Heavy Metal statt Katzenvideos
Im Privatkunden-Internet ist der Zug für die deutschen High-Tech-Unternehmen wohl bereits abgefahren. Deutlich besser sieht es bei Industrie 4.0 und Industriellem Internet der Dinge aus, wo die heimischen Anbieter von der globalen Stärke des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus profitieren.Online-Handel? Kein Kraut gegen Amazon gewachsen. Social Media? Die Domäne von Facebook. Video Streaming? Fest in der Hand von Netflix. Wem würde angesichts dieser Auflistung von global erfolgreichen US-Unternehmen, die sich noch dazu fast beliebig fortsetzen ließe, nicht angst und bange um die digitale Zukunft der deutschen Wirtschaft werden? Und tatsächlich:Bis auf bestimmte sehr interessante Ausnahmen (Online Modehandel, Online Plattformen für Essens-Lieferdienste oder Kochpakete, Business Netzwerke, digitale Angebote im Medienbereich) ist die größte Ökonomie des Euroraums beim Privatkunden-Internet nicht unbedingt global führend. Herzmuskel der WirtschaftEin anderes Bild zeigt freilich der Blick auf das Industrie-4.0-Konzept, in dessen Zentrum mit dem Anlagenbau der Herzmuskel der deutschen Wirtschaft steht, der auch die heimischen IT-Anbieter mit Lebenssaft versorgt. Unter dem Schlagwort Industrie 4.0 kommunizieren und interagieren im Idealfall vollständig vernetzte Maschinen automatisch im Produktionsprozess und erzielen so Effizienzfortschritte, die sich vom Ressourceneinsatz über die Fertigungszeiten bis zu den Qualitätsstandards erstrecken. In der besten aller Welten fließen über im Internet der Dinge vernetzte Produkte zusätzlich Nutzungsdaten und Kundenerfahrungen direkt in die Optimierung von Planungs- und Fertigungsprozessen ein. Beide Sphären zusammen bilden das Industrielle Internet der Dinge.Und zumindest dort, wo es in den Werkshallen um die digitale Choreographie von Maschinen geht, begegnen die heimischen Anbieter ihren wichtigsten Wettbewerbern aus den USA und aus Asien auf Augenhöhe. So waren laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom im laufenden Jahr bereits knapp ein Viertel der Maschinen und Anlagen hierzulande mit dem Internet verbunden. Von den heimischen Industrieunternehmen stufen Deutschland im Wettlauf um das Megathema Industrie 4.0 immerhin gut ein Fünftel als führend ein. Damit liegen die heimischen Maschinen- und Anlagenbauer nur knapp hinter den USA und Japan, aber deutlich vor China und Südkorea. Auch eine Studie von PwC aus diesem Jahr kommt zu einem ermutigenden Ergebnis: Demnach belegt Deutschland bei der Implementierung von Fertigungsmanagementsystemen den Spitzenplatz vor den USA und der asiatisch-pazifischen Region. Hinsichtlich von Vernetzung und Industriellem Internet der Dinge liefern sich die drei Wettbewerber laut der Studie ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Cloud-Lösungen als SchlüsselDiese starke Position der heimischen Akteure hat dabei gleich mehrere Gründe: So hat Deutschland mit SAP eines der weltweit führenden und am stärksten wachsenden Unternehmen bei Cloud-Lösungen im Rennen. Diesen kommt bei der Digitalisierung der industriellen Wertschöpfungskette eine Schlüsselfunktion zu, da sie den dezentral erzeugten Rohstoff der Industrie 4.0, nämlich Daten, aufnehmen und damit bündeln. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass etwa Heidelberger Druckmaschinen seinen Kunden ressourcenschonendere Einstellungen für Anlagen empfehlen und zeitnah Verbrauchsmaterialien wie Farben, Lacke und Papier liefern kann.Darüber hinaus kennen sich viele deutsche Anlagenbauer und IT-Unternehmen schon aus der Zeit vor dem Industrie-4.0-Konzept. Denn die Verbindung von Software und Maschinen ist an sich ja nicht neu, sondern lediglich die Architektur, die jetzt die zuvor isoliert arbeitenden Einheiten holistisch überspannt. Und aus dieser Zeit weiß man oftmals die gegenseitige Verlässlichkeit und Qualität zu schätzen. Daher werden die heimischen High-Tech-Unternehmen unter der Prämisse wettbewerbsfähiger Produkte fast zu den natürlichen Partnern des deutschen Anlagenbaus bei der Digitalisierung und Automatisierung der industriellen Wertschöpfung.Eine wichtige Rolle spielt auch die Datensicherheit. Denn Vernetzung und Kommunikation bergen auch immer das Risiko, dass sich Konkurrenten in den Besitz von Betriebsgeheimnissen bringen können. Man denke dabei nur an den Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg, dem zufolge es China gelungen sein könnte, Unternehmen und Behörden in den USA mit Spionage-Chips bestückte Server zu verkaufen. Daher wäre es nur zu verständlich, wenn ein deutscher Maschinen- und Anlagenbauer einen IT-Partner bevorzugt, dessen Rechenzentren hierzulande stehen und der den heimischen Datenschutzgesetzen unterworfen ist. Standards bedeutsamUnd schließlich liegt ein wichtiger Grund für die deutsche Stärke darin, dass die Unternehmen die Bedeutung von Standards erkannt haben. Wie wichtig die für den globalen Erfolg eines Produkts sind, ist spätestens seit dem so genannten Formatkrieg zwischen Betamax, VHS und Video 2000 in den späten 70er und frühen 80er Jahren des vergangenen Jahrtausends bekannt. Dabei ging es um den Standard für Videorekorder, wobei letztlich das von Experten als technisch unterlegen eingeschätzte VHS-Format das Rennen machte. Lange Zeit sah es so aus, als würden die USA mit ihren IT-Schwergewichten trotz der über Jahrzehnte gewachsenen deutschen Kompetenz bei Maschinenwissen und Automatisierung bei Industrie 4.0 als Sieger vom Platz gehen. Doch mittlerweile haben heimische Anbieter dank ihrer Strategie der offenen Standards wieder Oberwasser. Ein gutes Beispiel dafür ist die Adamos genannte Plattform, die die Software AG zusammen mit einer Reihe von mittelständischen Weltmarktführern aus dem heimischen Anlagen- und Maschinenbau geschaffen hat. Dazu zählen etwa Dürr, DMG Mori und Zeiss. Das Erfolgsrezept von Adamos sind dabei herstellerneutrale, standardisierte Lösungen und Schnittstellen, die die Dominanz einzelner proprietärer und geschlossener Systeme erfolgreich verhindern. Bei Robotern im HintertreffenDoch freilich ist auch bei Industrie 4.0 und Industriellem Internet der Dinge nicht alles Gold, was glänzt. So hinkt Deutschland beispielsweise bei kollaborativen Robotern und Künstlicher Intelligenz den Wettbewerbern aus den USA und der asiatisch-pazifischen Region hinterher. Die Schwäche in diesen beiden Königsdisziplinen dürfte vor allem darin begründet sein, dass hierzulande noch nicht von einer etablierten Digitalkultur gesprochen werden kann und sich Talente daher lieber etwa im Silicon Valley verdingen. Zur Erinnerung: Noch 2013 bezeichnete Bundeskanzlerin Angela Merkel das Internet als “Neuland für uns alle”.In dieselbe Kerbe schlägt auch eine Studie von Ernst & Young aus diesem Jahr. Demnach sieht eine Mehrheit der deutschen Maschinenbaubetriebe zwar keine Investitionshemmnisse bei der Digitalisierung. Den Rest bremsen aber vor allem fehlendes Personal und mangelndes Know-how aus. Auffällig ist in diesem Zusammenhang die wenig verbreitete Zusammenarbeit mit Start-ups. Hier muss sich die deutsche Politik aufgerufen fühlen, bessere Rahmenbedingungen für Unternehmertypen mit frischen Geschäftsideen zu schaffen. Zwar lässt sich nicht bestreiten, dass das Gründerthema mittlerweile in den Wirtschafts- und Forschungsministerien angekommen ist. Allerdings kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass deren Aufmerksamkeit womöglich nur begrenzte, limitierte Schwerpunkte setzt. Denn in der Regel steht vor allem die Hege und Pflege deutscher Fintechs im Fokus, die gegenüber ihren angelsächsischen Wettbewerbern gestärkt werden sollen. Allerdings ist der Beitrag der Finanzindustrie zur Wertschöpfung der deutschen Wirtschaft eher bescheiden.—-Christoph Ohme, Fondsmanager deutsche Aktien, DWS