Flut neuer Vorschriften ist des Guten zu viel

Politik und Aufsicht müssen sich einen Überblick über die Gesamtauswirkungen verschaffen, bevor über noch weitergehende Regelungen nachgedacht wird

Flut neuer Vorschriften ist des Guten zu viel

Wer heute als Finanzinstitut einen Kredit vergibt, gerät automatisch in ein Spannungsverhältnis: Auf der einen Seite möchte man die Kunden umfangreich mit Krediten versorgen und so zum Wirtschaftswachstum beitragen – wie es im Übrigen für die Sparkassen zum gesetzlich vorgegebenen Wesenskern zählt. Auf der anderen Seite gerät jedes Kreditinstitut in ein immer enger werdendes Dickicht von Vorschriften und Regeln – und dies gleich an mehreren Punkten:1. Zunächst einmal macht es die große Konkurrenz in Deutschland erforderlich, dass die Kreditkonditionen genau den Markt und die Risikolage treffen. Nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrer Geldpolitik versucht, den Zins im Euroraum praktisch abzuschaffen, muss hier jedes Institut ganz genau kalkulieren. Jedes Haus versucht möglichst viel Geld, das dank der weiterhin steigenden Einlagen mehr als genug vorhanden ist, per Kredit sinnvoll und ertragbringend anzulegen – auch um den Strafzinsen bei der EZB zu entgehen.2. Wenn das geschafft ist, muss bei vielen Krediten schon in der Beratung ein ganzes Paket mit Hinweisen und Warnungen gesetzlich zwingend übergeben werden. Da steht viel Lesenswertes drin, allerdings geht kaum jemand davon aus, dass die Kunden tatsächlich die vielen Seiten anschauen. Dies tun dann erst die spezialisierten Anwälte, wenn der Kunde später den Kredit vielleicht wieder loswerden will. Für diese Zielgruppe kann gar nicht genug Kleingedrucktes im Vertrag stehen.3. Bevor ein Kreditvertrag unterschrieben werden darf, muss zunächst einmal eine umfangreiche, gut dokumentierte Prüfung des Kreditnehmers erfolgen. Im Rahmen der Entmündigung des Bürgers muss jedes Kreditinstitut darauf achten, ob sich der Kreditnehmer nicht eventuell eines Tages übernehmen könnte.4. Sollte der Kredit tatsächlich vergeben werden, muss er entsprechend mit Eigenkapital unterlegt werden. Hier klettern die Vorschriften und Eigenkapitalpuffer Jahr für Jahr in die Höhe, so dass der Tag nicht mehr fern ist, da die befürchtete Kreditklemme tatsächlich eintritt – ausgelöst durch die Politik und Regulierungsbehörden, die ständig beteuern, eine Kreditklemme verhindern zu wollen.5. Schließlich kommen die Statistiker und Controller an die Reihe. Jeder Kredit muss sauber geführt und im Detail aufgelistet werden und findet gleich in mehreren Datenbanken Eingang. Wenn dann noch Anacredit startet, sind weitere 100 Datenfelder auszufüllen. Vorsicht gebotenAngesichts dieser Hürden ist es erstaunlich, dass Kreditinstitute tatsächlich immer noch Kredite vergeben, anstatt nur “Parkgebühren” für die Einlagen von den Kunden zu verlangen. Die EZB und die anderen Aufsichtsgremien müssen ebenso wie die Politik auf deutscher wie auch auf europäischer Ebene aufpassen, dass sie nicht mit einer überzogenen Regulierung die Spielräume für Kreditvergaben nach und nach so einengen, dass am Ende niemand mehr einen Kredit vergeben will. Mit neuen Regeln überzogenDie deutsche Umsetzung der Wohnimmobilienkredit-Richtlinie, die von einigen Politikern und Verbraucherschützern weiterhin verteidigt wird, ist dafür ein gutes Beispiel. Hier wurde ein Bereich mit neuen Regeln überzogen, bei dem es bisher insbesondere in Deutschland gar keine Probleme gab. Der Entscheidungsspielraum bei der Kreditvergabe wird unnötig eingeschränkt, da nach den neuen Bestimmungen unklar ist, in welchem Umfang man die Werthaltigkeit der Immobilie in die Kreditentscheidung noch einbeziehen darf. Stattdessen müssen Sparkassen und Banken jetzt in erster Linie nachweisen, dass der Kreditnehmer den Kapitaldienst (Zinsen und Tilgung) jederzeit über die gesamte Laufzeit aus seinem Einkommen erbringen kann. Dies ist zum Beispiel bei Selbständigen oder jungen Familien oft schwierig.Zudem ist ein enormer bürokratischer Aufwand hinzugekommen. Wie bereits bei der Wertpapierberatung muss nun auch bei Immobilienkrediten den möglichen Kreditnehmern bereits bei der Beratung ein großer Papierstapel mitgegeben werden. Wenn ein Ehepaar sich für eine Immobilie interessiert, ist alles sogar doppelt auszudrucken. Dies führt zu einer Papierflut, die auch die Verbraucher als unnötig empfinden und sie oft mehr irritiert, als es ihnen tatsächlich nützt. Schließlich wird mit der Umsetzung der Wohnimmobilienkredit-Richtlinie in Deutschland neue Unsicherheit gesät. Nach dem Ärger mit fehlerhaften Widerrufsbelehrungen finden sich in den veränderten Regelungen viele Rechtsbegriffe, die nicht klar beschrieben sind. Dies wird zwangsläufig zu neuen gerichtlichen Auseinandersetzungen führen.Besonders schwierig wird es zum Beispiel für Rentner, die ihre Immobilien altersgerecht umbauen wollen. Hier erschwert die Richtlinie die Kreditvergabe enorm, da die statistische Lebenserwartung jetzt viel stärker gewichtet werden muss. Die Sparkassen werden oftmals solche Darlehen zukünftig trotzdem vergeben, aber sie gehen damit Unsicherheiten ein. So könnten Erben eventuell die komplette, kostenfreie Rückabwicklung des Kredits verlangen. Mehr differenzierenBei der Regulierung auf europäischer Ebene geht es darum, dass mehr differenziert wird. So war zum Beispiel der klassische deutsche Mittelstandskredit selbst in den Jahren der Finanzkrise keineswegs problematisch, sondern vielmehr ein wesentlicher Grund, warum wir in Deutschland den wirtschaftlichen Einbruch so rasch überwinden konnten. Daher ist bei Basel III für die klassische Mittelstandsfinanzierung die dauerhafte Beibehaltung des KMU-Skalierungsfaktors (nach Artikel 501 der EU-Kapitaladäquanzverordnung CRR) notwendig. So würden die derzeit geltenden Eigenkapitalanforderungen für Mittelstandskredite bestehen bleiben und nicht zusätzlich steigen. Keine PauschalierungKleine und mittlere Unternehmen (KMU) bilden 99 % der in Baden-Württemberg ansässigen Betriebe – für diese sind klassische Unternehmerkredite die bei weitem wichtigste Finanzierungsform. Lokale Bankinstitute und Sparkassen sind eng mit den mittelständischen Betrieben verbunden, zum Teil bestehen seit Jahrzehnten vertrauensvolle Vertragsbeziehungen. Dieses Erfolgsmodell hat es ermöglicht, die Folgen der Finanzmarktkrise schnell zu überwinden. Die Regulierung des Kreditrechts sollte daher auf die tatsächlichen Risikofaktoren konzentriert werden und nicht pauschal alle Kredite einschränken. Daher haben sich in Baden-Württemberg der Handwerkstag (BWHT), der Industrie- und Handelskammertag (BWIHK), der Genossenschaftsverband (BWGV) und der Sparkassenverband (SVBW) zu einer gemeinsamen Initiative entschlossen. In einem Positionspapier unter der Überschrift “Mittelstand stärken – Kreditfinanzierung sichern – Finanzmarktregulierung anpassen” fordern die vier großen Dachverbände der Wirtschaft in Baden-Württemberg eine Regulierung mit Augenmaß, mehr Verständnis für die Bedürfnisse von kleineren und mittelgroßen Unternehmen und die Sicherung der Kreditfinanzierung des Mittelstands.Zusammenfassend: Ja, wir hatten 2008 Nachholbedarf in einigen Punkten – auch bei Fragen der Regulierung. Aber die Flut neuer Vorschriften und Regelungen, die seit 2008 auf die Finanzinstitute ohne Rücksicht auf Geschäftsmodell und Risiko niederprasselt, ist des Guten eindeutig zu viel. Dies belastet immer stärker unser in der Krise bewährtes mittelständisches Geschäftsmodell in Deutschland. Gesamtschau angefordertEin besonderes Problem ist derzeit, dass jede Aufsichtsbehörde und die Politik gleichzeitig viele Regeln schärfer fassen. Der Überblick über die Gesamtauswirkungen fehlt dabei oft. Das Europäische Parlament hat ebenso wie der Deutsche Bundestag eine solche Gesamtschau der Regulierung bei der EU-Kommission beziehungsweise der Bundesregierung angefordert. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es muss eine Kernaufgabe der nächsten Monate sein, dass sich die Politik und die Aufsicht zunächst einmal diese Übersicht verschaffen, bevor über noch weitergehende Regelungen, wie zum Beispiel Basel IV, überhaupt nachgedacht wird.—Peter Schneider, Präsident des Sparkassenverbands Baden-Württemberg