Finanzplatz Tokio strebt an die Spitze
Von Martin Fritz, Tokio
Japans Hauptstadt Tokio will sich verstärkt auf die Förderung nachhaltiger Finanzierung von Maßnahmen gegen den Klimawandel fokussieren, um den verloren gegangenen Status eines globalen Finanzzentrums zurückzugewinnen. Konkret plant die Stadtregierung, „grüne“ Fintechs und Fondsmanager anzulocken und die Emission von grünen Anleihen zu subventionieren. Ausländische Unternehmen in diesem Bereich werden bei der Gründung und aus einem Hilfsfonds unterstützt.
Bis 2030 soll die Zahl der Assetmanagement-Firmen in Tokio sich beinahe verdreifachen und die Zahl der Fintechs mehr als vervierfachen. Die Emissionssumme für grüne Anleihen soll dabei von 800 Mrd. Yen in 2020 bis 2030 auf 3 Bill. Yen (23 Mrd. Euro) zunehmen. „Die Finanzierung der Dekarbonisierung wird unsere Präsenz als internationale Finanzstadt verstärken“, erklärte Gouverneurin Yuriko Koike. Als sinnvollen Schwerpunkt identifizierte der Ex-Vizegouverneur der Bank of Japan, Hiroshi Nakaso, die Übergangsfinanzierung von „braunen“ Industrien mit einem hohen Ausstoß an Kohlendioxid wie Stahl, Chemie und Schifffahrt. Die Diskussion über grüne Finanzierung tendiere zu einem „binären Ansatz zwischen grün oder braun“, ohne die Phase des Übergangs zu mehr Klimafreundlichkeit zu berücksichtigen. Hier könnte Tokio für Diversifizierung sorgen.
Nakaso leitet das Beratergremium Fincity Tokyo, das die Hauptstadt als „Global Financial Hub“ voranbringen soll. Koike hatte dafür 2017 einen ersten Fahrplan vorgelegt. Jedoch klangen ihre Argumente altbacken: Die Tokioter Börse sei so groß wie die in Hongkong und Shanghai; die japanischen Haushalte säßen auf 18 Bill. Dollar Bargeld, das angelegt werden könnte; Japan verfüge über das größte Auslandsnettovermögen; die wachstumsorientierte Abenomics-Politik mache Tokio für ausländische Finanzierer attraktiv.
Potenzieller Exodus
Doch diese Pluspunkte werden erst vermehrt wahrgenommen, seitdem Chinas Zentralregierung die Freiheiten im bisherigen Asien-Finanzzentrum Hongkong immer stärker beschneidet. In der Folge erwägen viele ausländische Banken und Vermögensverwalter den Umzug in eine andere Stadt in Asien. Der potenzielle Exodus aus Hongkong hat Gouverneurin Koike veranlasst, ihren Werbefeldzug für ein Finanzzentrum Tokio auszuweiten. Dafür eröffnete die Hauptstadt-Chefin im Oktober 2020 ein Tokio-Informationsbüro in Hongkong. Zugleich hat Koike zusammen mit der Zentralregierung in diesem Jahr mehrere Hürden für ausländische Finanzmanager beiseite geräumt oder gesenkt. So können Unternehmen ihre Lizenzen nun ausschließlich in englischer Sprache bei einem speziellen „Eintrittsbüro“ der Finanzaufsicht FSA beantragen. Assetmanager, die in bestimmten Ländern schon als institutioneller Investor anerkannt sind, erhalten fünf Jahre Zeit für eine Registrierung. Zugleich wurden einige Sonderregeln eingeführt: Unter bestimmten Bedingungen können nicht-börsennotierte Vermögensverwalter nun ihre Mitarbeiter-Boni als Ausgaben verbuchen, was bisher nicht möglich war. Auch das Damoklesschwert der Erbschaftsteuer schwebt nicht mehr über den zuziehenden Beschäftigten der Finanzindustrie. Unabhängig von ihrer Aufenthaltsdauer in Japan wird ihr vorheriges Vermögen im Ausland nicht von der Erbschaftsteuer erfasst. Für andere Ausländer gilt dagegen, dass nach zehn Jahren in Japan ihr gesamtes Weltvermögen im Todesfall besteuert wird. Außerdem gibt es nun einen Sonderbonus für ausländische Mitarbeiter von Vermögensverwaltern. Dadurch erhalten sie schneller eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Zudem dürfen ihre Partner ohne eigenes Arbeitsvisum in Vollzeit erwerbstätig sein.
Hohe Einkommensteuer
Allerdings hat Tokio den Rückstand in der Attraktivität zu Singapur damit noch nicht aufgeholt. So beträgt der japanische Höchstsatz der Einkommensteuer 45%, in Singapur sind es nur 22% und in Hongkong 17%. Auch eine wichtige Einkommensquelle für ausländische Institute sprudelt in Japan schon lange nicht mehr: Nur vier ausländische Unternehmen waren Ende 2020 an der Börse notiert. Daher feierte die Finanzzeitung Nikkei die erste Zweitnotierung eines asiatischen Unternehmens, als Omni-Plus System aus Singapur im Juni dieses Jahres nach Tokio kam. Doch der Ausländeranteil an der Börse Singapur von 34% und in Hongkong von 7% liegt unvergleichlich höher. Angesichts dieser strukturellen Defizite hält die Ökonomie-Professorin Sayuri Shirai von der Keio-Universität den neuen Fokus von Tokio auf grüner Finanzierung für eine erfolgversprechende Strategie. Allerdings hätten inzwischen auch andere Länder diese Wachstumschance erkannt. „Daher sollte Japan keine Zeit verlieren, seine Finanzregeln an diesen neuen Bedarf anzupassen“, warnte Shirai.