„Für Wero brauchen wir einen langen Atem“
IM INTERVIEW: MATTHIAS NETH
„Für Wero brauchen wir einen langen Atem“
Der neue baden-württembergische Sparkassenpräsident sieht noch Raum für Zahlungsanbieter – Kapitalanlage in Stromnetz für private Kunden geplant
Herr Neth, welche Erfahrungen aus Ihrer elfjährigen Tätigkeit als Landrat kommen Ihnen zugute, um den Sparkassenverband Baden-Württemberg (SVBW) zu führen?
Als Landrat im Hohenlohekreis war ich immer zutiefst überzeugt von der Sinnhaftigkeit der kommunalen Selbstverwaltung. Was vor Ort gelöst werden kann, sollte auch vor Ort gelöst werden. Jede der 50 Sparkassen in Baden-Württemberg trägt zum wirtschaftlichen Wohlstand und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei. Als Verwaltungsratsvorsitzender der Sparkasse Hohenlohekreis habe ich viele wichtige Akteure unserer Finanzgruppe bereits kennengelernt. Aber natürlich kommen als Präsident des SVBW auch neue Themen auf mich zu. Deshalb habe ich mich fast ein Jahr lang auch mithilfe meines Vorgängers Peter Schneider in einem strukturierten Onboarding-Prozess auf die neue Aufgabe vorbereitet – etwa für meine Rolle als Aufsichtsratsmitglied der LBBW.
Welche Agenda haben Sie sich denn selbst gegeben?
Wir leben in spannenden Zeiten. Angesichts der vielen Umbrüche auf ganz verschiedenen Ebenen bin ich überzeugt, dass wir als Sparkassen-Finanzgruppe Baden-Württemberg eine bedeutende gesellschaftspolitische Rolle einnehmen müssen. Es gilt, die großen Themen wie die Transformation der Wirtschaft, die Auswirkungen der demografischen Entwicklung sowie die Entwicklung von künstlicher Intelligenz und Digitalisierung der Gesellschaft anzupacken. Wir Sparkassen sind eine Art Spiegel der Gesellschaft und müssen hier gestaltend vorne mit dabei sein.
Das heißt?
Es ist unsere Aufgabe, den Mittelstand im Südwesten aktiv zu begleiten – insbesondere bei der Transformation der Wirtschaft. Die Automobilindustrie, die Zulieferindustrie und die Baubranche sind davon zum Beispiel sehr stark betroffen. Die Sparkassen sind hier zusammen mit ihren Verbundunternehmen ein kompetenter Partner über die reinen Finanzierungsfragen hinaus. Dasselbe gilt für die Transformation der Energieversorgung, für die es neuer Stromtrassen und -netze bedarf. Denn Strom aus erneuerbaren Energien im Norden wird auch im Süden gebraucht.
Im vergangenen Jahr hat hier ein Südwestkonsortium unter Führung der SV Versicherung annähernd 25% an der Übertragungsnetzbetreiberin Transnet BW übernommen.
Genau, womit wir eine strategische Position im Land besetzt haben. Aktuell sind wir dabei, das Engagement für ein kundengerechtes Produkt zu entwickeln. Privatkunden von Sparkassen sollen im Wissen um diese Beteiligung bei der Sparkassen-Finanzgruppe ihr Geld anlegen können. Im Jahresverlauf ist hier mit einem Ergebnis zu rechnen.
Woran hängt es noch?
An vielen Detailfragen. Im Sommer wollen wir mit den Beraterschulungen starten. Wenn alles glattläuft, können im Herbst erste Kunden angesprochen werden. Mit dem räumlich und zeitlich begrenzten Piloten wollen wir wertvolle Erfahrungen sammeln.
Wann wird der nächste Kapitalschub fällig?
Es wird weiteren Kapitalbedarf geben, aber nichts, was aktuell zur Entscheidung ansteht. Uns treibt derzeit stark um, welche Eigenkapitalunterlegung bei dieser Infrastrukturbeteiligung von der Aufsicht gefordert wird. Das jüngste Baseler Regelwerk sieht einen Ermessensspielraum vor, Risikogewichte können von 100% auf 250% erhöht werden. In einem so stark regulierten Geschäftsfeld wie Energienetzen halten wir eine Beibehaltung der Risikogewichtung von 100% für gerechtfertigt. Über diese Frage stehen wir derzeit in intensivem Austausch mit den verantwortlichen Stellen auf Landes- und Bundesebene.
Also eine Hängepartie?
Nein, ein fortlaufender Prozess.
Welche Bedeutung messen Sie hierzulande der künstlichen Intelligenz (KI) bei?
KI ist Herausforderung und Chance zugleich. Es gilt, Systeme einzusetzen, die automatische Abläufe auch übernehmen können und nicht unbedingt aus den USA oder Asien stammen.
Jeder vierte Kunde hat laut einer Studie der Marktforschungsgesellschaft Yougov Probleme mit Filialschließungen. Bleiben die Sparkassen flächendeckend präsent?
Ich denke, mit 1.712 Filialen im Land lösen wir unseren Anspruch, weiterhin flächendeckend präsent zu bleiben, klar ein. Von den 518 SB-Filialen werden im Einzelfall inzwischen 107 gemeinsam mit den Genossenschaftsbanken vor Ort genutzt. Die Frage ist doch, wie und wo die Menschen ihre Geldgeschäfte abwickeln wollen. Und da ist nicht immer nur die Geschäftsstelle, sondern auch die Internetfiliale und das Smartphone eine Antwort.
Die Sparkassen sind kürzlich mit dem europäischen Zahlungssystem Wero gestartet. Kommt das angesichts der Dominanz von Paypal, Mastercard oder Klarna nicht um Jahre zu spät?
Sicher ist der Payment-Markt hart umkämpft. Aber mit dem neuen Bezahldienst, der perspektivisch auch für Online-Shopping und später auch im Einzelhandel genutzt werden kann, haben wir die Chance, den europäischen Zahlungsverkehr Schritt für Schritt zu erneuern. Ich bin überzeugt davon, dass das ein attraktives Angebot ist. Die Sparkassenkundinnen und -kunden können sich im ersten Schritt zunächst in Deutschland und auch Belgien gegenseitig per Handy oder E-Mail in Echtzeit Geld senden. Weitere Länder wie Frankreich und die Niederlande werden folgen. Natürlich brauchen solche neuen Angebote einen langen Atem, aber Sparkassen wissen, was Ausdauer bedeutet.
Ähnliche Erwartungen hatte die deutsche Kreditwirtschaft auch von dem inzwischen gescheiterten Bezahlsystem Paydirekt.
Es gilt jetzt, nach vorne zu schauen. Wir sehen in dem rasch wachsenden Payment-Markt genügend Platz für ein weiteres Bezahlverfahren, das auch für viele Händler attraktiv ist, zumal Wero einfach und sicher zu handhaben ist.
Kommen wir zu einem Ihrer Kerngeschäftsbereiche, der Baufinanzierung. Wie hat sich die Situation nach dem Einbruch des Neugeschäfts 2023 im laufenden Jahr entwickelt?
Der Rückgang von mehr als 50% im Jahr 2023 war tatsächlich dramatisch. In den ersten fünf Monaten 2024 hat eine leichte Erholung eingesetzt, von dem überaus erfreulichen Geschäft von 2022 sind wir aber noch meilenweit entfernt.
Worin sehen Sie die Ursachen?
Das ist ein Dreiklang aus der Zinswende, hohen Baukosten sowie Unklarheiten bei der staatlichen Förderung. Man sollte sich dabei immer wieder vergegenwärtigen, dass uns der Wohnraum, den wir heute nicht bauen, morgen als Altersvorsorge fehlen wird.
Stellen Sie vermehrt Zahlungsausfälle fest?
Nein, nur in geringem Ausmaß. Das liegt daran, dass wir bei Finanzierungen von vorneherein eine vorsichtige Risikopolitik pflegen. Ein großer Teil unseres Wohnungsbaukreditbestands wurde noch als Annuitätendarlehen mit einem niedrigen Zins- und hohen Anfangstilgungssatz vergeben. Mit den leistbaren Annuitäten können die Restschulden bis zum Auslaufen der meist sehr langen Zinsbindungen so reduziert werden, dass auch bei den Prolongationen für unsere Kunden tragbare Belastungen vereinbart werden können. Auch auf gewerblicher Seite müssen wir kaum Einzelwertberichtigungen vornehmen.
Woran liegt das?
Mittelständler wägen stets sehr stark ab, wie, wo und wann sie investieren. Derzeit fahren viele nur mit gedrosseltem Motor, indem sie sich mit Investitionen zurückhalten – also auch weniger Ausfälle möglich sind. Dies schlägt sich in einem Wirtschaftswachstum von 0,1 % in Baden-Württemberg nieder, das noch unter den 0,2% im Bund liegt. Immerhin gibt es im Land sehr hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung.
Ist die Stimmung schlechter als die Lage?
Ich denke schon, dass wir vor einer Weichenstellung stehen. Wir müssen entscheiden, wie wir die wirtschaftliche Wertschöpfung erarbeiten wollen. Dazu bedarf es einer gesellschaftlichen Debatte, an der ich mich gerne beteiligen möchte.
Wo wollen Sie sich einmischen?
Wir sollten uns klarmachen, welch hohe Investitionen und damit Kosten für die Transformation von Wirtschaft und Infrastruktur auf uns zukommen. Das muss erarbeitet werden. Aber obwohl in Deutschland aktuell so viele Menschen beschäftigt sind wie nie zuvor, 15% mehr als 2000, ist das Arbeitsvolumen nur um 5% höher als damals. Vielerorts fehlen zudem Arbeitskräfte. Unterm Strich vermisse ich einen stärkeren Leistungsdrang. Ärmel hochkrempeln und anpacken, nur so werden wir als Gesellschaft die anstehenden Herausforderungen meistern.
Obwohl Paydirekt als Projekt der Kreditwirtschaft gescheitert ist, zeigt sich der neue Sparkassenpräsident in Baden-Württemberg, Matthias Neth, für Wero optimistisch. In einem rasch wachsenden Markt sei Platz für ein weiteres Bezahlverfahren. Das Wohnkreditgeschäft der Sparkassen erholt sich derweil nur langsam.
Das Interview führte Thomas Spengler.