FTX-Prozess

Für Sam Bankman-Fried beginnen die Wochen der Entscheidung

Der Betrugsprozess gegen Sam Bankman-Fried hat begonnen. Das Verfahren um den Kollaps der Kryptobörse FTX droht laut Analysten erneut ein schlechtes Licht auf den gesamten Digital-Assets-Markt zu werfen.

Für Sam Bankman-Fried beginnen die Wochen der Entscheidung

xaw New York

Für den abgestürzten Hoffnungsträger der Krypto-Szene beginnen die Wochen, die über den weiteren Verlauf seines Lebens entscheiden: Am Dienstag ist in New York das Betrugsverfahren gegen FTX-Gründer Sam Bankman-Fried gestartet. Dem einstigen Milliardär droht bei einer Verurteilung eine Haftstrafe von insgesamt mehr als 100 Jahren. Analysten befürchten nun, dass die bis zu sechswöchigen Gerichtsverhandlungen den Fokus wieder auf die Schattenseiten des Digital-Assets-Segments rücken werden – in einer Phase, in der eigentlich neue Hoffnungen auf eine verstärkte institutionelle Adoption von Kryptowährungen aufgekeimt sind.

Bankman-Fried muss sich zunächst gegen sieben Anklagepunkte verteidigen, darunter Wertpapierbetrug, in denen er auf "nicht schuldig" plädiert hat. Die Vorwürfe stehen im Zusammenhang mit dem Kollaps seiner Kryptobörse. FTX geriet im November 2022 in Liquiditätsnöte. Zunächst kündigte die nun selbst mit massiven rechtlichen Problemen konfrontierte Konkurrentin Binance eine Übernahme der Kryptobörse an – nahm davon aber Abstand, nachdem sie bei ihrer Due Diligence auf ein Milliarden-Bilanzloch stieß. Kurz darauf beantragte FTX in den USA Insolvenz. Bankman-Fried wurde im Dezember 2022 auf den Bahamas verhaftet. Das US-Justizministerium wirft ihm vor, in großem Stil Kundengelder seiner Handelsplattform missbraucht zu haben, um damit Trades der Schwesterfirma Alameda Research zu finanzieren. 

Ex-Freundin kooperiert mit Ermittlern

Mitglieder der Strafverfolgung sprechen von "einem der größten Finanzbetrüge in der amerikanischen Geschichte". Im Verlauf des Verfahrens dürften sie auf mehrere Millionen Seiten an Beweismitteln rund um den FTX-Kollaps Bezug nehmen. Zudem sollen zahlreiche ehemalige Geschäftspartner und Vertraute Bankman-Frieds aussagen – darunter die ehemalige Chefin der FTX-Schwesterfirma Alameda Research, Caroline Ellison, die zeitweise auch privat mit dem Gründer liiert war. Sie hatte sich wie weitere Spitzenmanager aus dem FTX-Kosmos im Zuge des Betrugsverfahrens schuldig bekannt und kooperiert mit den Ermittlern.

Sam Bankman-Fried sitzt seit August in einem Untersuchungsgefängnis in Brooklyn ein. Photo by Louis Lanzano/UPI Photo via Newscom picture alliance

Bereits die Wochen vor dem Prozessauftakt waren mit Dramatik gefüllt. So versuchten die Anwälte Bankman-Frieds, noch vor Verhandlungsbeginn eine Freilassung ihres Mandanten aus dem Untersuchungsgefängnis in Brooklyn zu erwirken, in dem er seit August einsitzt. Damals hob der zuständige New Yorker Bundesbezirksrichter Lewis A. Kaplan die 250 Mill. Dollar schwere Kaution für den 31-Jährigen auf. Denn dieser habe mehrfach versucht, Zeugen zu beeinflussen. So habe Bankman-Fried das private Tagebuch Ellisons an die "New York Times" weitergegeben, um die ehemalige Alameda-Chefin in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen und einzuschüchtern. Die Entscheidung Kaplans zur Aufhebung der Kaution hatte zuletzt auch vor einem Berufungsgericht Bestand.

Gericht schließt Zeugen aus

Damit rissen die schlechten Nachrichten für Bankman-Fried nicht ab. So schloss das Gericht mehrere Zeugen der Verteidigung von dem Verfahren aus. Die Bankman-Fried-Anwälte planten durch die Befragung dieser sieben Experten wohl aufzuzeigen, dass die Geschäftsbedingungen von FTX eine Verwendung von Kundenmitteln für Investments zugelassen hätten. Drei der Zeugen lehnte das Gericht aber vollständig ab, da ihre Aussagen laut Kaplan irrelevant sind oder die Geschworenen verwirren könnten. Die vier verbleibenden Experten könnten noch zu Wort kommen – allerdings nur im Rahmen von Gegenargumenten der Verteidigung.

Unterdessen versuchen Bankman-Frieds Anwälte, noch in letzter Minute Zeugen der Anklage vom Verfahren ausschließen zu lassen. So will das US-Justizministerium einen jungen Mann aus der Ukraine vor Gericht aussagen lassen, der durch den FTX-Crash einen substanziellen Teil seiner Ersparnisse verloren haben soll. Nach Auffassung der Anklage sind Aussagen von FTX-Kunden aus verschiedenen geographischen Regionen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen auf der Plattform unterwegs gewesen seien, verfahrensrelevant. Denn daran zeige sich der weitreichende Einfluss der Kryptobörse auf die gesamte Digital-Assets-Gemeinschaft. Allerdings kann der Mann aus der Ukraine nur per Livestream vor Gericht erscheinen – Bankman-Frieds Anwälte argumentieren, ihr Mandant habe das verfassungsmäßige Recht, persönlich mit den Zeugen gegen ihn konfrontiert zu werden.

Ringen um Sympathie der Jury

Die Anklage plant wohl, eine Mischung aus Kleinanlegern und professionellen Investoren aufzurufen, um den vielfältigen Schaden durch den FTX-Kollaps zu illustrieren und die Sympathien der Jury zu gewinnen. Die potenziellen Geschworenen reihten sich am Dienstagmorgen unter einem strahlend blauen Himmel vor dem Gerichtsgebäude in Lower Manhattan auf, mit ihrer Befragung bezüglich ihrer sozialen Hintergründe und möglicher Voreingenommenheit begann der Prozess. Am Ende eines solchen sogenannten "Voir dire" steht die Zusammensetzung der zwölfköpfigen Jury aus einem größeren Feld an – in diesem Fall 50 – potenziellen Geschworenen fest.

Im Fall Bankman-Fried stehen die Anwälte laut Wirtschaftskanzleien vor der zusätzlichen Herausforderung, dass ein großer Teil der Geschworenen sich nicht mit den Komplexitäten des Kryptomarkts auskennen dürfte. Dies macht es für die Verteidigung schwierig, mögliche Unterschiede zwischen einem vorsätzlich kriminellen Handeln Bankman-Frieds und mangelnden Risikokontrollen zu erklären. Erschwert wird dies durch den erwähnten Ausschluss vieler Expertenzeugen. Die Anklage besitzt dagegen wohl den Vorteil, keine weitläufigen Erklärungen zum Kryptomarkt abhalten zu müssen, sondern sich gezielt auf harte Betrugsvorwürfe fokussieren zu können. Laut Rechtsexperten geht gerade die Staatsanwaltschaft für den südlichen Distrikt von New York, die häufig mit komplexen Wirtschaftsfällen konfrontiert ist, üblicherweise nach dem Motto "weniger ist mehr" vor, um die Jury nicht zu verwirren.

Schwierige Prozesstaktik

Eine Strategie der Verteidigung könnte darin liegen, Bankman-Fried selbst aussagen zu lassen. Dies gilt jedoch als riskant: Gelingt es ihm nicht, die Geschworenen davon zu überzeugen, dass er Management-Fehler begangen, aber nicht in böser Absicht gehandelt habe, würde dies seine Aussichten für den weiteren Verfahrensverlauf wohl erheblich eintrüben. Juristen glauben, dass Bankman-Frieds häufig erratisches Verhalten aus prozesstaktischer Sicht gegen eine Aussage des Unternehmers spricht.

Die Anwälte des FTX-Gründers wollen unterdessen offenbar Sympathien für den 31-Jährigen wecken, indem sie im Rahmen der Verhandlungen seine "vorherigen guten Taten", etwa Spenden für wohltätige Zwecke, präsentieren. Am Montag fragte die Verteidigung beim Gericht an, ob es eine solche Vorstellung erlauben werde.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft gilt allerdings unabhängig von solchen Schritten als stark. Marktteilnehmer sorgen sich nun, dass die von hohem Medienandrang begleiteten Verhandlungen in New York erneut negativ auf die gesamte Digital-Assets-Branche abstrahlen dürften. Bitcoin notierte auf der Handelsplattform Bitstamp am Dienstag jedenfalls mit einem Minus von 3,3% bei 27.344 Dollar.

Im vorherigen Jahresverlauf hatte sich die führende Cyberdevise kräftig erholt. Zwischenzeitlich verlieh ihr auch die neuerliche Hoffnung auf großvolumige institutionelle Mittelzuflüsse Schwung. Diese speiste sich aus dem Urteil eines US-Berufungsgerichts, das einen ablehnenden Bescheid der Börsenaufsicht SEC zu einem Spot-basierten Bitcoin-ETF der Investmentfirma Grayscale aufhob. Anleger hofften in der Folge auf einen baldigen Marktstart solcher börsennotierter Indexfonds in den Vereinigten Staaten, mit Blackrock, Invesco und Fidelity hatten auch führende Vermögensverwalter entsprechende Zulassungsanträge eingereicht. Zuletzt verschob die SEC Entscheidungen zur Freigabe dieser Vehikel aber erneut.

Bisher sind in den Vereinigten Staaten nur Futures-basierte Krypto-ETFs handelbar. Deren Einführung hatte im Oktober 2021 zwar für große Euphorie unter Marktteilnehmern gesorgt, da sie im Vergleich zu Direktinvestments und der Verwaltung digitaler Wallets einen wesentlich unkomplizierteren Zugang zum Segment ermöglichen. Allerdings gelten die Vehikel für institutionellen Investoren als weniger attraktiv als Spot-Vehikel, weil sie das Basisasset nicht hundertprozentig präzise abbilden und die zugrundeliegenden Terminkontrakte monatlich gerollt werden müssen – was zusätzliche Kosten verursacht.

SEC verschiebt Entscheidungen

Zur laufenden Woche starteten in New York auch die ersten Futures-ETFs auf die zweitgrößte Digitalwährung Ether in den Handel und trafen dabei auf äußerst verhaltene Resonanz. Laut Dow Jones Market Data kamen die sieben neuen Vehikel am Montag auf ein kombiniertes Handelsvolumen von weniger als 7 Mill. Dollar. Nun hoffen Krypto-Enthusiasten auch auf eine Zulassung für Spot-Ether-ETFs, entsprechende Anträge von Grayscale sowie dem ETF-Spezialisten Van Eck und der von Börsenstar Cathie Wood geführten Ark Invest liegen der SEC bereits vor. Eine zeitnahe Zustimmung gilt auch in diesen Fällen aber als äußerst unwahrscheinlich.

Denn die Blockade gegen Spot-ETFs auf Kryptowährungen ist Teil einer breiteren Regulierungskampagne der US-Börsenaufsicht und anderer Bundesbehörden im Digital-Assets-Markt. So klagt die SEC gegen die Handelsplattformen Coinbase und Binance, denen sie massive Verstöße gegen geltendes Wertpapierrecht vorwirft. Und auch im Fall FTX haben die Behörde und der Derivate-Regulator CFTC Klage eingereicht. Darüber hinaus sind noch zahlreiche weitere Zivilprozesse rund um den Kollaps von Bankman-Frieds Kryptobörse anhängig. Zuletzt verklagte die inzwischen vom erfahrenen Insolvenzverwalter John J. Ray geführte FTX die Eltern des Firmengründers auf Rückgabe von unrechtmäßig erlangten Mitteln im Millionenwert.

Barbara Fried vor einem Gerichtsgebäude in Manhattan: Nach dem FTX-Kollaps sehen sich auch die Eltern von Firmengründer Sam Bankman-Fried mit einer Zivilklage konfrontiert. Photo by Bebeto Matthews/Associated Press via Newscom picture alliance

Neues Jahr, neue Verhandlungen

Auch strafrechtlich ist für Bankman-Fried mit dem Ende der aktuellen Verhandlungen wohl noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Ab dem kommenden Jahr sollen vor dem Bundesgericht in New York fünf weitere Anklagepunkte verhandelt werden, darunter Bankbetrug und die versuchte Bestechung chinesischer Beamter, durch die Bankman-Fried angeblich Zugriff auf eingefrorene Trading-Konten in der Volksrepublik erhalten wollte. Unterdessen besteht noch die Möglichkeit, dass der FTX-Gründer seine Strategie ändert und im laufenden Verfahren auf "schuldig" plädiert. Dies gilt allerdings als unwahrscheinlich. Denn zu diesem späten Zeitpunkt dürfte die Staatsanwaltschaft Bankman-Fried laut Rechtsexperten keinen attraktiven Deal mehr anbieten. Damit bahnt sich für das einstige Krypto-Wunderkind ein harter Kampf bis zum Schluss an.

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