Mathias Wikström

Fintech Doconomy will Klima-Botschaft Gehör verschaffen

Beim Klima befinden wir uns im Endspiel, also müsse man sich Gehör verschaffen, um die Wirtschaft auf den Pfad zu Net Zero zu bewegen, sagt Mathias Wik­ström vom Klima-Fintech Doconomy. Sein Credo: Der Mensch selbst ist das Heilmittel.

Fintech Doconomy will Klima-Botschaft Gehör verschaffen

Björn Godenrath.

Herr Wikström, Doconomy sammelt und verfeinert Daten zur Umweltbilanz von ökonomischem Handeln. Wie haben Sie die Datenqualität zum Messen des ökologischen Fußabdrucks verbessern können?

Seit fünf Jahren kalkulieren wir die Kohlenstoffintensität pro Transaktion mit Hilfe von Kategorie-Durchschnittswerten über Finanzmarktdaten von S&P Trucost. Das ist eine ausgabenbasierte Methodologie und stellt für uns eine gute Grundlage dar, bestehende Dateninfrastruktur mit Transaktionen über die App zu verbinden oder jede andere digitale Transaktion in Personal-Finance-Management-Apps weltweit. Dabei verläuft die Datenreise evolutionär, angefangen von dem Kohlenstoff-Intensitäts-Score einer Transaktion hin zum CO2-Einfluss jedes Rechnungspostens auf der Kreditkarte. Die Herausforderung dabei ist, diese Daten auf Produkt und Marke herunterzubrechen. Und da in der Hinsicht noch nicht genug vorhanden ist, haben wir mit Hilfe von Ecoinvent den „2030 Kalkulator“ entwickelt, um es KMU zu ermöglichen, ihren CO2-Fußabdruck mit einem einfachen Instrument zu kalkulieren. Das erhöht die Transparenz auf der Produktebene.

Wie läuft das granular ab?

Wir kommen da in vier Schritten hin. Erstens über die Kategorieebene (Merchant Category Codes, MCC) von Transaktionen und zweitens über die Unternehmensdaten (Merchant Identification, MID) zu Transaktionen, was in B2B relevant ist. Drittens gehen wir über die Produktebene, was über die PEF-Initiative (Product Environmental Footprint) der EU erleichtert wurde und eine künftige Benchmark dafür sein sollte. Und viertens verbinden wir die Produktebene mit der Marke. Dabei adressieren wir das in der Datenanalyse sowohl top-down, um die Botschaft an die große Masse zu bringen, als auch bottom-up, um die Präzision zu haben für die Fähigkeit des Konsumenten, sich schon vor der Kaufentscheidung zu orientieren über den ökologischen Fußabdruck. Es kommt schlussendlich darauf an, Vergleichbarkeit herzustellen unter Wahrung der individuellen Privatsphäre. Wenn wir mit unserem Register erfolgreich sind, dann gibt es eine vollständig transparente und nachverfolgbare Datenbank für Produkte, so etwas wie eine globale Kohlenstoff-Datenbank.

Wie laufen denn heute die Diskussionen mit der Vorstandsetage in den Unternehmen?

Mit dem Board- und C-Level hatten wir die Jahre immer beste Diskussionen, denn sie wissen, was zu tun ist und wer rechenschaftspflichtig ist. Außerdem verfügen sie über den Hebel, um Dinge durchzudrücken. Und während wir den Markt verändern, nimmt die gemeinsame Entwicklung mit Banken im Bezug auf Engagement, Verhalten und Anreize zu. Aber auch im Junior Management kann etwas bewegt werden, wenn sie sich der Sache verschrieben haben und sich Gehör verschaffen, um den Pfad des Arbeitgebers hin zu Net Zero zu bewegen. Und wenn sie im eigenen Haus kein Gehör finden, dann ziehen sie weiter zu einem anderen Arbeitgeber, der ihre Ansprüche in der Hinsicht erfüllt. Diese Migration wird derzeit sichtbar.

Müssen Sie im Dialog noch Konzepte wie Impact Investing erläutern?

Vor drei Jahren mussten wir das noch, heute nicht mehr – auch nicht, wenn es um das Tracking von Daten geht. Allerdings konfrontieren wir Kunden immer wieder mit Innovationen, die illustrieren, dass wir uns beim Klima im Endgame befinden und mit welchem Narrativ wir dem am besten begegnen können.

Physische Kreditkarten haben einen unvermeidbaren ökologischen Fußabdruck. Wäre es da nicht ratsam, Kunden komplett hin zu virtuellen Karten zu migrieren?

Wir brauchen beides. Bei physischen Karten ist klar, dass ihre Zeit ab einem bestimmten Punkt vorbei ist. Zum einen aus Gründen der Nachhaltigkeit, aber kurzfristig vor allem aus Aspekten wie Kosten, Sicherheit und Verhaltensänderungen heraus. Denn das Prestigedenken wird schon sehr kurzfristig dafür sorgen, dass diese Form der Verantwortung, auf physische Karten verzichten zu wollen, sich durchsetzt. Bei Jugendlichen sehen wir das jetzt schon in Social Media – auch wie jeder einzelne seine Prinzipien kommuniziert, Zugehörigkeit herstellt und letztlich auch ein Handlungssignal setzen will. Und da kann die Karte beziehungsweise der Verzicht darauf ein Identifizierungsmerkmal sein – was dann im Übrigen auch einen Bargeldverzicht begründen kann.

Wo stehen Climate Fintechs heute – und was fehlt, um auf das nächste Level zu kommen?

Doconomy gilt als Pionier, der den Sektor Climate Fintech geprägt hat als das, was er heute ist, nämlich ein Raum für das Gestalten einer nachhaltigeren Zukunft. Dabei nutzen wir die unglaubliche Effizienz des Finanzsystems, um die Verletzlichkeit des Ökosystems zu beschützen. Und nachdem CO2-Kompensation schon als das neue Gold angepriesen wurde, hatte das einige Glücksritter angezogen. Diese dürften aber vom derzeitigen Makroumfeld wegen mangelnder Qualität wieder herausgespült werden. Denn Investoren werden immer kritischer, da sie immer besser selbst Bescheid wissen. Da es immer schwieriger wird, eine Anschlussfinanzierung zu bekommen, dürfte auch in Climate Fintech eine Konsolidierung einsetzen. Als einer der Marktführer ist es da unsere Verantwortung, dass die dringend notwendigen langfristig positiven Effekte nicht aufgrund kurzfristiger Unsicherheiten verloren gehen. Climate Tech und Fintech sollte da große Resilienz beweisen können, aber in Venture Capital wird niemand ungeschoren davonkommen.

Ist die ESG-Taxonomie der EU geeignet, um schnell vorwärtszukommen und damit den Worst Case eines unbewohnbaren Planeten abzuwenden?

Ja, auf jeden Fall. Aber ich fürchte, es ist so ein bisschen „zu wenig zu spät“. Es kann aber auch sein, dass das nur die Klima-Besorgnis von mir als Vater ist, die mich das skeptisch sehen lässt. Immerhin hat die EU die Führung übernommen auf der regulatorischen Seite – und das über Europas Grenzen hinaus. Ich hadere vielmehr mit dem mangelnden Engagement der Bürger in anderen Ecken Europas, wenn es um den Green Deal geht. Wir müssen noch so viel Überzeugungsarbeit leisten. Und dafür sollten wir in der Lage sein aufzuzeigen, warum und wie die Bürger ihr Verhalten ändern können, wenn wir sie darum bitten – und es hilft sicher, wenn man diese Überzeugungsarbeit datengestützt leisten kann. Die meisten Politiker sind darin richtig schlecht, also ist es am privaten Sektor, damit voranzugehen.

Was haben Sie über sich selbst gelernt bei Nutzung der eigenen Kreditkarten?

Dass die Menschen selbst das Heilmittel sind. Wir haben zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Hüte auf als Eltern, Konsumenten, Politiker, Wähler oder Fleischfresser, aber die grundsätzliche Verantwortung für den Planeten bleibt – und das müssen wir in alle unsere Aktivitäten hineintragen, egal welche temporäre Rolle wir gerade spielen. Für mich persönlich bedeutete das, dass ich meine Altersvorsorge in nachhaltige Fonds umgeleitet habe, zu Hause erneuerbare Energie beziehe, meinen Verbrenner gegen ein Elektroauto getauscht habe, weniger Fleisch esse und fast nur noch Second-Hand-Mode kaufe. Beruflich nehme ich immer noch zu oft das Flugzeug, versuche aber vermehrt zumindest eine Strecke mit dem Zug zu machen.

Meiner Wahrnehmung nach trägt ein Teil der Klimaaktivisten zu einer Vergiftung der Diskussion bei, weil ein toxischer Ton jeden Dialog abtötet. Wie erleben Sie das?

Ausreißer in negativem Sinne wird es immer geben, und mit Zunahme der Verzweiflung werden es mehr. Wenn ein toxischer Ton unsere größte Herausforderung ist, dann ist das okay für mich, denn wir brauchen diese lauten Stimmen – müssen aber mehr Respekt in die Sprache bringen, wofür die akademische Welt und die Medien in der Verantwortung stehen. Am wichtigsten ist aber, dass wir glaubwürdige und vergleichbare Daten haben, sonst können wir die Transformation nicht friktionsfrei gestalten. Dafür will ich meinen Beitrag leisten, indem wir dafür sorgen, dass die Datenbasis stimmt, um die Klimabewegung inklusiv zu gestalten, so dass alle Menschen sich engagieren und ihren Beitrag leisten können, um den Planeten in besserem Zustand zu hinterlassen gegenüber dem, wie wir ihn heute vorfinden.

Das Interview führte

BZ+
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