Großbaustelle Bank of England

Libor-Skandal schärft Anforderungen an britische Notenbank als Stabilitätswächter und Bankenaufseher

Großbaustelle Bank of England

Von Carsten Steevens, LondonIm Skandal um Manipulationen des Interbankenzinssatzes Libor sind noch viele Frage offen. Etwa die, inwieweit neben der britischen Großbank Barclays, die als Erste eine Verstrickung in den Skandal in den Jahren 2005 bis 2009 eingestand und deshalb eine von drei Regulatoren in den USA und in Großbritannien verhängte Strafe von 290 Mill. Pfund zahlen muss, auch andere Institute an vorsätzlichen Zinsänderungen beteiligt waren. Fraglich ist zweitens, welche Konsequenzen der Libor-Skandal für Großinstitute wie Barclays nach sich ziehen wird – nach einer Aufspaltung der als “too big to fail” geltenden Häuser wird in diesen Tagen wieder lauter gerufen. Offen ist zum Dritten, wie der Libor als weltweit wichtigster Referenzzins, zu dem sich Banken untereinander Geld leihen, seine Glaubwürdigkeit zurückerlangen kann. Und – last, but not least: Was bedeutet der Skandal um den in London im Auftrag des britischen Bankenverbandes täglich ermittelten Libor für Stabilitätswächter wie die Bank of England?Die britische Notenbank wird 2013 zu einer der mächtigsten Zentralbanken weltweit. Sie soll, so will es die seit 2010 amtierende Regierung Großbritanniens, künftig nicht mehr nur für geldpolitische Beschlüsse zuständig sein. Ihre Rolle als Wächter der Finanzstabilität, die in den Jahren vor der Finanzkrise – ganz nach dem Willen der an einem starken Finanzplatz interessierten britischen Politik – verkümmerte, wird gestärkt. Die Bank of England übernimmt auch wieder die Bankenaufsicht – eine Verantwortung, die 1997 der Financial Services Authority (FSA) übertragen worden war. Zweifel an der Governance …Dieser Machtzuwachs, der seit zwei Jahren vorbereitet wird, rückt Fragen der Kontrolle und Rechenschaftspflichten in den Vordergrund. Andrew Tyrie, jener konservative Unterhausabgeordnete, der sich als Vorsitzender des Finanzausschusses in den vergangenen 14 Tagen die im Zuge des Libor-Skandals zurückgetretenen Vorstands- und Board-Chefs von Barclays sowie die Spitzen der Notenbank und der FSA in Anhörungen vorknöpfte, machte sich bereits für eine “radikale Überholung” der Governance bei der Bank of England stark. Er erklärte, die Mitglieder des Lenkungsgremiums der Notenbank seien trotz einer versuchten Aufwertung dieses Court of Directors nicht in der Lage gewesen, Einfluss auf wichtigste Entscheidungen der Notenbank auszuüben. Die Bank of England jedoch blockte wesentliche Forderungen, etwa nach einem neuen Aufsichtsrat mit mehrheitlich externen Mitgliedern, ab.Die Rolle und die Verantwortung der Bank of England im Libor-Skandal, die auch nach den Anhörungen von Gouverneur Mervyn King und dessen Stellvertreter Paul Tucker noch nicht aufgeklärt sind, könnten der Diskussion über Kontrolle und Rechenschaftspflichten neuen Schub geben. Ein publizierter E-Mail-Austausch zwischen der Notenbank und Barclays im Oktober 2008 untermauert zwar die Position der Bank of England, dass sie Falschmeldungen der Bank bei der Libor-Ermittlung nicht wissentlich duldete oder gar beförderte, um die Finanzposition des Instituts zu verschleiern. … und an der WachsamkeitDoch zieht ein ebenfalls veröffentlichter Schriftverkehr der New Yorker Filiale der US-Notenbank Fed und der Bank of England im Juni 2008, in dem die Fed zur Stärkung der Libor-Glaubwürdigkeit auf Maßnahmen zur Vereitelung “versehentlicher oder vorsätzlicher Falschmeldungen” dringt, Darstellungen der britischen Notenbank, keine Hinweise auf Libor-Manipulationen gehabt zu haben, in Zweifel. Fed-Chef Ben Bernanke und US-Finanzminister Timothy Geithner, 2008 an der Spitze der Fed in New York, betonten jüngst in Richtung Großbritannien, die US-Behörden hätten sehr früh auf Befürchtungen reagiert, dass die Libor-Festlegung beeinflusst werde oder anfällig für Fehlinterpretationen sei. Bank-of-England-Gouverneur King erklärte hingegen auf die Frage, ob man “geschlafen” habe, die Notenbank sei anders als die Fed kein Regulator. Freilich sah das britische Aufsichtssystem die Bank of England auch 2008 schon als Wächter der Finanzstabilität vor.Auswirken könnte sich der Libor-Skandal auf die Entscheidung, wer King, der nach zwei fünfjährigen Amtszeiten abtritt, Mitte 2013 beerben wird. Die Aussichten des seit Ende 2008 für Finanzregulierung zuständigen Notenbank-Vizes Tucker, der im Londoner Finanzdistrikt bislang als großer Favorit gehandelt wurde, haben sich durch aufgedeckte Details im Umgang mit der Barclays-Spitze im Jahr 2008 nach Einschätzung von Beobachtern in der City nicht verbessert.