Herzlich willkommen in Frankfurt!
Der Finanzplatz Frankfurt könnte zu den Gewinnern des Brexit gehören, schließlich wird London durch den EU-Austritt der Briten zum Offshore-Platz. Vor übertriebener Begeisterung in der Euro-City sei indes gewarnt: Es kann auch ganz anders ausgehen.Von Bernd Wittkowski, Frankfurt”Der große Gewinner ist Frankfurt am Main. Der große Verlierer ist London. Finanzplatz EU ist ab heute Frankfurt am Main SUPER GUT”, zwitscherte es am Freitagmorgen im weltweiten Netz. Und diese Meinung zum Thema “Frankfurt vs. London” war nach dem Brexit-Votum der Briten offenbar mehrheitsfähig.Gemach, gemach. Klar: Der Bankenplatz Frankfurt ist bereit und aufnahmefähig. “Herzlich willkommen, was können wir für Sie tun?”, rief die Finanzplatzinitiative Frankfurt Main Finance den Briten am Freitag “laut und klar” zu. Die Tore der Mainmetropole seien geöffnet, sagte Hubertus Väth, der Geschäftsführer des Fördervereins. Frankfurt sei als stabiler Finanzplatz gut gerüstet, Akteure aufzunehmen, die eine stabile Basis in der Eurozone suchen. “Der nun andauernden Phase der Instabilität in Großbritannien setzt Frankfurt Offenheit, Stabilität, eine leistungsfähige Infrastruktur und günstige Rahmenbedingungen entgegen.”Die Initiative will nicht abwarten und Tee trinken, sondern geht sofort in die Offensive. “Alle Mann an Deck”, meldet Väth. Eine Hotline für Frankfurt-Interessierte ist eingerichtet, um schnellstmöglich und unkompliziert Zugang zu Informationen zu verschaffen. In London sollen Ansprechpartner vor Ort präsent sein. Zusammen mit FrankfurtRheinMain, der Standortmarketinggesellschaft der Region, wird eine internationale Roadshow vorbereitet.Abwanderungswilligen Banken in London, nicht zuletzt hiesigen Adressen wie der Deutschen Bank mit dort mehr als 8 000 Beschäftigten, hat “Bankfurt” durchaus viel zu bieten. Väth: “Mit einem leistungsfähigen Immobilienmarkt sowie hervorragenden Angeboten in Bereichen wie Wirtschaftsprüfung, Rechtsberatung, Kommunikation oder IT steht Frankfurt bereit. Beispielsweise befindet sich in Frankfurt ein gut ausgebauter Internetknotenpunkt, über den 40 % des europäischen Datenverkehrs gehen.”Nicht zu vergessen die Rolle der kontinentaleuropäischen Finanzhauptstadt als geld- und währungspolitisches Zentrum, das die EZB und die Bundesbank beherbergt und darüber hinaus auch das Domizil von Kontrollinstanzen wie der EZB-Bankenaufsicht, der europäischen Versicherungsaufsicht EIOPA, des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken sowie von Teilen der nationalen Finanzaufsicht BaFin ist. Die Nähe zu diesen Institutionen war schon vor dem Brexit-Entscheid der Briten ein gewichtiges Argument für eine Ansiedlung internationaler Finanzdienstleister in der Euro-City.Wenn Väths Rechnung aufgeht – er beruft sich auf Gespräche mit maßgeblichen Akteuren -, kann Frankfurt als Folge des EU-Austritts der Briten mit einem Zugewinn von mindestens 10 000 Arbeitsplätzen kalkulieren. Das wäre eine Menge, nämlich fast ein Sechstel der Beschäftigtenzahl von Banken in Frankfurt: 62 500 Mitarbeiter waren es im vorigen Herbst, wie die Helaba in ihrer jüngsten Finanzplatzstudie ermittelte (vgl. BZ vom 31. Mai).Dass nun nicht nur die Karten für die geplante Fusion der Deutschen Börse mit der London Stock Exchange neu gemischt werden, sondern sich zudem die Frage, von welchem Standort aus Finanzdienstleistungen für Europas Verbraucher und Unternehmen künftig erbracht werden, neu stellt, glaubt auch Christine Bortenlänger, Geschäftsführender Vorstand des Deutschen Aktieninstituts (DAI). “London wird dabei der große Verlierer sein, wie die Ankündigungen verschiedener Banken, Arbeitsplätze auf den Kontinent verlagern zu wollen, deutlich zeigen”, sagt sie. Das bedeute aber nicht, dass Frankfurt ohne jedwede eigene Anstrengung der große Gewinner sein werde. Dafür seien hierzulande viele Rahmenbedingungen zu verkrustet und zu bürokratisch. Rosinenpicker-SzenarioSollen die Chancen des Brexit für den Finanzplatz Frankfurt und den hiesigen Unternehmensstandort genutzt werden, müsse Deutschland selbst aktiv werden, so die DAI-Chefin. Die deutsche Politik müsse schnell Maßnahmen ergreifen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Kapitalmärkte zu steigern. Angesagt sei eine Stärkung der Kapitalsammelstellen, etwa durch eine ergänzende kapitalgedeckte Altersvorsorge, und von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen. Bürokratische Hürden bei der Wachstumsfinanzierung über die Börse seien abzubauen, die Anlageberatung sei praxisnäher zu regulieren und die ökonomische Allgemeinbildung zu fördern.Doch bevor in Frankfurt Euphorie um sich greift: Trotz des Brexit, dem die Helaba vor vier Wochen nur eine Wahrscheinlichkeit von 40 % zugemessen hatte, wird London der Studie der Landesbank zufolge die Nummer 1 unter Europas Finanzplätzen bleiben. Je nach Ausgestaltung des britischen EU-Austritts dürfte es aber durchaus zu Modifikationen im Finanzplatzgefüge kommen. Wie viele Jobs in London wegfallen und in welchem Ausmaß andere Standorte in Europa oder auch in Asien profitieren, hänge beispielsweise vom Ausmaß der Einschränkungen im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr ab (bisher haben in London ansässige Banken einen EU-Pass).Auf Dauer wird es nicht zuletzt auf die Entwicklung der jeweiligen Regulierungen ankommen. Für Frankfurt am unerquicklichsten wäre insoweit die Brexit-Variante, die die Helaba-Volkswirte das “Rosinenpicker-Szenario” nennen: Dank im Vergleich zur EU lockerer Regeln gewinnt der Platz London sogar noch an Attraktivität und zieht frisches Kapital an, der Scheidungsvertrag lässt Großbritannien profitieren, während die EU die Kosten trägt. Wahrscheinlichkeit laut Helaba: 10 %.Letztlich gibt es noch ein Szenario, über das zumindest öffentlich bisher kaum jemand spricht: Die EU und die Eurozone fliegen im Zuge des Brexit komplett auseinander. Dann wäre auch der Frankfurter Standortvorteil EZB perdu.