Genossenschaftliche Stärke ist die Einheit in Vielfalt

Volksbanken und Raiffeisenbanken profitieren von der Vernetzung unterschiedlicher Betriebsgrößen, Branchen und Regionen

Genossenschaftliche Stärke ist die Einheit in Vielfalt

Über diesen Befund besteht weitgehender Konsens: Nach der Finanz- und Euro-Krise kommt es entscheidend darauf an, das Vertrauen der Menschen in die Wirtschaft im Allgemeinen und in die Finanzwirtschaft im Besonderen wieder zurückzugewinnen und zu festigen. Dieses Vertrauen ging verloren, weil zunehmend ein Antagonismus spürbar wurde: hier eine entfesselte Wirtschaft, dort die Verbraucher oder Steuerzahler, die oft genug die Konsequenzen unternehmerischer Fehlentscheidungen zu tragen haben.Wirtschaft – das sind aber nicht nur die Banker, die Manager, die Ratingagenturen und die Troika der Euro-Retter. Wirtschaft – das sind wir alle. Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Unternehmer, Freiberufler, Handwerker, Verbraucher, Steuerzahler, Sparer, Rentner, sogar Kinder und Jugendliche. Wirtschaft bedeutet immer Vielfalt und besonders in Deutschland auch Mittelstand. Beides Stärken von Europas größter Volkswirtschaft.Das Genossenschaftswesen spiegelt nicht nur den Facettenreichtum an Branchen wider, sondern es integriert über das Instrument der Mitgliedschaft mehr als 20 Millionen Menschen ganz konkret in unternehmerische Gestaltungsprozesse. Genossenschaften stehen für die Vielfalt an Branchen, Betriebsgrößen und Regionen. Als vor über 150 Jahren der älteste Vorgänger des heutigen Genossenschaftsverbandes in Wiesbaden aus der Taufe gehoben wurde, gehörten ihm schon Genossenschaften aus den heutigen Bundesländern Hessen und Rheinland-Pfalz an. Von Anfang an war der Verband branchen- und länderübergreifend tätig. Er bot und bietet eine Plattform, um das wirtschaftliche, landsmannschaftliche und kulturelle Spektrum der Genossenschaften zu vernetzen.Heute gehören genossenschaftliche Unternehmen aus 13 Bundesländern und Stadtstaaten dem Verband an. Es sind Betriebe aus ganz unterschiedlichen klassischen und neuen Bereichen der Volkswirtschaft, was sich nicht zuletzt als Vorteil für die Volksbanken und Raiffeisenbanken erweist. Denn überall dort, wo verschiedene Genossenschaftsgruppen eng zusammenarbeiten, – zum Beispiel im Agrar- und Energiesektor – sind diese besonders stark. Die Kreditgenossenschaften profitieren dabei auch vom Wissen und Know-how über jene Sektoren, in denen ein Großteil ihrer Firmenkunden agiert.Hohes Potenzial für das Finanzierungsgeschäft der Genossenschaftsbanken bergen die Begleitung von Investitionen für mehr Energieeffizienz und der Ausbau von erneuerbaren Energien. Allein im vergangenen Jahr wurden im Verbandsgebiet 47 Energiegenossenschaften gegründet – initiiert vom Genossenschaftsverband gemeinsam mit den Volksbanken und Raiffeisenbanken. Dabei verliert die klassische Trennung nach Energiearten wie Solar-, Wind- oder Bioenergie immer mehr an Bedeutung. Denn die Genossenschaften setzen zunehmend auf mehrere Arten der Energiegewinnung. Zukunftsweisendes AngebotDie Intensivierung der Zusammenarbeit genossenschaftlicher Branchen ist ein elementarer Auftrag für die Zukunft. Ein wichtiger Schritt hierzu war die vor wenigen Monaten erfolgte Fusion des Genossenschaftsverbandes mit dem Mitteldeutschen Genossenschaftsverband. Dadurch wurde auch die Einheit der genossenschaftlichen Organisation in Sachsen und Thüringen hergestellt, bei gleichzeitiger Wahrung der regionalen und branchenbezogenen Charakteristika. Der vereinigte Verband betreut mehr als 2 400 Genossenschaften und beschäftigt – einschließlich der Tochterunternehmen – rund 1 200 Mitarbeiter.Ein wesentlicher Grund für die Branchenvielfalt der Genossenschaften ist die Flexibilität dieser Rechtsform. Sie erlaubt es, ganz spezifische Herausforderungen pragmatisch zu lösen. Ein aktuelles Beispiel hierfür liefert die unter dem Dach der Metropolregion Rhein-Neckar gegründete Familiengenossenschaft. Es handelt sich bundesweit um die erste eingetragene Dienstleistungsgenossenschaft, die von qualifizierten Tagesmüttern und Unternehmen gegründet wurde. Alternativ zu einem Betriebskindergarten können so zum Beispiel Kinder- und Hausaufgabenbetreuung erfolgen. Seit der Gründung im Jahr 2006 konnten viele wertvolle Erfahrungen gesammelt werden. Gerade auch in der aktuellen Debatte über die gesetzliche Garantie für einen Kita-Platz für Unter-3-Jährige eröffnen solche Genossenschaften neue Perspektiven. Besonders für die mittelständischen Unternehmen in den Regionen können wir hier ein zukunftsweisendes Angebot machen. Pluralität statt “Schema F”Das Gebiet des Genossenschaftsverbandes könnte heterogener kaum sein. Es umfasst Großstädte wie Berlin und Frankfurt ebenso wie landwirtschaftlich geprägte Regionen und traditionell strukturstarke Ballungsräume wie etwa das Rhein-Main-Gebiet. Daraus resultieren unterschiedliche soziodemografische Bedarfsstrukturen. Marktkonforme örtliche Strukturen auf der Primärstufe sind da eine entscheidende Grundlage für die notwendige Individualität in der Marktbearbeitung.Jede Kreditgenossenschaft agiert daher in eigener unternehmerischer Verantwortung vor dem Hintergrund ihrer in vielen Jahrzehnten gewachsenen Kenntnis der Kunden und örtlichen Gegebenheiten. Dabei sehen wir keine optimale Betriebsgröße, sondern entscheidend ist eine angemessene Relation von Geschäftsgebiet und Geschäftsvolumen. Das erfordert Pluralität und kein “Schema F”. Insofern muss es im Verbandsgebiet mit einem breiten Spektrum unterschiedlicher Ballungszentren und ländlicher Regionen große, mittlere und kleine Häuser geben. Deshalb arbeitet der Genossenschaftsverband dafür, dass Banken in jeder Größenordnung lebensfähig bleiben. Besonderes Gewicht erhält dabei die Entlastung bei Regulierungsthemen, um den Kreditgenossenschaften die Konzentration auf das Kundengeschäft zu ermöglichen.Die notwendige Vielfalt der Betriebsgrößen sollte auch der Gesetzgeber bei seinen Vorgaben für die Finanzwirtschaft berücksichtigen. Unsere soziale Marktwirtschaft braucht eine klare und transparente Ordnungspolitik, keine planwirtschaftlich anmutende Verordnungspolitik bis ins kleinste Detail. Wenn durch eine zunehmende Zahl von Auflagen – zum Beispiel mit Blick auf den Zins für Dispo-Kredite und die Gebühren an den Geldausgabe-Automaten – interveniert wird, führt dies in logischer Konsequenz zu einer Beschränkung von Wettbewerb. Das würde nicht zuletzt die mittelständische Wirtschaft zu spüren bekommen. Gemeinsamer MarktauftrittDie Einbindung der Primärbanken in die genossenschaftliche FinanzGruppe ermöglicht den gemeinsamen Marktauftritt und die notwendigen Skaleneffekte für den Wettbewerb mit den großen Konzernen. Sie sichert das Know-how für komplexe Lösungen im Bereich Finanzen, Immobilien und Versicherungen. Dass die Kunden ihren Volksbanken und Raiffeisenbanken gerade im Zeichen der Finanz- und Euro-Krise ein hohes Maß an Vertrauen entgegenbrachten, zeugt von dem besonderen Wert der Marke der FinanzGruppe VolksbankenRaiffeisenbanken. Schon das Markenzeichen weckt bei den Verbrauchern positive Assoziationen. Jede starke Marke enthält ein implizites Qualitätsversprechen. Ja, das Vertrauen der Verbraucher in diese Qualität macht die eigentliche Stärke einer Marke aus. Das wiederum stellt hohe Anforderungen an die Fähigkeit der Genossenschaftsbanken, dem wertvollen Kern ihrer Marke voll gerecht zu werden.Zum Markenkern der Gruppe gehört nicht zuletzt die flächendeckende Versorgung mit Finanzdienstleistungen. Die Genossenschaftsbanken finanzieren zum einen vor allem die mittelständische Wirtschaft, darunter manche “hidden champions” – und begleiten sie mit der international aufgestellten FinanzGruppe in die Weltmärkte. Zum anderen erhalten die Volksbanken und Raiffeisenbanken mit ihrer örtlichen Kundennähe und ihren Allfinanz-Dienstleistungen den Wettbewerb in der Fläche aufrecht. Symbiotisches VerhältnisUnsere Stärke als genossenschaftliche FinanzGruppe ist die Einheit in Vielfalt. Wir brauchen Einheitlichkeit bei der Zusammenarbeit im Verbund und Vielfalt in der Strategie der einzelnen Häuser, zugeschnitten auf ihre jeweiligen Geschäftsgebiete. Einheit in Vielfalt – das ist für die Genossenschaftsbanken nicht nur ein eingängiger Slogan, vielmehr stehen beide Begriffe in einem symbiotischen Verhältnis zueinander. Aus der Einheit resultiert die Stärke, die letztlich die Vielfalt möglich und wirtschaftlich darstellbar macht. Die Vielfalt wiederum gehört zum Markenkern der Genossenschaften und erlaubt dezentrales Handeln, eingebettet in das aus der Einheit erwachsende Kompetenz-Netzwerk.—Von Michael Bockelmann, Präsident des Genossenschaftsverbandes