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Finanzplatz München auf der Suche nach Innovationen

Von Joachim Herr, München Börsen-Zeitung, 13.3.2018 Die nationale Sichtweise ist längst passé. "Auch München ist ein europäischer Finanzplatz", stellt der Wirtschaftshistoriker Johannes Bähr von der Goethe-Universität in Frankfurt fest. "Es wäre...

Finanzplatz München auf der Suche nach Innovationen

Von Joachim Herr, MünchenDie nationale Sichtweise ist längst passé. “Auch München ist ein europäischer Finanzplatz”, stellt der Wirtschaftshistoriker Johannes Bähr von der Goethe-Universität in Frankfurt fest. “Es wäre aber falsch, London oder Frankfurt nachahmen zu wollen.” Klar, das Original ist allemal besser als eine Kopie. Und die Stärken Münchens als Finanzstandort lassen sich leicht ausmachen: die Versicherungen – an erster Stelle die Allianz und Munich Re -, Vermögensverwalter, Leasingfirmen, Private-Equity-Gesellschaften, aber auch die Verwurzelung in einer wirtschaftsstarken Region. Das ist die traditionelle Seite. Die kann sich auf eine lange Historie berufen (siehe Grafik).Auch in der Gründerszene mischt die bayerische Landeshauptstadt oben mit. Hier beschränkt sich Bähr allerdings auf die deutsche Dimension, liegen doch andere Staaten weit vorn. In Sachen Insurtech, den Start-ups in der Digitalszene der Versicherer, sei München an erster Stelle, in Sachen Fintech mit Frankfurt hinter Berlin an zweiter Position. Allerdings hält Bähr laufend Innovationsschübe für notwendig, um die Stellung zu festigen. “Es wäre an der Zeit, dass mal was Neues aus München kommt”, meint der Historiker.Eine Quelle für Innovationen ist das Werk 1 im Osten Münchens. Es versteht sich als Zentrum und Kaderschmiede für Start-ups in der Digitalwirtschaft und wird vom bayerischen Wirtschaftsministerium gefördert. Rund 40 junge Unternehmen haben sich auf dem früheren Firmengelände des Kartoffelknödelherstellers Pfanni angesiedelt, darunter zwei Insurtechs. Auf der Internetseite wirbt das Werk 1 als Start-up-freundlichster Ort Münchens. Relativ günstige Büros, Gemeinschaftsräume, Infrastruktur, Beratung und Coaching werden angeboten, zudem Gelegenheiten zum Netzwerken. So werden Kontakte zum Verein InsurTech Hub München angebahnt, dem Geschäftsideen vorgestellt werden können. Mitglieder des Vereins sind unter anderem die Allianz, Generali, HUK-Coburg und Munich Re. “Wir müssen langsam aufwachen”, mahnt Florian Mann, der Geschäftsführer von Werk 1. Indiz dafür ist aus seiner Sicht, dass von den 280 Einhörnern in der Welt gerade einmal drei in Deutschland seien. Nach dem Fabelwesen werden junge Unternehmen mit einer Bewertung von mehr als 1 Mrd. Dollar bezeichnet.München bietet dank seiner Hochschulen Potenzial für neue Geschäftsideen, auch in der Finanzbranche. 6 % aller Gründer in Deutschland seien Absolventen einer Münchner Uni, berichtet Mann. Er präsentierte das Werk 1 vor kurzem auf einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung des Instituts für Bank- und Finanzgeschichte zum Thema “Finanzplatz München – Geschichte und Gegenwart”.Das Konzept von Werk 1 mit einem Netzwerk von Insurtechs klingt für andere Teile der Münchner Finanzszene ebenfalls interessant. “Wir würden so etwas auch für Banken unterstützen”, sagt Johannes-Jörg Riegler, der Vorstandsvorsitzende der Bayerischen Landesbank (BayernLB). Der Bedarf an Innovationen ist da. Riegler vermutet, dass sich in den nächsten fünf Jahren in der Bankenwirtschaft mehr verändern wird als in den vergangenen 25 Jahren: “Die Googles und Alibabas werden kommen.” Die BayernLB müsse nicht Erster sein, wenn es um neue Trends gehe, in die viel investiert werden müsse. “Wir können aber beobachten, was entsteht”, meint Riegler. Das bedeutet freilich nicht, sich zurückzulehnen. “Teuer und Schickimicki”Sich auf seinen Standortvorteilen auszuruhen kann sich auch der Finanzplatz München keinesfalls leisten. Immer stärker schlägt der Nachteil hoher Mieten und knapper Wohnungen durch. Seit 1999 ist die Zahl der Einwohner um gut ein Viertel auf mehr als 1,5 Millionen gewachsen. “München ist teuer und Schickimicki”, moniert Michael Kemmer. “Das lieben Gründer nicht.” Der ehemalige Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Banken kennt München gut. Er studierte hier, war für die HypoVereinsbank tätig, später für die BayernLB.Der aktuelle BayernLB-Chef Riegler formuliert das Handicap so: “Der Bergblick allein reicht nicht.” Für qualifizierte Kräfte im Alter von Mitte 30, die eine Familie gründen wollten, sei München kaum erschwinglich. “Da muss man unbedingt etwas machen”, fordert er. Sonst werde aus dem Wettbewerbsvorteil einer reizvollen Landschaft ein Standortnachteil.Zudem stehe die Finanzbranche in München in einem harten Wettbewerb mit großen Industrieunternehmen wie Siemens und BMW um die besten Arbeitskräfte. Doch das ist nun mal die Kehrseite einer wirtschaftsstarken Stadt und Region.