Finanzrepression

Gegen die "kalte Enteignung"

Privatanleger müssen handeln - Banken und Vermögensberater empfehlen renditestärkere Investments - Sicherheit durch breite Diversifikation

Gegen die "kalte Enteignung"

Von Thorsten Kramer, FrankfurtDas Umfeld mit historisch niedrigen Zinsen stellt private Anleger vor enorme Herausforderungen. Denn was für die hoch verschuldeten Staaten ein Segen ist, ist für Sparer und Investoren eine sehr ernst zu nehmende Bedrohung. Ohne passende Strategie drohen ihnen schmerzhafte, weil umfangreiche Vermögensverluste. Investmentstrategen und Fondsverwalter raten grundsätzlich dazu, auf Anlageklassen mit höheren Renditechancen zu setzen, um die “kalte Enteignung” durch Zinssätze unterhalb der Inflationsrate zu vermeiden. Um dabei die Risiken abzufedern, sollen Anleger das Kapital zugleich möglichst breit diversifizieren. Als Gebot der Stunde gilt zudem aktives Risikomanagement – die über viele Jahre sehr erfolgreiche Buy & Hold-Strategie gehört endgültig der Vergangenheit an.Weil es für private Investoren dringlich ist, das Anlagekapital grundlegend neu zu strukturieren, werden führende Fachleute nicht müde, auf den drohenden schleichenden Vermögensverlust aufmerksam zu machen. “Die Niedrigzinsphase wird langfristig Bestand haben. Sie ist politisch gewollt”, sagte Gertrud Traud, Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba), kürzlich auf einer Konferenz vor Vermögensberatern in Frankfurt. Das Thema Financial Repression sei deshalb eine Herausforderung für die nächsten Jahre.Mit demselben Tenor äußerte sich erst kürzlich James Dilworth, Chief Executive Officer bei Allianz Global Investors Europe. “Die aktuelle Finanzmarktsituation, die durch finanzielle Repression gekennzeichnet ist, ist nicht nur ein temporäres Phänomen. Vielmehr wird sie uns Jahre, womöglich Jahrzehnte begleiten”, schrieb er in einem Beitrag für diese Zeitung. Für Investoren bedeute dies, dass sie die Entwicklung nicht einfach “aussitzen” könnten. Vielmehr müsse die Anlagestrategie analysiert und angepasst werden. Die Allianz macht’s vorInstitutionelle Anleger sind sich dessen bereits sehr bewusst. Die Allianz will wegen der beispiellos niedrigen Zinsen an den Anleihemärkten stärker auf alternative Anlageklassen setzen. Laut Maximilian Zimmerer, dem seit Sommer für die Kapitalanlagestrategie zuständigen Vorstand, strebt Deutschlands größter Versicherungskonzern an, den Anteil von Immobilien, direkt vergebenen Unternehmenskrediten und Private-Equity-Fonds am insgesamt rund 500 Mrd. Euro umfassenden Anlageportfolio bis zum Jahr 2017 von zurzeit 8 % auf 16 % zu verdoppeln. Allein in Immobilien, in die bislang 4 % des Anlagekapitals investiert worden sind, plant Zimmerer neue Investments im Volumen von 10 Mrd. Euro. Im Fokus stehen aber auch gewerbliche Hypothekenfinanzierungen. “All das dient dazu, unsere Anlagebasis zu verbreitern und höhere Renditen zu erzielen”, sagte Zimmerer bei der Präsentation seiner Pläne im November. Auch bei kleinen VermögenFür private Anleger, insbesondere wenn sie lediglich über kleine Vermögen verfügen, sind beispielsweise Investments in Private-Equity-Fonds gar nicht darstellbar. Selbst Kleinanleger mit einem Anlagevolumen von lediglich 5 000 oder 10 000 Euro müssten aber nicht tatenlos bleiben, betonte Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank, jüngst bei der Präsentation der Kapitalmarktprognosen des Instituts für das Jahr 2013. Anstatt mit niedrig verzinslichen Anlagen wie einem Sparbuch oder Tagesgeld reale Verluste zu erzielen, könnten sie einen Teil der zur Verfügung stehenden Mittel in einen Euro-Anleiheindex investieren. Dies sei nur dann schlecht, wenn es innerhalb der Eurozone zu einer umfassenden Krise komme, die auch Frankreich und Deutschland betreffe, so Bielmeier. Beimischen sollten Kleinanleger Aktieninvestments.Weitaus breiter ist die Vielfalt der zur Verfügung stehenden Anlageklassen, wenn das Anlagevermögen größer ist. Dies bedeutet gleichwohl nicht automatisch eine deutlich größere Bandbreite bei den Anlageklassen. Die Privatbank Metzler, die traditionell auf die drei Größen Aktien, Anleihen und Cash setzt, rät grundsätzlich dazu, nun die zinstragenden Teile des Vermögens – mit Ausnahme inflationsgebundener Anleihen – zu reduzieren, um der Realzinsfalle zu entkommen. Die frei werdenden Mittel sollten in erster Linie in Aktien umgeschichtet werden. In einem Musterportfolio gewichtet das Institut Aktien aktuell mit einem Anteil von 59 %, hinzu kommt ein für Aktien vorgesehener Liquiditätsanteil von 6 %. Anleihen stehen für einen Portfolioanteil von 35 %.Zur Einordnung dieser Gewichtung verweist ein Sprecher der Bank nicht zuletzt auf die Historie: Denn als große US-Anleger nach dem Zweiten Weltkrieg feststellten, wie nachteilig sich ihre Zinsanlagen entwickeln, entwarfen sie unter dem Namen “Balanced” ein Portfolio, um der finanziellen Repression zu widerstehen: Das Vermögen wurde puristisch, aber wirkungsvoll zu rund 60 % in Aktien und zu etwa 40 % in Anleihen angelegt. Im Aktienanteil des Portfolios liegt der Fokus auf europäischen, vor allem deutschen Werten, mit denen sich am Aufschwung der Weltwirtschaft teilhaben lasse. Im Anleiheanteil bilden Unternehmensanleihen, inflationsgebundene Bundesobligationen und Pfandbriefe die größten Positionen. Aktien und AnleihenDie Deutsche Bank empfiehlt ihren Privatkunden in einem ausgewogenen Portfolio zurzeit hingegen lediglich eine Aktiengewichtung von 33 %. Aussichtsreich sind laut Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Geschäftskunden, in Europa Papiere von Banken, Versicherern und aus dem Chemiesektor und in den USA die Branchen Financials, IT und Industrials. Zunehmend interessant schienen dabei Aktien aus der europäischen Peripherie. Am Anleihemarkt müssten Anleger zwangsläufig höhere Risiken akzeptieren. Ein erster Schritt könnten Pfandbriefe beziehungsweise Covered Bonds sein. Als Alternative zu Staatsanleihen seien zudem Unternehmensanleihen grundsätzlich attraktiv. Chancen eröffneten zudem die Anleihemärkte vieler Schwellenländer. Zurzeit stuft die Deutsche Bank speziell Malaysia, Brasilien und Mexiko als attraktiv ein. Investments in Immobilien sowie in Rohstoffe runden die Strategie ab – wobei der Fokus bei Letzterem auf Edel- und Industriemetallen liegt.Anlagestrategen der DZ Bank sehen in einem Korb von Staatsanleihen aus Ländern der europäischen Währungsunion eine geeignete Alternative zum Geldmarkt. Zugleich betont Christian Kahler, der Chefanlagestratege der Bank, allerdings, dass Anleihen für die langfristige Vermögensanlage derzeit uninteressant seien. Staatsanleihen höchster Bonität eigneten sich nur als Liquiditätsersatz. Als Kerninvestment definiert das Institut für den Jahresbeginn den breit gefassten europäischen Stoxx 600 Index, der über relativ geringes zyklisches Risiko verfüge. Später sollten Investoren aber auf den Dax umschichten, der bei einer zunehmenden Dynamik der globalen Konjunktur höhere Renditechancen offeriere. Die Konjunktur in der Eurozone wird laut DZ Bank 2013 zwar in der Rezession verharren, die deutsche Wirtschaft sehen die Volkswirte aber auf einem guten Pfad. Zudem profitieren deutsche Unternehmen stark von der Nachfrage nach Investitionsgütern aus den aufstrebenden, wachstumsstarken Märkten.Als Trendinvestment für eine wirtschaftliche Belebung in China können Investoren laut DZ Bank auch auf die Aktien im Global Titans 50 Index setzen. Die sich abzeichnende Erholung am US-Häusermarkt rücke zudem Bankanleihen sowie US-Bankenwerte in den Fokus. Einen Anteil von 6,2 % am Gesamtportfolio investiert die DZ Bank zudem in Rohstoffe, wobei sie sich zurzeit wie die Deutsche Bank im Musterportfolio auf Edel- und Industriemetalle beschränkt. Vorteil durch DividendenAktien werden nach übereinstimmender Einschätzung vieler Marktanalysten im Jahr 2013 generell von ihrer günstigen Bewertung und den sich aufhellenden Gewinnperspektiven vieler Unternehmen profitieren. Der renommierte Vermögensverwalter Bert Flossbach sieht dabei allerdings einen zusätzlichen Vorteil in einer gezielten Auswahl von Einzelwerten: Dabei gelte es Aktien von Unternehmen ohne Preissetzungsmacht zu meiden, da sie im Umfeld einer steigenden Inflation nicht zu den Profiteuren zählten. Im Umfeld langfristig niedriger Zinsen und potenziell steigender Inflation seien Aktien erstklassiger Unternehmen mit attraktiven und sicheren Dividenden erste Wahl, so Flossbach. Sie böten ein attraktives Chance-Risiko-Verhältnis; diese Papiere gelten deshalb im besonderen Maße als Sachwert.Insbesondere für langfristig orientierte Anleger bietet sich laut Berenberg Bank der Sachwert Infrastruktur als Portfoliobeimischung in einer defensiven Strategie an. Er zeichne sich durch vergleichsweise geringe Konjunkturabhängigkeit aus und weise eine niedrige Korrelation zu anderen Anlageklassen auf. Dies gilt im Übrigen z. B. auch für Diamanten. Sie erfordern allerdings – ähnlich wie etwa Kunstinvestments – mehr Expertise als etwa ein Investment in einen Infrastrukturindex.