ANSICHTSSACHE

Finanzmarktregulierung muss Mehrwert liefern

Börsen-Zeitung, 14.9.2018 Morgen ist es genau zehn Jahre her. Mit der Insolvenz von Lehman Brothers war der Höhepunkt der Finanzkrise erreicht. Banken trauten sich untereinander nicht mehr und Bankkunden fürchteten um ihre Einlagen, weshalb ein...

Finanzmarktregulierung muss Mehrwert liefern

Morgen ist es genau zehn Jahre her. Mit der Insolvenz von Lehman Brothers war der Höhepunkt der Finanzkrise erreicht. Banken trauten sich untereinander nicht mehr und Bankkunden fürchteten um ihre Einlagen, weshalb ein “Bank Run” plötzlich mehr als eine theoretische Beschreibung im VWL-Lehrbuch war. Das Finanzsystem stand vor dem Kollaps. Die Systemfrage nach der Legitimation unserer auf Freiheit basierenden Wirtschaftsordnung wurde gestellt.Seit 2008 ist viel passiert. Die gesamte Finanzbranche wurde reguliert – kein Stein blieb auf dem anderen. Ein Zuviel an staatlichen Eingriffen kann allerdings erhebliche Wohlstandsverluste mit sich bringen. Dieses Mantra wird aber bis heute von den meisten missverstanden – von Gegnern wie Befürwortern der Deregulierung. Gerade aus liberaler und damit ordnungspolitischer Sicht sind regulatorische Maßnahmen nicht nur nützlich, sondern zwingend notwendige Instrumente. Der Staat muss sie einsetzen, um für Wettbewerb zu sorgen und die Freiheit des Einzelnen vor negativen Einflüssen anderer zu schützen. Mit Blick auf die Finanzmärkte wird dies immer ein Balanceakt sein: Balance zwischen Stabilität und Verbraucherschutz auf der einen und genug Raum für die Finanzierung bestehender und neuer Geschäftsmodelle sowie dem Aufbau von Vermögen auf der anderen Seite. Wer den größten Wohlstand schaffen will, benötigt Finanzmärkte, die ihre Aufgaben erfüllen. Daran müssen wir die Regulatorik ausrichten und messen.Zehn Jahre nach der Finanzkrise ist es an der Zeit, die Fortschritte zu bewerten. Die im Koalitionsvertrag vorgesehene Evaluierung der Regulierung sollte umgehend von unabhängigen Fachleuten durchgeführt werden. Viele gute Regulierungsschritte wurden unternommen. Mit der zentralen Aufsicht über systemrelevante Institute und einem einheitlichen Abwicklungsmechanismus, der durch die Gläubigerbeteiligung die Haftung im Verlustfall besser regelt, wurden wichtige Brandschutzmauern gezogen. Systemische Risiken sind aber weiter in den Märkten enthalten. Die hohe Staats- und Unternehmensverschuldung, die große Zahl notleidender Kredite bei Banken oder die langfristigen Folgen der Niedrigzinspolitik stellen weiterhin eine erhebliche Gefahr dar. Selbstkritische Reflexion Bei der Diskussion um die Finanzmarktregulierung steht allerdings oft das “Mehr ist besser” vor der selbstkritischen Reflexion, ob ein Mehrwert geschaffen wird. Drei exemplarische Beispiele:Erstens fokussieren wir uns zu sehr auf die Vollendung der Bankenunion und die damit verbundene europäische Einlagensicherung. Dabei müsste doch die Kapitalmarktunion im Vordergrund stehen. Hier übernimmt privates Kapital das Risiko und federt wirtschaftliche Schocks ab, also gerade nicht der Steuerzahler oder der Sparer.Zweitens: Die Frage, wie eigenverantwortlich ein Bürger handelt, dient dazu – im Ausgleich von unternehmerischer Freiheit einerseits und legitimen Verbraucherinteressen andererseits -, einen angemessenen Schutz zu bestimmen. Zentral ist also: Wie viel Verantwortung kann und muss ein Kunde für seine Finanzentscheidung tragen? Seit diesem Jahr gilt mit Mifid II ein über 7 000 Seiten starkes Regelwerk, das mehr Schutz bringen soll. Menschen mit wenig Finanzerfahrung müssen sich darauf verlassen können, dass der Berater in ihrem Interesse handelt. Insofern war und ist es richtig, dass der Anlegerschutz eine wichtige Rolle im politischen Handeln bekommen hat.Genauso sinnvoll ist es, Kostentransparenz für den Anleger zu schaffen und seine Risikoneigung umfassend zu klären. Ob allerdings der Kunde vor, während oder nach dem Beratungsgespräch die überbordende Flut an Unterlagen NICHT liest, ist gleichgültig. Mit seitenlangen Formularen schwächen wir ihn, statt für mehr Aufklärung zu sorgen. Schlimmer noch: Wenn einem “konservativen” Anleger, der vielleicht schon seit vielen Jahren Aktien besitzt, heute von seinem Bankberater aufgrund seiner Risikoeinstufung keine Aktien mehr empfohlen werden dürfen, hat dies Folgen. Der Anleger muss entweder in renditeärmere Anlagen investieren oder ohne Beratung online Aktien kaufen. Kleine Institute ziehen sich schon ganz aus der Anlageberatung zurück. Der deutsche Sparer ist alles andere als börsenaffin. In einer Zeit, in der die Menschen mehr für das Alter werden sparen müssen, nehmen wir ihnen mit den Regelungen vollständig die Lust am Anlegen. In unserem Land gibt es Aussagen, dass es den mündigen Bürger nicht gibt. Ich bin der Überzeugung, wir dürfen das Bild des mündigen Bürgers nicht aufgeben.Drittens: Bei der Regulierung müssen die entstehenden Kosten mit in Betracht gezogen werden. Die Sparer leiden seit Jahren darunter, dass die Altersvorsorge zunehmend schwieriger wird. Bei einer der in Deutschland begehrtesten Anlagen, der Lebensversicherung, auch und gerade infolge der anhaltenden Niedrigzinspolitik, erhalten sie keine Rendite mehr. Wenn dann noch die zusätzlichen Kosten beispielsweise für Berichtspflichten dazukommen, muss mindestens die Frage gestellt werden, ob ohne Verlust von Transparenz und Sicherheit z.B. Doppelmeldungen vermieden werden können.Die Bundesregierung betreibt darüber hinaus “Gold-Plating”, das heißt bei der Umsetzung einer EU-Richtlinie in nationales Recht wird noch mehr Regulierung als nötig beschlossen. Damit benachteiligt sie sehenden Auges den Finanzstandort Deutschland. Da helfen auch keine Lippenbekenntnisse der Kanzlerin im Vorfeld der Hessenwahl.Die Politik muss die umgesetzten Finanzmarktregulierungen im Zusammenwirken der verschiedenen Vorschriften betrachten. Es geht nicht um mehr oder weniger Regulierung, sondern um die richtige Regulierung.—-Bettina Stark-Watzinger ist Bundestagsabgeordnete, Mitglied der FDP-Fraktion und Vorsitzende des Finanzausschusses. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—–Von Bettina Stark-WatzingerEs geht nicht um mehr oder weniger Regulierung, sondern um die richtige Regulierung.—–