Gründer und Unternehmensnachfolger fördern

Mammutaufgabe für den Wirtschaftsraum Baden-Württemberg - Generationswechsel bei Mittelständlern - Wagniskapitalfinanzierungen ausbauen

Gründer und Unternehmensnachfolger fördern

Die engen Beziehungen zwischen der Finanz- und Realwirtschaft Baden-Württembergs haben sich in der Vergangenheit bewährt. Nun gilt es gemeinsam mit der Landespolitik, neue Herausforderungen in diesem Bereich zu meistern.Innovationsland, Heimat traditionsreicher Großkonzerne, Sitz technologieorientierter Mittelständler und Weltmarktführer: Diese Schlagworte fallen, wenn es um den Wirtschaftsraum Baden-Württemberg geht. Der Finanzplatz Stuttgart kommt, einem Hidden Champion gleich, in solchen Aufzählungen meist nicht vor. Dabei ist er einer der bedeutendsten Finanzplätze Deutschlands. Sitz zahlreicher ChampionsMan braucht sich nur in Stuttgart und Umgebung umzusehen, um etliche Beweise dafür zu finden: Die größte Landesbank, die LBBW, hat hier ihren Sitz. Sie zählt weltweit zu den 100 größten Banken. Neben ihr sind 16 weitere Banken in der Schwaben-Metropole zu Hause, unter ihnen auch die L-Bank – eine der größten europäischen Förderbanken, die sich für einen gesunden, zukunftsorientierten Mittelstand in der Region einsetzt – sowie die Bürgschaftsbank mit der verbundenen Mittelständischen Beteiligungsgesellschaft (MBG), ebenfalls ein wichtiger Partner in der Unternehmensfinanzierung.Zugleich ist in Stuttgart einer der größten Lebensversicherer Europas, die Allianz Leben, ansässig. Neben ihr bieten weitere 27 Versicherungen und Pensionskassen, wie der Vorsorgekonzern Wüstenrot & Württembergische, auch über die Landesgrenzen hinaus Lösungen im Bereich Vorsorge und Versicherung.Hierzu gehört auch das Bausparen, das 1924 hier seinen Ursprung nahm und seitdem nicht nur Deutschland, sondern auch ausländische Märkte erobert hat. Heute verwalten die baden-württembergischen Bausparkassen – die führende Bausparkasse Schwäbisch Hall, Deutsche Bausparkasse Badenia, die LBS Baden-Württemberg und die Wüstenrot Bausparkasse – die Hälfte der bundesweiten Bauspareinlagen.Eine ebenfalls starke Stellung auf ihrem Gebiet nimmt die Börse Stuttgart ein. Im börslichen Handel mit Unternehmensanleihen ist sie deutscher Spitzenreiter, bei verbrieften Derivaten sogar europäischer Branchenprimus.Für den wirtschaftlichen Wohlstand in Baden-Württemberg ist die Finanzbranche eine wichtige Säule: Sie trägt rund 13 Mrd. Euro – das sind gut 4 % – zur gesamten Bruttowertschöpfung des Landes bei. Betrachtet man die Beschäftigtenzahlen, fällt eine starke Konzentration auf die Region Stuttgart auf. Mit knapp 50 000 Mitarbeitern ist mehr als jeder dritte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte der baden-württembergischen Finanzwirtschaft in dieser Region tätig. Entnommen sind diese Zahlen einer 2015 erschienenen Studie von Stuttgart Financial, die sich mit der regionalwirtschaftlichen Bedeutung der baden-württembergischen Finanzwirtschaft befasst.Von Beschäftigten- und Bruttowertschöpfungsbeiträgen wird jedoch ein ganz wesentlicher Mehrwert der Finanzindustrie nicht erfasst: die Finanzierung der Wirtschaft. Gerade das starke realwirtschaftliche Umfeld prägt den Finanzplatz Stuttgart wie keinen anderen. Besonders bewährt haben sich die engen und vertrauensvollen Beziehungen zwischen Real- und Finanzwirtschaft im Krisenjahr 2009. Damals brach das baden-württembergische Bruttoinlandsprodukt aufgrund der starken Exportabhängigkeit im Bundesvergleich überdurchschnittlich weit ein. In dieser schwierigen Zeit stützten die heimischen Banken die Realwirtschaft durch eine Ausweitung ihres Kreditvergabevolumens, während die Kreditvergabe bundesweit stark sank.Doch auch wenn der Wirtschaftsraum Baden-Württemberg heute gut dasteht – auf das Land kommen große Aufgaben zu: Laut der IHK Region Stuttgart beispielsweise steht im Zeitraum von 2014 bis 2018 bei rund 19 000 Familienunternehmen in Baden-Württemberg ein Generationswechsel ins Haus. Da dieser häufig nicht innerhalb der Familie erfolgen kann, werden zunehmend Nachfolger von außen gesucht. Hier gilt es für die Finanzwirtschaft, geeignete Finanzierungsmodelle für Management Buy-ins und Buy-outs zu entwickeln und vorzuhalten.Eine weitere Herausforderung liegt im Ausbau der Wagniskapitalfinanzierung. Sicherlich sind die Rahmenbedingungen hierfür in Deutschland nach wie vor schwieriger als beispielsweise im angelsächsischen Raum. Bereits im Koalitionsvertrag hatte sich die Bundesregierung daher die Stärkung der Wagniskapitalfinanzierung zum Ziel gesetzt. Im September wurde hierzu nun ein Eckpunktepapier vorgestellt, das insbesondere auf steuerliche Anreize setzt. Trotz des dringenden Handlungsbedarfs zur Verbesserung der Rahmenbedingungen zeigt der Wirtschaftsstandort Berlin mit seiner imposanten Entwicklung der vergangenen Jahre, dass bereits heute eine Start-up-Kultur in Deutschland möglich ist. So vermeldet Dow Jones VentureSource, dass Berlin 2014 mit einer Investitionssumme von 2,2 Mrd. Euro den bisherigen europäischen Spitzenreiter London überholt hat.Ein anderes Bild zeigt sich in Baden-Württemberg. Ausgerechnet das Innovationsland, das seit Generationen revolutionäre Ideen und Erfindungen auf den Markt bringt, hinkt bei der Gründungsintensität hinterher. In dieser Beziehung steht das Bundesland laut einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) von 2013 seit 1997 an letzter Stelle der betrachteten Flächenländer. Dabei sind gerade innovative Hightech-Standorte in besonderem Maß auf Gründungen und neue Ideen angewiesen. Erste Gegenmaßnahmen sind schon eingeläutet: So zeigen zum Beispiel der “Seedfonds BW”, der erfolgversprechenden Start-ups aus Baden-Württemberg eine Startfinanzierung von bis zu 600 000 Euro ermöglicht, oder die Gründungsoffensive “VC-BW”, die die bestehende hiesige Gründerszene für Investoren und Gründer auch außerhalb Baden-Württembergs sichtbarer und attraktiver macht, bereits erste Erfolge.Weitere Schritte sollen folgen. So stellte der Rat für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit des Ministeriums für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg am 28. September 2015 ein 13-Punkte-Programm zur Steigerung von Innovation und Wettbewerb vor. Unter anderem wird die Schaffung eines effizienten “Finanzierungsökosystems” gefordert. Ziel soll dabei sein, dass ein höherer Anteil an Privatkapital den Weg in junge, innovative und schnell wachsende Unternehmen findet. Die Voraussetzungen hierfür sind gut. Mit den Banken, Förderinstituten, großen Kapitalsammelstellen wie Versicherungen, der starken Börse Stuttgart und den etablierten VC- und Business-Angels-Netzwerken sind die hierfür benötigten Akteure und der Nährboden bereits vorhanden.Nun gilt es, die Idee eines Finanzierungsökosystems rasch mit Leben zu füllen. Dazu müssen die einzelnen Akteure miteinander verzahnt, vorhandene Angebote abgestimmt, Lücken identifiziert und schließlich geschlossen werden. Dass dies gelingen kann, zeigt der im vergangenen Jahr gestartete VC Fonds Baden-Württemberg, der mit Geldern des Landes Baden-Württemberg, der SV SparkassenVersicherung Holding und der Württembergischen Versicherung ausgestattet ist und der von der MBG verwaltet wird. Starke Partner vor OrtMit der Verbesserung des Finanzierungsangebots ist es jedoch allein nicht getan. Gleichzeitig muss es gelingen, die Zahl der erfolgversprechenden Gründungsvorhaben zu erhöhen. Eine wichtige Grundvoraussetzung hierfür bilden die starken Forschungseinrichtungen und Hochschulen im Land. Es ist jedoch fraglich, ob man allein auf den heimischen Nachwuchs hoffen sollte, zumal die Industrie verstärkt durch den zunehmenden Fachkräftemangel attraktive Alternativen zum eigenen Unternehmertum bietet.Wenn Baden-Württemberg eine Start-up-Szene entwickeln möchte, die die Innovationskraft der Wirtschaft adäquat widerspiegelt, muss es gelingen, Gründer auch außerhalb Baden-Württembergs und Deutschlands anzuziehen. Dies ist zugegebenermaßen ein ambitioniertes Ziel. Es kann nur dann erreicht werden, wenn Baden-Württemberg dabei mit seinem größten Trumpf wirbt: der starken Realwirtschaft. Gerade für industrienahe Gründungen beispielsweise im Bereich Industrie 4.0 ist Baden-Württemberg in idealer Weise als Standort geeignet. Hier finden sich zahlreiche potenzielle Kunden, Kooperationspartner und Forschungseinrichtungen. Gleichzeitig benötigen viele Mittelständler im Land gerade in dieser Beziehung neue Impulse. Eine zielgerichtete Ansiedlung von Start-ups könnte somit auch dazu beitragen, die bestehenden Wirtschaftsstrukturen zu stärken.Fest steht: Die Schaffung eines Finanzierungsökosystems allein reicht nicht aus. Darüber hinaus müssen die Bedürfnisse und Angebote der bestehenden Unternehmen und Forschungseinrichtungen mit den Neugründungen koordiniert werden. Dies ist sicherlich eine wirtschaftspolitische Mammutaufgabe – die die Landespolitik gemeinsam mit der Real- und Finanzwirtschaft zum Wohle Baden-Württembergs meistern muss.—Dirk Sturz, Leiter von Stuttgart Financial