LEITARTIKEL

Genossen in Jubiläumslaune

Die Genossenschaften, zumal die Kreditgenossenschaften, haben allen Grund zum Feiern. Erstens können sie in diesen Tagen mehrere 150-jährige Jubiläen begehen. Das runde Alter erreichen unter anderem zwei Schwergewichte auf der Instituts- und der...

Genossen in Jubiläumslaune

Die Genossenschaften, zumal die Kreditgenossenschaften, haben allen Grund zum Feiern. Erstens können sie in diesen Tagen mehrere 150-jährige Jubiläen begehen. Das runde Alter erreichen unter anderem zwei Schwergewichte auf der Instituts- und der Verbandsebene: die Frankfurter Volksbank, deren älteste Vorgängerin, die Frankfurter Gewerbekasse, am 19. Mai 1862 von 81 zum Mittelstand zählenden Bürgern aus der Taufe gehoben wurde, und der Genossenschaftsverband, der Prüfungs- und Beratungsverband mit Zuständigkeit für 13 Bundesländer, dessen Historie sich bis zu dem am 25. Mai 1862 in Wiesbaden gegründeten Verband der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften am Mittelrhein zurückverfolgen lässt.Zweitens haben die Vereinten Nationen 2012 zum Internationalen Jahr der Genossenschaften erklärt – weltweit soll es 800 Millionen Genossenschaftsmitglieder in mehr als 100 Ländern geben. “Genossenschaften zeigen der internationalen Gemeinschaft, dass Wirtschaftlichkeit und soziale Verantwortung miteinander verbunden werden können”, sagt UN-Generalsekretär Ban Ki-moon. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel glänzte mit tiefem Detailwissen über die Nachkommen von Wilhelm Haas, Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch, als sie jüngst bei der Berliner Festveranstaltung aus diesem Anlass die Genossenschaften würdigte als “Vorbilder, wie man ökonomische, soziale und ökologische Ziele verbindet”. Mehr Bauchpinselei von hoher Stelle kann eine Bankengruppe in diesen Zeiten kaum erwarten.Drittens zeigen sich die Kreditgenossen in einer wirtschaftlichen Verfassung, die die passende Jubiläumsstimmung aufkommen lässt. Die 1 121 Volks- und Raiffeisenbanken und weiteren Primärinstitute blicken auf ein Geschäftsjahr zurück, dessen Charakterisierung durch den Dachverband BVR als “hervorragend” keineswegs übertrieben erscheint. Erfolgskennzahlen, Kapitalquoten, Marktanteile – auch jene großer Verbundunternehmen wie Schwäbisch Hall oder Union Investment – und nicht zuletzt das Rating der Gruppe und der DZ Bank (“AA -“) bewegen sich in die richtige Richtung. Vor allem aber deutet die Mitgliederentwicklung darauf hin, dass die Genossen in der Finanz- und der Staatsschuldenkrise als stabil und verlässlich wahrgenommen werden. Sie gehören zu den Vertrauensgewinnern: Allein 2011 stieg die Zahl der Miteigentümer von Genossenschaftsbanken um netto 313 000 auf 17 Millionen. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es 4,1 Millionen direkte Aktionäre.Jede bzw. jeder 100. dieser 17 Millionen ist Genossin oder Genosse der Frankfurter Volksbank. Das exzellent geführte Haus, das sogar in der Krise mit Rekordzahlen aufwarten konnte, ist eines der Vorzeige-Institute in der Familie der vormaligen “Vorschussvereine”. Es steht zugleich exemplarisch für genossenschaftliche Tugenden wie Solidität und Solidarität, Ehrbarkeit und Nachhaltigkeit. Zudem demonstriert es, dass Beständigkeit und Wandlungsfähigkeit kein Widerspruch sein müssen. Die angesichts wirtschaftlicher Not, aber auch vor dem Hintergrund des Scheiterns der Freiheitsbewegung seit Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte Idee der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung, die ihren Ausdruck in der heutigen Krise nicht zuletzt in der Ablehnung staatlicher Unterstützung findet, ist offenbar nicht nur zeitlos modern, sondern scheint sich gerade in Phasen großer Verunsicherung wachsenden Zuspruchs zu erfreuen.Wandlungsfähigkeit bedeutet im Fall der Volks- und Raiffeisenbanken unter anderem Konsolidierung: 1925 gab es in Deutschland bald an jeder Milchkanne eine Kreditgenossenschaft, insgesamt fast 23 000, und obendrein mehr als 50 Zentralbanken. Auch bei der Frankfurter Volksbank sind die synergieträchtigen Fusionen ein unabdingbarer Erfolgsfaktor – allein in der Ära des jüngst in den Ruhestand gegangenen Vorstandsvorsitzenden Hans-Joachim Tonnellier waren es 14 in 15 Jahren. Die Nummer 2 unter den Volksbanken ist aber mit einer Bilanzsumme von 8 Mrd. Euro trotz fortgeschrittener Kräftebündelung nach ihrem zutreffenden Selbstverständnis eine mittelständische Bank für den privaten und geschäftlichen Mittelstand geblieben. Umso mehr gilt diese Definition für die durchschnittliche Kreditgenossenschaft, die auf eine Bilanzsumme von 651 Mill. Euro kommt. Das sollten – national wie international – Politik und Aufsicht anerkennen und daher auch im Interesse der Bankkunden angemessene, zu Größe, Risikoappetit und Verflechtung der jeweiligen Institute passende Regeln ausklamüsern, statt alle vom Global Player Deutsche Bank bis zur Raiffeisenbank Struvenhütten in einen regulatorischen Topf zu werfen. ——–Von Bernd Wittkowski ——- Die Idee der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung findet wachsenden Zuspruch. Und mehr Bauchpinselei seitens der Politik geht auch kaum noch.