Hanno Berger spielt auf Zeit
Von Anna Sleegers
zzt. Wiesbaden
Den ersten Antrag versucht die Verteidigung noch vor der Verlesung der Anklageschrift zu stellen. Doch Kathleen Mittelsdorf, Vorsitzende Richterin der 6. großen Strafkammer, vor der sich der Steuerberater und Rechtsanwalt Hanno Berger seit Donnerstag wegen seiner Beteiligung an den Cum-ex-Geschäften der HVB verantworten muss, bremst den Steuerstrafrechtler Sebastian Kaiser aus (Az: 6 KLs – 1111 Js 18753/21).
Nachdem sie zuvor noch im sanften Ton einer Sozialarbeiterin dem Wunsch stattgegeben hatte, die zum Schutz vor Infektionen aufgestellten transparenten Stellwände zwischen den Plätzen der Verteidiger und des Angeklagten zu entfernen, erwidert die Kammervorsitzende nun knapp, dass Anträge im Anschluss gestellt werden könnten. „Auch wenn es um eine Aussetzung des Verfahrens geht?“, spoilert der Frankfurter Steuerstrafrechtler. Auch dann, entgegnet sie und erteilt der Anklage das Wort.
Die Verlesung der Anklageschrift nimmt den gesamten Vormittag in Anspruch und enthält nichts Neues. Schon einmal ist sie hier vorgetragen worden, vor mehr als einem Jahr, beim ersten Versuch, Berger und seinen Mitangeklagten strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Berger, der damals entgegen anderslautenden Ankündigungen nicht aus seiner Schweizer Wahlheimat nach Wiesbaden gereist war, hört zu und schüttelt nur hin und wieder ein wenig missbilligend den Kopf.
Nach Überzeugung der Anklage waren Berger und ein ehemaliger Trader, der den Handelsraum der HVB in London leitete, die Köpfe hinter den Cum-ex-Geschäften, mit denen der inzwischen verstorbene Investor Rafael Roth den Fiskus in den Jahren 2006 bis 2008 um 106 Mill. Euro erleichterte. Der ebenfalls angeklagte Trader, Paul M., ist flüchtig. Er kannte sich mit Leerverkäufen aus und dem Handelssystem, das die für die unrechtmäßige Steuererstattung erforderlichen Bescheinigungen ausstellte. Berger brachte die Steuerexpertise mit und den Kontakt zu Roth, den er der Abteilung Family Offices im Wealth Management der HVB als Kunde zuführte.
Von dem mit den Cum-ex-Transaktionen erbeuteten Geld sicherte sich Roth nach den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft etwas mehr als 35 %. Berger habe insgesamt beinahe 2,4 Mill. Euro eingestrichen in Form von Beratungs- und Erfolgshonoraren. Die Boni der beiden angeklagten Kundenberater in Höhe von 214 000 und 57 000 Euro nehmen sich dagegen geradezu bescheiden aus. Trotzdem stehen sie seit mehr als einem Jahr in Wiesbaden vor Gericht, während das erste Verfahren gegen Berger am Landgericht Bonn erst vor wenigen Wochen eröffnet wurde.
JVA bleibt freitags zu
Nach Darstellung der Verteidigung macht dies eine angemessene Vorbereitung des Prozesses in Wiesbaden so gut wie unmöglich. Zum Zeitpunkt des Prozessauftakts in Bonn hätten die beiden Pflichtverteidiger noch nicht einmal die Möglichkeit zur Einsicht in alle für das Wiesbadener Verfahren relevanten Akten gehabt. Seither muss Berger dort noch mindestens bis Juli zweimal pro Woche im Gericht erscheinen, was Vor- und Nachbesprechungen mit den dort bestellten Verteidigern erfordere. Zudem sei die Justizvollzugsanstalt in Köln-Ossendorf, in der Berger in Untersuchungshaft sitzt, freitags geschlossen. Unter dem Strich bleibe also kaum Gelegenheit zum Austausch, beklagt Kaiser.
Ohnehin sei die Einarbeitungszeit knapp bemessen angesichts der komplexen Rechtslage. Die Generalstaatsanwaltschaft habe sich vor diesem Hintergrund fünf Jahre Zeit gelassen, um Anklage zu erheben, stichelt er und beantragt, das Verfahren erst nach dem Ende der hessischen Sommerferien fortzusetzen. Für den Fall, dass der Antrag abgelehnt wird, lässt sich die Verteidigung ein Hintertürchen offen, indem sie Fehler bei der Nachbesetzung der zum Teil urlaubsbedingt verhinderten Schöffen rügt. Auch das ist potenziell ein Grund, eine Verfahrensaussetzung zu beantragen.