Grüne Standards durch die Hintertür
Die EU-Gesetzgeber ringen aktuell darum, welche Vorgaben mit dem Wiederaufbaufonds verknüpft werden sollen, damit der auch wirklich einen wichtigen Beitrag zum Green Deal leisten kann. Experten raten zu einer klaren Verknüpfung mit der Taxonomie – da davon auch der Green-Bond-Standard abhängt.Von Andreas Heitker, BrüsselDer von der EU geplante milliardenschwere Corona-Wiederaufbaufonds soll nicht nur bei der Krisenbekämpfung helfen, sondern auch helfen, die europäische Wirtschaft nachhaltiger und “grüner” aufzustellen. 37 % der Gelder werden für klimafreundliche Projekte reserviert. 30 % der Mittelaufnahme an den Märkten soll zugleich über grüne Anleihen erfolgen, wie die EU-Kommission angekündigt hat. Dies würde auch dem Green-Bond-Markt einen gewaltigen zusätzlichen Schub geben, geht es doch hier um die Emission von Papieren im Volumen von mehr als 200 Mrd. Euro.Nach Einschätzung von Experten werden diese Anleihen de facto schon einen EU-weiten, möglicherweise sogar globalen Green-Bond-Standard vorzeichnen – auch wenn die Brüsseler Kommission ihre Vorschläge für einen solchen EU-Standard eigentlich erst 2021 vorstellen will. Das Jacques Delors Centre in Berlin warnte in einer in dieser Woche veröffentlichten Analyse allerdings davor, dass die grünen Bonds zur Finanzierung des Wiederaufbaufonds auch einen falschen Präzedenzfall schaffen könnten – wenn die zu finanzierenden Projekte nämlich mit zu schwachen Umweltkriterien unterlegt würden. “Dies würde der Sustainable-Finance-Agenda der Kommission einen Bärendienst erweisen”, so die Jacques-Delors-Analysten.Das Problem ist, dass nach den bislang auf dem Tisch liegenden Vorschlägen die umwelt- und klimabezogenen Investitionen, die der Wiederaufbaufonds finanzieren soll, nicht mit Hilfe der Taxonomie-Verordnung bewertet werden, sondern mit einer viel laxeren Methode, mit der bislang vor allem in den Strukturfonds die Klimafreundlichkeit gemessen wurde, nach dem Prinzip der sogenannten OECD-Rio-Marker. Die Zähne fehlenAuch in Teilen des EU-Parlaments ist man nicht sonderlich glücklich darüber: “Diese Methode ist nicht ausreichend, weil sie viel zu oft Dinge als grün kategorisiert, die dem Klimaschutz nicht automatisch zuträglich sind”, kritisierte der Volt-Abgeordnete Damian Boeselager, der aktuell als Schattenberichterstatter an der richtigen Ausgestaltung des Wiederaufbaufonds mitarbeitet. Die Analysten des Jacques Delors Centre fordern hier auf jeden Fall noch Nachbesserungen: Bisher fehlten den Kriterien für umweltfreundliche Investitionen die Zähne, kritisieren die Experten.Das EU-Parlament will seine Position zum Wiederaufbaufonds – beziehungsweise genauer: zur “Wiederaufbau- und Resilienzfazilität”, die mit 672,5 Mrd. Euro das Herzstück des Fonds bildet (siehe Tabelle) – bis Anfang November festlegen, damit die Regulierung nach den dann noch folgenden Schlussverhandlungen mit den EU-Mitgliedstaaten rechtzeitig bis Weihnachten abgeschlossen werden kann. Die Detailarbeit in der Taxonomie ist bis dahin allerdings noch nicht fertig. Erste genauere Screening-Kriterien im Bereich des Klimaschutzes will die EU-Kommission bis dahin vorlegen. Aber alle genaueren Taxonomie-Kriterien in anderen Bereichen folgen wohl erst in einem Jahr. Die EU-Mitgliedstaaten müssen in Brüssel nationale Wiederaufbaupläne einreichen, die die EU-Kommission billigen muss, bevor Geld aus dem Wiederaufbaufonds fließen kann. Die Jacques-Delors-Experten weisen deshalb auch darauf hin, dass der Genehmigungsprozess in Brüssel der entscheidende Moment sei, der darüber entscheidet, welchen Beitrag die Corona-Hilfsgelder tatsächlich für einen grünen Umbau der Wirtschaft leisten. Sobald die nationalen Wiederaufbaupläne verabschiedet seien, werde es kaum noch Spielraum geben, die darin enthaltenen Maßnahmen zu ändern, erklärten sie. Nachträglich werde die EU-Kommission keine grünen Standards mehr durchsetzen können.Einen Link zur Taxonomie gibt es bereits: das Ausschlusskriterium “Do no significant harm”. Damit wird allerdings lediglich garantiert, dass die Ausgaben aus dem Wiederaufbaufonds den großen Nachhaltigkeitszielen “keinen wesentlichen Schaden” zufügen. Dass sie damit einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten, ist damit allerdings noch nicht gesagt. “Unsere Forderung ist daher, das Tracking für Ausgaben für Klima- und Umweltschutz auf Basis der Taxonomie-Regulierung zu organisieren”, sagt der Abgeordnete Boeselager. Dieses Gesetzeswerk erlaube eine viel präzisere Anrechnungsweise. “Wir müssen sicherstellen, dass, wo grün und digital draufsteht, auch grün und digital drinsteckt.”Die Ratschläge des Jacques Delors Centre hören sich ähnlich an: Nur wenn ein Projekt taxonomiekonform ist, sollte es als klimafreundlich eingestuft werden, heißt es hier. Und sollte sich eine direkte Verknüpfung mit der Taxonomieverordnung politisch als nicht durchführbar erweisen oder weil es nicht möglich sein wird, die erforderlichen technischen Spezifikationen rechtzeitig für die Genehmigung nationaler Wiederaufbaupläne zu verabschieden, solle die EU-Kommission nicht sofort grüne Anleihen begeben, sondern erst ein separates Screening durchführen. Darüber hinaus sollten die Bewertungen der EU-Kommission auch durch unabhängige Sachverständige überprüft werden können.Schaffen es die EU-Gesetzgeber, die “Wiederaufbau- und Resilienzfazilität” mit robusten Nachhaltigkeitskriterien zu verknüpfen? Oder zerstören zu laxe Vorgaben auch gleich die hohen Ambitionen bei der künftigen Entwicklung von Green-Bond-Standards? In den nächsten Jahren werden voraussichtlich 126 Mrd. Euro an Zuschüssen und einschließlich Krediten sogar rund 250 Mrd. Euro über den Wiederaufbaufonds in Umwelt- und Klimaschutz-Projekte fließen. Die Effizienz dieser Gelder ist aktuell noch offen.