Gewohnt wird auch in Krisenzeiten

Die Corona-Pandemie trifft Immobiliensegmente mit unterschiedlicher Intensität - Auf den Wohnungsbedarf hat sie praktisch keinen Einfluss

Gewohnt wird auch in Krisenzeiten

Hinter dem deutschen Immobilienmarkt liegt eine “goldene Dekade”. Die Transaktionsvolumina verzeichneten Rekordergebnisse. Auf dem gewerblichen Immobilienmarkt inklusive Wohninvestments summierten sie sich im vergangenen Jahr auf 91,3 Mrd. Euro. Die weltweite Corona-Pandemie beendet diesen Aufschwung und bringt graduelle Veränderungen mit sich. Zeitgleich wird die Immobilienwelt nicht völlig aus den Angeln gehoben. Immobilien bleiben im FokusDie für die lange Hochphase verantwortlichen Rahmenbedingungen mit niedrigen Zinsen und Anleiherenditen bleiben unverändert. Die bei einem Immobilieninvestment langwierigen und aufwendigen Verhandlungs- und Verkaufsprozesse erweisen sich in Krisenzeiten als Vorteil. Anders als an den bis zu 40 % eingebrochenen Aktienmärkten sind Panikverkäufe nicht möglich. Vor diesem Hintergrund zeigt sich der Immobilienmarkt auch jetzt weniger volatil als andere Anlageklassen und dürfte demnach im Fokus der Anleger bleiben.Die einzelnen Segmente werden unterschiedlich aus der jetzigen Situation herausgehen. Große Herausforderungen kommen auf den Hotelmarkt zu. Wie die gesamte Reisebranche sind Hoteliers mit am stärksten von den Beschränkungen betroffen. Dies gilt auch für den stationären Einzelhandel. Das Segment stand bereits vor der Krise unter Druck. Insbesondere die Retailer aus der Mode- und Elektronikbranche reduzierten zuletzt spürbar ihre Verkaufsflächen. Der strukturelle Wandel in dieser Assetklasse dürfte sich nun weiter beschleunigen.An den Büromärkten ist es schwierig, verlässliche Prognosen zu treffen. Das Segment stand in den vergangenen Jahren im Fokus der Anleger und machte 2019 rund 40 % des Transaktionsvolumens aus. Die Flächennachfrage steht hier im besonders engen Zusammenhang mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Vorausgesetzt, die Konjunktur beginnt sich rasch zu erholen, dürften die Auswirkungen auf die Beschäftigungslage und damit zugleich auf die Büromärkte überschaubar bleiben. Kaum Auswirkungen?Den Assetklassen Hotel und Einzelhandel stehen Segmente gegenüber, die weitgehend unbeschadet aus der aktuellen Situation hervorgehen dürften. Neben Logistik sind dies in erster Linie die Wohnimmobilien. Hier trifft die Krise einen Markt, der über viele Jahre hochtourig lief. Deutschlandweit haben sich Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser zwischen 2009 und 2019 um rund 55 % verteuert. In den sieben größten Metropolen Deutschlands verdoppelten sich die Preise sogar. Der Trend zur Urbanisierung, Zuwanderung und eine steigende Anzahl kleiner Haushalte haben die Nachfrage in den Städten stetig steigen lassen.Dem gegenüber stand ein historisches Tief an Baumaßnahmen und Fertigstellungen, die jährlich zwischen 50 000 und 100 000 Einheiten unter dem Bedarf lagen. Unter anderem haben Kapazitätsbeschränkungen in der Bauwirtschaft einen spürbar höheren Wohnungsbau verhindert. Im laufenden Jahr könnten die Neubauzahlen durch den Lockdown sowie fehlende Baumaterialien und Arbeitskräfte sogar wieder sinken. An diesem Nachfrageüberhang ändert sich kaum etwas – die Coronakrise hat praktisch keine Auswirkungen auf den Wohnungsbedarf.Kurzfristig ist zwar mit einem Rückgang der Nachfrage zu rechnen. Private Käufer sind mit Einkommensverlusten oder wirtschaftlichen Unsicherheiten konfrontiert. Schwerwiegende Entscheidungen wie ein Immobilienkauf werden in einer solchen Situation vertagt. Ein Großteil der Nachfrage dürfte aber wieder auf den Markt kommen, sobald die Haushalte wieder Gewissheit über ihre langfristigen finanziellen Möglichkeiten haben. Die Konditionen für eine Immobilienfinanzierung bleiben günstig. Dies wird den Wunsch nach den eigenen vier Wänden in den meisten Fällen aufrechterhalten, auch weil die Kreditrate oft günstiger als die Miete einer vergleichbaren Wohnung ausfällt.Auf Anbieterseite ist damit zu rechnen, dass Verkäufer auf den vorübergehenden Stillstand des Marktes nicht mit spürbaren Preisnachlässen reagieren, sondern die Entwicklung der Nachfrage zunächst abwarten. Signifikant sinkende Preise dürften dabei ausbleiben. Lediglich in den Metropolen ist aufgrund der zuvor sehr dynamischen Entwicklung und des hohen Preisniveaus ein gewisses Rückschlagpotenzial vorhanden.In wirtschaftlich unsicheren Zeiten mit möglichen Preisrückgängen und Kreditausfällen richtet sich der Blick schnell auf die Seite der Finanzierer. Im internationalen Vergleich werden Hypotheken in Deutschland konservativ vergeben, und die Verschuldung privater Haushalte ist mit 85 % des verfügbaren Einkommens moderat. Im soliden Gesamtbestand könnten lediglich Finanzierungen aus der jüngeren Vergangenheit eine höhere Risikolast tragen. Der Eigenmittelanteil hat sich in den vergangenen Jahren verringert. 2019 machten Beleihungsausläufe von über 90 % rund 40 % der Neukredite aus. Jüngere Finanzierungen vereinen demnach höhere Kreditmittel für teurere Immobilien mit geringeren Eigenmitteln. Gerade in den Metropolen und hochpreisigen Städten besteht ein Korrekturpotenzial für eine Reihe von Objekten. Verluste bei Finanzierungen sind jedoch erst bei einer lang andauernden Rezession zu erwarten. Bedarf übertrifft AngebotGrundsätzlich ähneln die Rahmenbedingungen am gewerblichen Wohnungsmarkt denen der selbst genutzten Immobilien. Auch hier gilt: Der Bedarf an Wohnungen übertrifft das Angebot. Zeitgleich ist der Preisanstieg in den vergangenen Jahren bei Mehrfamilienhäusern vor dem Hintergrund eines zunehmenden Anlagedrucks der Investoren kräftiger ausgefallen. Hier haben die Preise deutschlandweit zwischen 2009 und 2019 um 80 % zugelegt. In den sieben größten Städten war das Plus mit rund 130 % noch deutlicher. Im vergangenen Jahr kostete hier ein Mehrfamilienhaus im Durchschnitt 30 Jahresmieten. Mit Blick auf die als risikoarm eingeschätzte Wohnungsvermietung haben die Anleger die hohen Preise in Kauf genommen. Zeitlich begrenzter EffektDas von der Corona-Pandemie verursachte erhöhte Mietausfallrisiko als Folge von Einkommensverlusten der Mieter kann die Vermieter aufgrund unveränderter Bewirtschaftungskosten spürbar belasten. Dieser Effekt ist aber zeitlich begrenzt. Dagegen können die Aussichten auf Mietsteigerungen aufgrund zukünftig zu erwartender höherer Neubau-zahlen sowie staatlicher Regulierungsmaßnahmen dauerhaft gebremst werden. In der Folge sind moderate Preisrückgänge zu erwarten – dies gilt insbesondere für die großen und teuren Städte. Dennoch dürfte die Wohnungsvermietung ein solides Geschäft bleiben und weiterhin auf ein großes Investoreninteresse stoßen.Die Beschaffenheit des Wohnungsmarkts mit einem ausgeprägten Überhang der Nachfrage spricht für eine stabile Entwicklung auch nach der Krise. Zusätzlich sind zahlreiche Auswirkungen und Szenarien denkbar, die sich zu diesem Zeitpunkt nicht prognostizieren lassen. Es ist nicht auszuschließen, dass sich ein gesellschaftlicher Wandel vollzieht, der auch Folgen für den Wohnungsmarkt mit sich bringt. Menschen könnte es nach der Coronakrise verstärkt in ländliche Regionen ziehen. Auch eine zunehmende Nachfrage nach größeren Wohnungen ist denkbar, wenn mehr Arbeitsplätze zu Hause eingerichtet werden. Allerdings bleibt abzuwarten, ob sich Homeoffice durchsetzt oder eher auf ein gelegentliches “von zu Hause Arbeiten” begrenzt bleibt. Gut möglich sind zudem lokal unterschiedliche Entwicklungen. In Regionen mit einem besonders krisengeschüttelten Branchenmix und hohen Mieten in Relation zu den Löhnen sind Preisrückgänge wahrscheinlicher als anderenorts.Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich der Wohnimmobilienmarkt den gesamtwirtschaftlichen Effekten zwar nicht vollständig entziehen kann. Er hat jedoch beste Chancen, gut durch die Krise zu kommen. Die Fundamentaldaten sind und bleiben solide. Mittelfristig werden Preiskorrekturen an den Stellen eintreten, an denen bisher vereinzelte Überbewertungen zu beobachten waren. Das Potenzial hierfür ist insbesondere in den Metropolen gegeben. Ausgehend von einer mittelfristigen Erholung der Wirtschaft ist aber insgesamt nach einer Nachfragedelle mit einer Stabilisierung der Märkte zu rechnen. Georg Reutter, Vorstandsvorsitzender der DZ Hyp AG