Gesundheitsimmobilien zwischen Nische und Megatrend
Megatrends sind die stärksten Treiber des gesellschaftlichen Wandels und haben deshalb auch auf die Immobilienmärkte großen Einfluss, etwa mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit und Werthaltigkeit jeder einzelnen Immobilie. Eine zunehmende Anzahl von Investoren sieht vor allem im demografischen Wandel einen attraktiven Investment Case. Deshalb könnte nach Hotels nun mit Gesundheitsimmobilien einer weiteren Nutzungsart der Aufstieg aus der Nische in den Mainstream gelingen.Es lässt sich noch nicht abschätzen, wie sich die Coronakrise auf die Büromärkte im weiteren Verlauf des Jahres auswirken wird. Bis zuletzt waren das schwächelnde Wirtschaftswachstum und die Bremsspuren bei den globalen Handelsströmen der vergangenen 20 Monate nicht auf den Dienstleistungssektor und damit auf die Büroflächennachfrage durchgeschlagen. Der Bedarf blieb bei weiterhin knappem Angebot hoch, weshalb die Mietsteigerungserwartungen bis vor kurzem nicht nach unten korrigiert wurden. In der Folge schmolzen die Spitzenrenditen in nahezu allen Immobiliensegmenten europaweit – mit Ausnahme von Großbritannien – seit Jahren ab.Aktuell bewegen sich die Immobilienpreise für die Nutzungsart Büro in Märkten wie Berlin, München und Paris bei dem 34-Fachen der Jahresmiete oder sogar noch höher. Gleichzeitig aber haben institutionelle Investoren Renditeanforderungen, die nicht unterschritten werden dürfen. Für Investmentmanager eine Herausforderung. Sie müssen neue Investitionsziele identifizieren, um die Renditeanforderungen umsetzen zu können. Dabei fällt die Wahl zunehmend auf Objekte aus dem Marktsegment Healthcare. Denn Gesundheitsimmobilien wechseln weiterhin zu attraktiveren Multiplikatoren die Besitzer als Büros.Für ein Investment in die Nutzungsart Healthcare spricht die für dieses Segment absehbare Dynamik, die im Wesentlichen von den drei Aspekten Wachstum, Konjunkturunabhängigkeit und Regulierung getragen wird. Europas Bevölkerung wächst unverändert und altert dabei überproportional. Die Zahl der Nachfrager nach Betreuung, Pflege und ärztlicher Versorgung nimmt also zu. So wird sich die Gruppe der über 80-Jährigen in den kommenden 30 Jahren in Europa mehr als verdoppeln (ein Zuwachs von über 33 Millionen Menschen). Auch gesellschaftliche Phänomene wie Urbanisierung, zunehmende Anzahl an Single-Haushalten und Gesundheitsbilder wie Krebs, Fettleibigkeit und Diabetes treiben die Notwendigkeit medizinischer Versorgung.Ein weiterer Aspekt des Healthcare-Marktes: Die Ausgaben für Pflege- und Gesundheitsbelange korrelieren, je nach Land, gar nicht bis schwach mit dem Wirtschaftswachstum, da die Nachfrage nach solchen Dienstleistungen kaum von Konjunkturzyklen betroffen ist. Ausnahmen bilden Italien und Spanien, die eine etwas höhere Sensibilität für Konjunkturschwankungen zeigen, da dort Gesundheitsausgaben zu einem höheren Anteil aus privaten Rücklagen gezahlt werden. Grundsätzlich grenzt diese Unabhängigkeit von der Konjunktur den Sektor Healthcare deutlich von anderen Nutzungsarten ab und bietet Investoren eine Diversifizierungsmöglichkeit. Außerdem ist das Segment relativ gut vor einem Überangebot geschützt, da ein enger regulatorischer Rahmen die Vergaberichtlinien kontrolliert und den Marktzugang steuert, wobei zwischen den europäischen Mitgliedstaaten die Ausprägung des Rahmens variiert. Drei VersorgungsschienenDie Gesundheitsversorgung Europas lässt sich im stationären Bereich in drei Versorgungsschienen klassifizieren:1. Allgemeine Krankenhäuser und Kliniken (mit rund 1,6 Millionen Betten in Spanien, Portugal, Italien, Deutschland, Benelux und Frankreich) mit einer durchschnittlichen Verweildauer von vier Tagen2. Spezialkliniken, Reha und psychische Gesundheitsfürsorge mit durchschnittlich einem Monat Aufenthalt3. Medizinische Pflegeheime (2,8 Millionen Betten in den genannten Märkten) mit durchschnittlich 20 bis 24 Monaten AufenthaltWährend im Segment der Akutkliniken öffentliche Betreiber europaweit die dominierenden Anbieter sind (zum Beispiel zu 65 % in Frankreich oder zu 69 % in Italien), ist die Trägerschaft medizinischer Pflegeheime deutlich gemischter. Während in Frankreich der öffentliche Sektor auch hier dominiert (53 %), liegt dessen Anteil in Deutschland nur bei 6 %. Dagegen sind gemeinnützige Träger in Deutschland für 57 % und profitorientierte Privatanbieter für 37 % der Einrichtungen verantwortlich.Hohe nationale Eintrittsbarrieren haben in den vergangenen Jahren eine länderübergreifende Konsolidierung unter den privaten Anbietern ausgelöst. So haben die strikten Vorgaben in Frankreich dazu geführt, dass sich die dortigen Anbieter schneller als alle anderen international orientiert haben. Deshalb ist die europäische Landschaft im Healthcare-Segment stark von französischen Unternehmen wie Korian, Orpea oder DomusVi geprägt. Aufgrund ihrer höheren Kosteneffizienz, eines anhaltenden Abbaus der Bettenkapazitäten im öffentlichen Sektor und eines wachsenden Pflegebedarfs ist mit einer relativen Zunahme des Marktanteils privater Anbieter zu rechnen. Hinzu kommt ein hoher Bedarf an zusätzlichen Bettenkapazitäten. Allein in Pflegeheimen gibt es in Deutschland bis zum Jahr 2030 einen Bedarf an 320 000 neuen Betten, in Frankreich 150 000 und in Belgien 45 000 Betten.Die eingangs beschriebene Teuerung der Immobiliennutzungsarten in den zurückliegenden Jahren hat auch um die Healthcare-Branche keinen Bogen gemacht. Spitzen-Nettoanfangsrenditen beginnen hier europaweit allerdings nicht wie im Bürosegment bei knapp über 2,5 %, sondern im Bereich von 4,0 % für Objekte in Deutschland, Frankreich und Belgien. Gesundheitsimmobilien in Deutschland erreichten im Gesamtjahr 2019 nach den Angaben des Maklerhauses CBRE einen Investmentumsatz von 2,1 Mrd. Euro bei einem Gesamt-Investitionsmarkt für gewerbliche Immobilien von 83,8 Mrd. Euro. Internationale Investoren haben einen Marktanteil von 62 %, davon entfallen allein 33 % auf französische Investoren.Das Ergebnis 2019 entspricht einem Rückgang um 32 % gegenüber dem Vorjahr. Ursache hierfür ist nach Einschätzung von CBRE der Mangel an investierbaren Produkten und nicht der Rückgang an Investorennachfrage. Dies belegt, dass das Segment der Gesundheitsimmobilien aus der Nische kommt, die Nutzungsart aber bislang nur eine geringe Liquidität aufweist. Dass auch im aktuellen Marktumfeld ein weiteres Absinken der Spitzenrendite im Healthcare-Segment realistisch ist, zeigen aktuelle Transaktionen und Bieterprozesse. Der Fokus institutioneller Investoren richtet sich zunehmend auch auf diese Nutzungsart, unterfüttert durch die drei Treiber Nachfragewachstum, Konjunkturunabhängigkeit und Regulierung.Gesundheitsimmobilien erleben viele Menschen in für sie schwierigen, existenziellen Lebenssituationen. Sie erwarten schnelle und professionelle Hilfe. Die wirtschaftliche Seite des Gesundheitssektors hat für die Menschen eine eher untergeordnete Bedeutung. Vorbehalte gegen Finanzinvestoren sind in diesem Bereich also durchaus nachvollziehbar. Auch um dem zu begegnen, verpflichtet sich eine wachsende Zahl von internationalen Investoren zu sozialen und nachhaltigen Standards. Der schmale Grat zwischen Effizienz und sozialer Verantwortung, den Investoren gerade in diesem Segment meistern müssen, kann dabei durch verantwortungsvolles Management auch zu Innovationen und nachhaltigem Fortschritt führen. Soziales Engagement möglichTrotz dieser Herausforderungen kann Healthcare für Investoren eine interessante Assetklasse sein, die nicht nur die Portfolio-Diversifikation steigert, sondern zusätzlich soziales Engagement ermöglicht und gleichzeitig einen positiven Beitrag zur Performance des Gesamtportfolios leistet. Die Besonderheiten und die eingeschränkte Transparenz des Sektors setzen allerdings eine tiefgehende Expertise des Investmentmanagers voraus, um hier langfristig erfolgreich zu sein. Isabella Chacón Troidl, Geschäftsführerin der BNP Paribas Real Estate Investment Management Germany GmbH