BANKEN ZWISCHEN GESUND- UND KAPUTTSPAREN - SERIE KOSTENDRUCK IM FINANZSEKTOR: TEIL 13

Heuern und Feuern an der Wall Street

Den Massenentlassungen im operativen Geschäft stehen kräftige Einstellungen in Compliance gegenüber

Heuern und Feuern an der Wall Street

Von Christiane Hanna Henkel, New YorkNoch zu Beginn des letzten Jahres war die Stimmung in Amerikas Bankensektor recht gut. Die großen Finanzinstitute hatten sich längst mehrheitlich von der Finanzkrise erholt, die Gewinne erreichten Rekordniveau. Und die Banken suchten wieder nach Mitarbeitern. Doch dann kam der Rückschlag. Das boomende Geschäft mit der Refinanzierung von Hypotheken ebbte ab. Die Mortgage Bankers Association prognostizierte damals, dass das Refinanzierungsvolumen in dem Jahr um rund ein Drittel auf knapp 1 000 Mrd. Dollar fallen und im Jahr 2014 dann auf 388 Mrd. Dollar einbrechen würde. Die Banken reagierten darauf sofort mit Massenentlassungen. Rund 61 000 Mitarbeiter mussten im letzten Jahr laut der Outplacement-Firma Challenger, Gray & Christmas gehen – meist von heute auf morgen.Amerikas Arbeitsmarkt ist um ein Vielfaches flexibler als in Deutschland. Kündigungen können jederzeit ausgesprochen werden, oft mit sofortiger Wirkung, meist mit einer Frist von nur wenigen Tagen oder Wochen. Ein Arbeitsplatz ist keine Garantie, das gilt besonders für den Finanzsektor. Die Gewerkschaften haben dort nie richtig Fuß gefasst. Die Hoffnung auf schnellen Aufstieg bei Erfolg ist bei den Mitarbeitern der Branche genauso verhaftet wie das Wissen um den schnellen Abstieg bzw. “Ausstieg” etwa bei der Verfehlung von Zielen, konjunkturellen Abschwüngen oder strukturell bedingten Entlassungswellen.Massenkündigungen werden denn auch in den Banken wie auch in der Öffentlichkeit unaufgeregt hingenommen. Anfang vergangenen Jahres etwa kündigte J. P. Morgan Chase an, bis Ende 2014 rund 19 000 Mitarbeiter oder rund 8 % der Belegschaft zu entlassen. Das löste weder empörte Leitartikel noch Protestaktionen aus.Dabei ist dies bereits die zweite Entlassungswelle in fünf Jahren, die da seit gut einem Jahr über die Wall Street rollt. Als sich bereits 2007 durch den Rückgang der Häuserpreise das Branchenumfeld stark eingetrübt hatte, strichen die Banken rund 153 000 Stellen. Und als 2008 die Finanzkrise in dem Fall von Lehman Brothers gipfelte, wurden 260 000 Mitarbeiter entlassen. Allein Citigroup verschickte von August 2007 bis Dezember 2008 rund 70 000 Kündigungsschreiben.Doch was weniger sichtbar ist: Dem schnellen “Feuern” an der Wall Street steht ebenso ein zügiges “Heuern” gegenüber. Vor allem der Bereich Compliance – also die Ausrichtung der Bank auf die veränderte Gesetzeslage und die Überprüfung der Einhaltung von Gesetzen – boomt. Citigroup etwa kündigte jüngst an, dass bis zum Jahresende 30 000 Mitarbeiter allein in diesem Bereich beschäftigt werden; das ist ein Drittel mehr als Ende 2011 und entspricht rund 13 % der Mitarbeiterschaft. J. P. Morgan stockt die Mitarbeiterzahl in der Compliance-Abteilung ebenfalls um 30 % oder 13 000 Mitarbeiter auf.Der staatlichen Einlagensicherung FDIC zufolge hatte 2007 der US-Bankensektor rund 2,22 Millionen Beschäftigte. Die Zahl sackte dann auf 2 Millionen im Jahr 2010 ab und steht heute bei 2,06 Millionen. Damit sind derzeit 7 % weniger Menschen bei Amerikas Banken beschäftigen als vor der Krise im Jahr 2007. Legt man die Zahlen des staatlichen Statistikamtes Bureau of Labor Statistics zugrunde, die auch die Beschäftigten von Versicherern und von anderen nicht bei der FDIC angehängten Branchen wie den Vermögensverwaltern oder Fondsgesellschaften erfasst, so ergibt sich ein Rückgang von 5 %, nämlich von 6,22 Millionen Mitarbeitern 2007 auf derzeit 5,91 Millionen. Damit ist die Beschäftigungslage an der Wall Street weniger dramatisch, als zu vermuten wäre angesichts der Tatsache, dass Amerikas Banken durch eine schwere Krise gegangen sind, dass sie vor allem durch die strengeren Kapitalvorschriften unter hohem Kostendruck stehen und die Finanzmarktreform ihnen eine Reihe riskanter, aber eben auch sehr lukrativer Geschäfte verbietet. Die Arbeitslosenquote im Finanzsektor liegt derzeit mit 3,8 % weit unter dem Landesdurchschnitt von 6,1 %.Ob die US-Banken aber jemals wieder eine der Vollbeschäftigung entsprechende Arbeitslosenquote von 1,8 % aufweisen wie Anfang 2007, ist fraglich. Der Kostendruck durch die nun mehr und mehr greifende Finanzmarktreform und durch strengere Kapitalvorschriften dürfte sich noch verstärken.Auf die nächste Entlassungswelle bereitet man sich an Wall Street ohnehin schon vor. So wie es vor rund einem Jahr Tausende von Hypotheken-Mitarbeitern getroffen hat, stehen jetzt die Mitarbeiter in den Handelsabteilungen auf dem Prüfstand. Die Erträge nämlich aus dem Geschäft mit dem Handel von festverzinslichen Papieren (FICC) sind stark rückläufig. Und während generell dieser Geschäftsbereich starken Schwankungen unterliegt, könnte der derzeitige Rückgang auch durch die Finanzmarktreform und damit strukturell bedingt sein. Von Entlassungen wären vor allem Mitarbeiter bei den großen Investmentbanken betroffen. Die rund 33 000 Mitarbeiter beschäftigende Goldman Sachs etwa erwirtschaftet rund ein Drittel des Ertrages im FICC-Bereich.—-Zuletzt erschienen:- Banken ringen mit Fusionsdruck (13. September)- Von New York nach Jacksonville (11. September)