Finanzmarktregulierung ist mehr als Verbraucherschutz
Wer die Rolle der europäischen Fondsbranche im globalen Wettbewerb beurteilen will, sollte sich die in Europa verwalteten Assets im Vergleich zur amerikanischen Fondsindustrie anschauen. Weltweit haben die US-Anbieter die Nase weit vorn: Die USA sind mit einem Volumen von 19,2 Bill. Euro der größte Fondsmarkt der Welt. Der Weltmarktanteil von US-Fondsgesellschaften liegt heute bei 45 %.Von den 30 größten Publikumsfondsanbietern im Bereich der EU-27 stammt inzwischen ein Drittel aus den Vereinigten Staaten. Und unter den zehn größten Assetmanagern der Welt waren vor zehn Jahren noch jeweils fünf europäische und fünf amerikanische, heute stammen gerade noch drei aus Europa, aber sieben aus den USA. Dort gilt ein Assetmanager, der 200 Mrd. Dollar verwaltet, als Boutique, inaÇêEuropa zählt er damit bereits zu den größeren Marktteilnehmern. US-Markt stark konsolidiertHinzu kommt, dass die US-amerikanische Fondsbranche stärker konsolidiert ist als die europäische. Während die größten 10 US-Fondsgesellschaften zuhause einen Marktanteil von 62 % haben, kommen die größten 10 europäischen Gesellschaften in ihrem Heimatmarkt auf lediglich 29 %.Dieses Wachstum und ihre starke Stellung im Heimatmarkt verdanken die Amerikaner der Altersvorsorge. Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten erheblich von der steuerlichen Begünstigung von Rentensparplänen profitiert, insbesondere den nach dem entsprechenden Paragrafen im US-Einkommensteuerrecht benannten 401k-Plänen und den IRAs. Denn anders als häufig behauptet, kennt sich auch ein Durchschnitts-Amerikaner in Finanzdingen nicht besser aus als ein Durchschnitts-Europäer. Er kennt aber sehr wohl die Vorteile einer steuerlich attraktiven Altersvorsorge. Deshalb hat in den USA vor allem diese steuerliche Förderung in den vergangenen Jahrzehnten erhebliche Mittelzuflüsse in Fonds gelenkt. Seit Ende der 1970er Jahre ist der Anteil der 401(k)-Pensionspläne am US-Altersvorsorgevermögen kontinuierlich gestiegen, zwischen 1978 und 2018 von 0 % auf knapp 19 %. Zusammen mit anderen sogenannten Defined-Contribution-Plänen machen 401(k)-Anlagen inzwischen mehr als ein Viertel der Altersvorsorge-Assets in den USA aus – das sind 7,7 Bill. Dollar. 81 % der US-Haushalte mit Fondsbesitz legen in 401(k)-Pensionspläne an, 63 % dieser Haushalte sind so erstmals mit Fonds in Berührung gekommen. Vorteil durch SkaleneffekteDie Größenunterschiede zwischen Fondsanbietern und Märkten in den USA und Europa haben weitreichende Konsequenzen. Die amerikanischen Fondsgesellschaften sind dadurch nicht nur bestens aufgestellt für die Expansion ins Ausland, insbesondere nach Europa über entsprechende Tochtergesellschaften in Luxemburg oder Irland. Sie haben dank Skaleneffekten auch mehr finanziellen Spielraum, um einerseits Kosten zu senken und andererseits mehr Geld in künstliche Intelligenz, Big Data und andere technologische Entwicklungen zu investieren.Hinzu kommt, dass die USA in der Informationstechnologie ohnehin Weltspitze sind – nicht nur mit den großen Technologiekonzernen wie Apple, Amazon und Co., sondern auch mit spezialisierten Anbietern von Finanzmarkt- und Indexdaten, mit Ratingagenturen und Entwicklern von Software zur Steuerung von Anlagerisiken. Damit sind sie sehr gut auf die beiden Trends eingestellt, die den globalen Fondsmarkt derzeit verändern: Der steigende Druck auf Gebühren und Margen; und die Technisierung der Prozesse. Laut PwC sind die Gebühren für aktive Fonds in den vergangenen fünf Jahren weltweit durchschnittlich um 9 % gesunken, bei passiven Fonds um ein Viertel. Bis 2025 wird ein Rückgang der Gebühren um weitere 20 % erwartet, insbesondere in Europa. Wer diese Entwicklung ausgleichen will, muss Spezialist sein oder große Fondsvolumina verwalten, um durch Skaleneffekte Kosten sparen zu können; oder innovative Technik nutzen, um effizienter zu werden und neue Kunden zu erreichen. Uneingelöste EU-VersprechenVor diesem Hintergrund werden die europäischen Fondsgesellschaften in den nächsten Jahren alle Ressourcen darauf konzentrieren müssen, wettbewerbsfähig zu bleiben. Allerdings bindet die EU-Regulierung seit Jahren enorme Kapazitäten bei den Assetmanagern, die sie besser in ihre Zukunft investieren würden. Die EU könnte dazu einen ersten wichtigen Beitrag leisten, indem sie die “bessere Regulierung” schafft, die sie sich 2014 selbst zum Ziel gesetzt hat. Das hieße, die Auswirkungen geltender Regeln zu überprüfen und Überregulierung abzubauen. Bisher gibt es allerdings nicht weniger EU-Vorschriften, sondern immer mehr; vor allem unzählige Detailvorgaben der europäischen Aufsichtsbehörden (ESAs). Viele dieser Vorgaben sollen dem Verbraucherschutz dienen, verfehlen aber häufig ihr Ziel. Das Ergebnis sind Bürokratiemonstren wie Priips und Mifid II samt Begleitvorschriften, zahlreiche Analysen zu vermeintlicher Falschberatung und wiederholte Studien zu den Kosten aktiv gemanagter Fonds.Wirklich Kritisches haben die Regulierer dabei bisher nicht entdeckt. Dennoch kündigen sie immer weitere Untersuchungen zu den immer gleichen Themen an. Wie die Regulierung auf die globale Wettbewerbsfähigkeit der Assetmanager wirkt, untersucht die EU dagegen nicht.Genauso wichtig wie weniger Regeln ist deshalb ein breiterer Fokus der Regulierung. Dabei sollten sich Regulierer und Politiker in der EU die Herangehensweise der Amerikaner an die Finanzregulierung zum Vorbild nehmen. Während die europäischen Institutionen vor allem aus der Perspektive des Verbraucherschutzes und der Systemrisiken regulieren, verfolgen die Amerikaner umfassendere Regulierungsziele. Auch die US-Regulierer wollen die Verbraucher schützen und die Finanzstabilität gewährleisten. Für sie ist aber auch die Stärkung der heimischen Finanzindustrie ein wichtiges Ziel. Nach acht Jahren restriktiver EU-Regulierung käme eine solche Sichtweise allerdings einer kleinen Revolution gleich. Denn dieser Aspekt erscheint in Europa bisher nicht förderwürdig. Das muss sich dringend ändern. Altersvorsorge-Reform nötigUm den Abstand zu den USA nachhaltig zu verringern, werden allerdings die vorgeschlagenen Maßnahmen auch im besten Fall nicht ausreichen. Dafür wäre neben eigenen Anstrengungen der europäischen Assetmanager eine Reform der europäischen Altersvorsorge-Systeme erforderlich. Aber es wäre schon viel gewonnen, wenn die europäischen Gesetzgeber die Förderwürdigkeit der Assetmanager als Träger der Altersvorsorge und Finanzierer von Unternehmen und Staaten berücksichtigen würden, statt ihnen immer weiter regulatorische Lasten aufzubürden.—-Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des deutschen Fondsverbands BVI