Finanzprodukte sind doch keine Schallplatte!

Von Jan Schrader, Frankfurt Börsen-Zeitung, 9.10.2015 "Der Kauf einer Schallplatte ist etwas anderes als der Kauf eines Finanzproduktes", sagt Sebastian Klein. Der Chef der Würzberger Fürstlich Castell'schen Bank wehrt sich gegen die Behauptung,...

Finanzprodukte sind doch keine Schallplatte!

Von Jan Schrader, Frankfurt”Der Kauf einer Schallplatte ist etwas anderes als der Kauf eines Finanzproduktes”, sagt Sebastian Klein. Der Chef der Würzberger Fürstlich Castell’schen Bank wehrt sich gegen die Behauptung, der Finanzberatung durch einen Menschen stehe ein Randdasein bevor – so wie das bei Schallplatten längst der Fall ist. Nichts anderes hat sein Kontrahent eben auf dem Podium im Gesellschaftshaus des Frankfurter Palmengartens gesagt: Christian Rieck, Professor für Finance an der Frankfurt University of Applied Sciences, stimmt an jenem Mittwochabend auf den Investmentfondstagen der Börsen-Zeitung die Zuhörer aus der Finanzbranche auf eine ungemütliche Zukunft ein. “Menschliche Berater werden für Spezialthemen da sein”, sagt er. Die Finanzberatung der Masse übernehmen demnach Maschinen.Der Streit, den der technikbegeisterte Professor und bekennende Nerd einerseits und der Vorstandsvorsitzende eines seit 1774 agierenden Traditionshauses andererseits dort austragen, klingt auch für viele andere Branchen vertraut. Grob aufteilen lassen sich die verschiedenen Lager in der Debatte um die Digitalisierung der Wirtschaft zwischen jenen, die moderate Veränderungen für die gesamte Gesellschaft – oder hier für die Finanzbranche – erwarten, und jenen, die eine sehr tiefgreifende Umwälzung heraufziehen sehen, die alte Berufsbilder hinwegfegt und Industrien zerstört.Auch Andreas Kern, Chef der Gesellschaft Wikifolio, die Händlerstrategien über Zertifikate zugänglich macht, ist heute mit von der Partie. Auf die Zuhörer, die sich an jenem Tag schon Vorträge zu den üblichen Finanz-Akronymen wie AIFMD, ETF, KAGB und OGAW angehört haben, wirkt die Debatte belebend: Wir Fondsleute – bloß Schallplatten?Rieck, der sich professionell als Redner vermarkten lässt, hat bereits auf zurückliegenden Konferenzen mit der Einschätzung provoziert, dass eine Technologie vor ihrem Durchbruch zunächst einmal nur von wenigen genutzt werde, ehe sie sich immer schneller verbreite. Weil dies nicht nur er vermutet, blickt die gesamte Finanzbranche gespannt auf automatische Berater (Robo-Advisors) und andere sogenannte Fintechs. Mit einem bereits investierten Vermögen von 452 Mill. Euro zählt Wikifolio wohl zu den größeren Anbietern in einer kleinen Nische. Folgt nun eine Revolution?Rieck greift auf ein altbekanntes Argument zurück: Andere Aufgaben sind schon von Kollege Computer ersetzt worden. Die Maschinen spielen bereits bestens Schach, schreiben Texte und haben eben auch die Schallplatte weitgehend verdrängt. Auch weiß eine Maschine wesentlich mehr als ein Mensch. Eine Buchhändlerin kann einen Kunden demnach allenfalls zum Regal lotsen, wo das gesuchte Werk steht, doch mehr Informationen hält Amazon bereit, sagt Rieck. Auch Finanzdaten erfasst ein Computer – ausgestattet mit dem passenden Algorithmus – besser als ein Wesen aus Fleisch und Knochen.Jetzt springt Wikifolio-Chef Kern ein. Der Kauf eines Buches sei ohne gravierende Folgen für die eigenen Finanzen, während sich Geldanlage auf das gesamte Leben auswirke. Er glaube zwar nicht an die Beratung in einer normalen Bankfiliale, aber der Mensch werde bei Finanzentscheidungen weiter eine Rolle spielen. Klein von der Fürstlich Castell’schen Bank vergleicht die Rolle eines Finanzberaters mit der eines Mediziners. Nicht allein auf Fakten könne eine Entscheidung ruhen, wichtig sei auch die Einschätzung eines vertrauten Menschen. Er kann immerhin darauf setzen, dass die Finanzberatung tatsächlich wenig mit einem gerillten Tonträger gemeinsam hat. ——–Die Fondsbranche fragt sich, ob Computer besser beraten können als Menschen.——-