London in den EU-Raum, über die zunehmend heftig debattiert wird. “In solch einem Bereich ist es nicht einfach, den Hebel umzulegen”, hat jüngst Stefan Hoops, Leiter des deutschen Kapitalmarktgeschäfts der Deutschen Bank, erklärt. Existierende Kontrakte würden einen Bestandsschutz benötigen, zudem müssten für eine Übergangszeit risikomindernde Geschäfte in London weiterhin erlaubt sein, argumentiert er. Wie in Finanzkreisen zu erfahren ist, hat die europäische Bankenaufsicht die Deutsche Bank bereits aufgefordert darzulegen, wie sie bei Bedarf das Clearing ihrer Handelsaktivitäten von London wegverlagern könnte.In ihrem Stabilitätsbericht konzediert die EZB zwar, dass die zentralen Gegenparteien auf der Insel insbesondere für das Clearing in Euro denominierter, außerbörslich gehandelter Derivate und Wertpapierpensionsgeschäfte wichtig seien. Gegenparteien außerhalb des Finanzsektors aber rechneten ihre Transaktionen nicht direkt mit den Central Counterparties ab, sondern nutzten dafür die Dienste eines dort angeschlossenen Clearing-Mitglieds.Angesichts der Risiken des Brexit empfehlen die Stabilitätswächter der EZB Banken generell, Übergangspläne umzusetzen, um mit dem Brexit beizeiten fertig zu werden. Insgesamt erscheine die Gefahr, dass die Realwirtschaft in der Eurozone infolge des Brexit Restriktionen im Zugang zu Wholesale- und Retail-Finanzdienstleistungen entgegensehe, zwar gering, heißt es. Gut gesteuerte Vorbereitungen seien gleichwohl essenziell, da eine Verlagerung von Kapazitäten für Finanzdienstleistungen während der Übergangsphase in einigen Fällen für Reibungen sorgen könnte. Nur begrenzte FolgenZugleich rechnen die EZB-Stabilitätswächter den Brexit nicht einmal unter die vier Schlüsselrisiken für die Finanzstabilität in der Eurozone (siehe Grafik). Die britische Entscheidung, die EU zu verlassen, trage zum aktuellen Niveau der politischen Unsicherheit bei, heißt es im halbjährlichen Finanzstabilitätsbericht zwar. Jedoch sei nicht zu erwarten, dass die künftige Beziehung zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU die Integrität des Binnenmarktes beeinträchtigen werde. Dies gelte auch für eine potenzielle Übergangsphase.Was potenziell langfristige Folgen des Brexit angehe, sei es verfrüht, über das Ergebnis der Verhandlungen zwischen der EU und den britischen Behörden zu spekulieren. Wahrscheinlich dürfte es aber nur begrenzte Folgen für die Wirtschaft und Finanzstabilität in der Eurozone haben.Ein Kanal der Beeinträchtigung sind dem Bericht zufolge die makroökonomischen Auswirkungen des Brexit und die Effekte auf die als insgesamt relativ moderat eingeschätzten Exposures von Finanzinstituten im Euroraum gegenüber der britischen Wirtschaft. Die Finanzstabilität im Euroraum könnte ferner beeinträchtigt werden, falls der Brexit Störungen im Angebot von Finanzdienstleistungen in der Eurozone nach sich ziehe.Wie der Bericht festhält, kommt aus Großbritannien immerhin ein wesentlicher Teil der Wholesale-Finanzdienstleistungen für die Eurozone. Stück für Stück könnten sie jedoch in den Rest der Eurozone übertragen werden, heißt es. Ausmaß unklarBritische Banken sind an rund einem Zehntel der syndizierten Kredite an Unternehmen in Euroland außerhalb des Finanzsektors beteiligt. Nochmals 30 bis 40 % entfallen auf Banken aus den USA, Japan oder der Schweiz, wie berichtet wird. Das Ausmaß, in welchem diese Banken von London aus operieren, sei nicht präzise zu definieren, teilt die EZB mit.Oft hätten die europäischen Abteilungen für syndizierte Kredite allerdings ihren Sitz in London. Teil eines Syndikates zu sein erfordere keinen EU-Passport, wohl aber die Bereitstellung anderer Dienste wie Treasury Management, Corporate Finance, Beratung oder Underwriting, welche von Konsortialführern oft erwartet würden. In den vergangenen Jahren hatte laut EZB jede vierte bis fünfte Konsortialführerin für in der EU beheimatete Unternehmen ihren Sitz in den USA, in Großbritannien, Japan oder der Schweiz. Anders sieht es im Emissionsgeschäft aus: So kamen im vergangenen Jahr nicht weniger als 40 % der Top-40-Bookrunner bei der Emission von Schuldverschreibungen von in der Eurozone ansässigen Unternehmen aus Großbritannien. Im Falle von Aktien-Erst- oder -Folgeemissionen waren es rund 35 %. Und rund ein Fünftel der Absicherungsaktivitäten durch die Realwirtschaft in der Eurozone sind in London abgewickelte Derivategeschäfte.Insgesamt sei es zwar schwierig, alle Implikationen des Brexit für die Finanzstabilität abzuschätzen. Das Risiko, dass die Eurozone vom Zugang zu Wholesale- und Retail-Finanzdienstleistungen abgeschnitten werde, erscheine aber begrenzt, heißt es. Einige unregulierte Dienstleistungen könnten weiter von der Insel erbracht werden, einige andere würden in der EU ansässige Einheiten übernehmen, und zudem würden einige Anbieter von der Insel in die EU umziehen. Finanzierungskosten steigenFolgen des Brexit erwartet die EZB jedoch für die externen Finanzierungskosten. Die Kapitalkosten für Haushalte und Unternehmen abseits des Finanzsektors könnten steigen, wenn sich das Geschehen von einem zentralisierten Wholesale-Banking-Markt in London hin zu einer potenziell fragmentierteren Landschaft, welche nicht die Synergien und Größenvorteile Londons biete, verlagere. Zwar dürfte der Kostenanstieg moderat ausfallen, auch sei er momentan schwer zu quantifizieren. Die Aussicht auf einen weniger tiefen Kapitalmarkt in der EU gebe aber Anreiz für schnelle Fortschritte beim Aufbau der geplanten Kapitalmarktunion, heißt es.