Fußball wie auch die Börse - ein permanenter Wettlauf

Datenoffensive für Ball und Fonds - Neben aller Computerunterstützung kommt es aber nach wie vor insbesondere auf menschliches Können an

Fußball wie auch die Börse - ein permanenter Wettlauf

Zwischen Malente und Bozen liegen nicht nur über 1 000 Kilometer Straße. Mit Blick auf den deutschen Fußball trennen Ostholstein und Südtirol Welten. Denn die Vorbereitungsquartiere der “Mannschaft” – von der biederen Fußballschule in Norddeutschland (1966 – 1994) bis hin zu topmodernen Luxusressorts in Italien (1990, 2010, 2014, 2018) – stehen stellvertretend für eine enorme Weiterentwicklung und gleichzeitige Professionalisierung des deutschen Fußballs.Wo vor 40 Jahren noch der Spielertyp “Wadenbeißer” vor der Abwehr Ball und Gegner abräumte, steht heute ein taktisch perfekt geschulter “Doppel-Sechser”, der dank Videoanalyse und Individualtraining Zweikämpfe auch durch Stellungsspiel und Antizipation gewinnt. Das Ziel ist hingegen seit jeher gleichgeblieben: die Grenzen des Machbaren zu verschieben, das heißt das Maximum aus jedem Einzelnen und dem Zusammenspiel als Mannschaft herauszuholen.Die Evolution der Fußballwelt weist erstaunliche Parallelen zum Fondsmanagement auf, denn bei den Punkten moderne Analyseverfahren und permanente Optimierung von Entscheidungen findet sich auch das Fondsmanagement wieder. Und noch etwas verbindet: die ständige Erweiterung des Teamgedankens. “Elf Freunde müsst ihr sein” – schon dieses dem legendären Nationaltrainer Sepp Herberger zugeschriebene, aber eigentlich viel ältere Zitat zielt auf die verschworene Einheit des Teams “auf dem Platz” ab – und kritisiert gleichzeitig Starkult und Einzelgängertum. “Team hinter dem Team”Herausragende Einzelkönner spielen zwar immer noch groß auf, doch ohne Unterstützung durch ein funktionierendes Kollektiv bleibt der Erfolg meist überschaubar. So braucht es heute weit mehr als nur “elf Freunde”. Das “Team hinter dem Team” hat deutlich an Bedeutung gewonnen. Ob Scouts, Physios, Ernährungswissenschaftler oder Psychologen – es wird inzwischen auf allen Ebenen am Limit gearbeitet. Der Professionalisierungsprozess läuft auf Hochtouren: Spieler werden physisch, psychisch und taktisch bestmöglich auf das nächste Match vorbereitet, gleichzeitig nimmt die Nachbereitung einen immer größeren Stellenwert ein.Übertragen auf das Fondsmanagement bedeutet das: Die Zeiten des manchmal etwas eigenbrötlerisch wirkenden und auf sein Bauchgefühl vertrauenden Investmentgurus sind vorbei. In der immer schnelleren und komplexeren Welt kann einer allein einfach nicht mehr Experte für alles sein. Anders gesagt: Star-Fondsmanager war gestern – moderne Teams sind heute. Um erfolgreich zu sein, muss jede Informationsquelle angezapft, verarbeitet und genutzt werden. Die Qualität von Research und Analyse, also das “Team hinter dem Team”, hat auch im Fondsmanagement entscheidende Bedeutung erlangt.Hier wie dort rückt dabei eine Expertise zunehmend in den Fokus, die zu Zeiten der Sportschule Malente noch Zukunftsmusik war: die Datenanalyse. Heute kümmert sich bei der Nationalmannschaft ein ganzes Heer an Wissenschaftlern um die Vor- und Nachbetrachtung der Spiele. Analyse der taktischen Kniffe des Gegners, Untersuchung von Bewegungsabläufen zur Verletzungsprophylaxe, quantitative Trainingssteuerung oder die Beobachtung potenzieller zukünftiger Nationalspieler: Die Data Scouts sind aus dem modernen Fußball nicht mehr wegzudenken. Ähnliche HerausforderungenAuch im Fondsmanagement hat die Spezies der sogenannten Data Scientists längst Einzug gehalten – zuallererst natürlich im Bereich der Quants, der regelbasierten, quantitativen Investments. Hier geben Statistiker und andere Datenspezialisten den Ton an. Die großen Herausforderungen sind hüben wie drüben sehr ähnlich: die Auswahl der richtigen Daten (Stichwort: Big Data), die Gewinnung der bestmöglichen Erkenntnisse aus diesen Daten und die optimale Nutzung dieser Erkenntnisse am Point of Decision – sei es beim Fonds an einem turbulenten Börsentag oder auf dem Platz in der Hektik des Spiels.Mit Blick auf die Finanzmärkte ist die Menge an verfügbaren Informationen noch um ein Vielfaches größer als beim Fußball. Hier geht es nicht “nur” um den einen Kader und eine überschaubare Anzahl von Gegnern. Vielmehr müssen über unterschiedliche Anlageklassen hinweg tausende von Investitionsmöglichkeiten samt zahlreichen Einflussfaktoren rund um die Uhr im Auge behalten werden, um daraus stets die richtigen Schlüsse zu ziehen.Doch auch wenn die Big-Data-Möglichkeiten im Portfoliomanagement die Komplexität eines Fußballspiels noch übersteigen mögen, am Ende ist der Fußball wie auch die Börse ein permanenter Wettlauf. Und diejenigen, die exklusive Informationen haben, sind zumeist obenauf. Das Prinzip ist keineswegs neu – aber es erreicht im digitalen Zeitalter eine neue Qualität. Denn mit der Digitalisierung nehmen die Möglichkeiten zur Mehrwert stiftenden Datenanalyse immens zu. Nicht nur die verfügbare Datenmenge wächst immer schneller. Auch die Rechenleistung ist kein beschränkender Faktor mehr. So können und sollten Assetmanager inzwischen auch Datenquellen nutzen, die selbst zu Zeiten eines Bundestrainers Berti Vogts noch im Verborgenen lagen.Beispiel Textmining, also die automatisierte Quantifizierung von Meinungen und Stimmungen aus Texten in öffentlichen und sozialen Medien. Bei MarketPsych, einem der führenden Anbieter für Textmining-Daten, werten Linguisten und Computerwissenschaftler pro Tag rund 2 Millionen englischsprachige Artikel aus. Sie durchforsten Zeitungen und Nachrichtenagenturen ebenso wie Twitter oder Blogs. Mithilfe von Methoden der künstlichen Intelligenz werden die Texte sortiert, automatisch bewertet und in ein strukturiertes Format gebracht. So entstehen mehr als 400 000 minütlich aktualisierte Zeitreihen, welche nach unterschiedlichen Kriterien, etwa mit Bezug auf Aktien, Währungen oder Rohstoffe, kategorisiert werden. Richtige Interpretation zähltDoch egal ob Börse oder Fußball, wo pro Spiel tausende Bewegungs- und Passdaten anfallen und ausgewertet werden können: Auf die richtige Interpretation kommt es an. Der Computer kann immer nur die Vorarbeit leisten. Ohne die menschliche Urteilskraft geht es am Ende nicht. Zwar kann der Tormann in seiner “Angst vor dem Elfmeter” heutzutage die “Maschine” befragen, wohin der Ball gehen mag (es sei hier an die WM 2006 und den legendären Zettel von Jens Lehmann beim Elfmeterschießen gegen Argentinien erinnert, aus heutiger Sicht eine Frühform von Data Analytics im Fußball). Die Entscheidung, in welche Ecke er springt, kann dem Torwart aber letztendlich niemand abnehmen. Datenanalysen können ihn nur unterstützen. Denn der Torwart ist es, der auf dem Platz spontan entscheiden muss, der dem Schützen in die Augen sehen kann und hierbei auch auf vorher nicht berechenbare Ereignisse reagieren muss.Gleiches gilt an der Börse. Der Computer kann zwar ohne Probleme die Margenentwicklung eines Unternehmens errechnen und mit der Peergroup vergleichen. Bei der Bewertung der Persönlichkeiten im Management oder der Qualität des Geschäftsmodells ist beim Computer aber schnell – um in der Fußballersprache zu bleiben – die “Luft raus”. Das A und O ist also auch hier die Verbindung von neuen technologischen Möglichkeiten mit menschlichem Wissen. Und hier erhöht Technologie in Form einer umfassenden Datenanalyse die Leistungsfähigkeit. Faktor Mensch gefragtDer Faktor Mensch bleibt damit im Stadion wie auch an der Börse weiter gefragt – und das nicht nur trotz, sondern gerade wegen der zunehmenden “Automatisierung”. Die Datenberge wachsen immer schneller. Die notwendigen Auswertungsmethoden und Rechenkapazitäten sind vorhanden. Aus ihnen die richtigen Schlüsse zu ziehen, dafür bleibt menschliches Wissen unverzichtbar.Ohne die bestmöglichen Rahmenbedingungen, die neben angemessenen Unterkünften (Stichwort: Südtirol) auch eine umfangreiche Datenanalyse einschließen, ist nachhaltiger Erfolg heutzutage zweifelsohne schwer, im Fußball wie im Fondsmanagement. Am Ende sind es aber natürlich die Spieler beziehungsweise die Fondsmanager, die diese Rahmenbedingungen erfolgreich umsetzen müssen. Deshalb kommt es neben aller Computerunterstützung nach wie vor insbesondere auf menschliches Können an. Oder, um es mit der Dortmunder Stürmerlegende Alfred “Adi” Preißler zu sagen: “Entscheidend ist auf’m Platz.”—-Thorsten NeumannLeiter Quant & Risk Management bei Union Investment