IM BLICKFELD

Hinter dem EZB-Kreditregister stehen noch Fragezeichen

Von Bernd Neubacher, Frankfurt Börsen-Zeitung, 8.10.2015 Ein Thema elektrisiert in diesen Tagen die Kreditwirtschaft wie kein zweites, und in den Debatten darüber schwingt von orwellschen Dystopien bis zur Angst vor einem regulatorischen Overkill...

Hinter dem EZB-Kreditregister stehen noch Fragezeichen

Von Bernd Neubacher, FrankfurtEin Thema elektrisiert in diesen Tagen die Kreditwirtschaft wie kein zweites, und in den Debatten darüber schwingt von orwellschen Dystopien bis zur Angst vor einem regulatorischen Overkill alles mit, was nicht nur Bankern Angst und Bange macht: Anacredit. Im Kern geht es um den Aufbau eines Kreditregisters, wie es in vielen Ländern besteht, auf europäischer Ebene bei der EZB. Nach Buchkrediten ab 2017 sollen dabei in späteren Stufen unter anderem auch Derivate sowie Wohnungsbaudarlehen erfasst werden.Weil aber zum Teil exotische Vorstellungen ventiliert werden und die Notenbank überdies die Branche noch weitgehend im Dunkeln tappen lässt, schießen die Spekulationen ins Kraut. So groß ist die Aufregung, dass bei EZB-Bankenaufsehern schon darauf hingewiesen wird, es handele sich um ein schon 2011, vor Start der europäischen Bankenaufsicht, in Angriff genommenes Projekt der Notenbank, dem die Aufseher bisher keine Anforderungen hinzugefügt hätten.Fest steht: Vor allem auf die deutschen Kreditinstitute kommt deutlich mehr Aufwand zu. Dass die in der deutschen Großkreditverordnung verankerte Meldeschwelle auch nach deren Reduktion um 500 000 Euro auf 1 Mill. im Sinne der europäischen Harmonisierung weiter würde sinken müssen, wenn die Meldeschwelle etwa für Privatschuldner in Spanien bei 6 000 Euro liegt, war indes frühzeitig abzusehen (vgl. BZ vom 31.12. 2013). Mit der nun favorisierten Meldeschwelle von 25 000 Euro geht die EZB nun nicht viel strenger vor als bisher die nationalen Aufseher. Auch handelt es sich um exakt denselben Schwellenwert, allerdings bezogen auf die Gesamtverschuldung, ab welchem schon 2003 die EU-Staaten Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Portugal und Spanien einen Austausch von Informationen über Kredite an international tätige Firmen vereinbarten.Neu ist freilich, dass es nun auch um national tätige Unternehmen geht sowie unter anderem um Forderungen von Versicherern sowie Leasing- und Factoringanbietern und später um anonymisierte Angaben zu privaten Wohnungsbaudarlehen. Allein bundesweit dürfte die Zahl der zu erfassenden Kredite laut Deutscher Bundesbank 50 bis 60 Millionen erreichen. Immer auf die KleinenDies trifft vor allem die Masse der kleinen unter den knapp 1 800 deutschen Kreditinstituten. Denn die Schwergewichte mussten der Aufsicht schon im Zuge des EZB-Bilanztests 2014 Daten in rauen Mengen liefern. Bei den Kleinen geht im Zweifel die Suche nach den Kreditakten dagegen bald erst richtig los. “Diesmal ist die Herausforderung größer”, sagt Bernhard Hein, der beim Bilanztest eine leitende Rolle für den Prüfer Ernst & Young (EY) wahrgenommen hatte, zum Vergleich mit dem Bilanztest. Hätten die Banken damals 50 Datenfelder pro Kredit liefern müssen, so seien es nun 122 bis 150, wobei sich die Schwankungsbreite damit erkläre, dass sich bestimmte Schlüsselfelder wiederholten.Er schätzt, dass Anacredit Banken im Mittel einen kleinen zweistelligen Millionenbetrag kosten dürfte. Der Aufwand sei dabei schwer zu beziffern, hätten Banken doch ohnehin einen größeren Bedarf in Sachen Dateninfrastruktur, den sie entweder in- oder außerhalb ihres Anacredit-Projekts erledigten, schränkt Hein ein. Vor allem seien die Banken darauf angewiesen, dass ihr Anbieter von Meldewesen-Diensten den mit Anacredit verbundenen Aufwand bewältigen könne. Die von den meisten Banken genutzten Standardsoftware-Lösungen lieferten großteils aggregierte Zahlen. Künftig aber sollen Daten zu einzelnen Transaktionen gefragt sein. Für notleidende Kredite gilt dabei schon eine Meldegrenze von 100 Euro, wie es auf der Website der Deutschen Bundesbank heißt.Ansonsten gilt: “Die Veröffentlichungslage ist relativ dünn”, wie Hein erklärt. So wird die Branche auf den schon für die Jahresmitte angekündigten Entwurf einer EZB-Verordnung zu Anacredit wohl noch etwas warten müssen. Die EU-Kommission hat sich dadurch freilich nicht gehindert gesehen, ihn bereits zu kommentieren – und “als möglicher künftiger Nutzer” der Datensätze anzuregen, “den Umfang der Datenerhebung zu erweitern und auch Daten zu Verbraucherkrediten zu erfassen”. Für Furore haben Überlegungen der Deutschen Bundesbank gesorgt, alle Forderungen ohne jede Meldeschwelle zu erfassen. Unter dem Aspekt des bürokratischen Aufwands könnte dies einfacher sein, noch sei dazu aber nichts entschieden, heißt es in der Zentralbank.Offen ist auch noch der Grad der Anonymität der persönlichen Daten von Schuldnern. Zwar stellte Ignazio Angeloni, Mitglied im Supervisory Board der EZB, im Interview der Börsen-Zeitung vor wenigen Tagen bereits klar, “dass nur die Namen juristischer Personen erfasst werden – nicht aber die Namen natürlicher Personen”. Unklarheit herrscht aber noch in der Frage, ob persönliche Daten schon auf Ebene der Banken oder erst durch die nationalen Aufseher, welche diese Daten der EZB weiterleiten, anonymisiert werden sollen. “Ich glaube, dass da noch längst nicht alle Details zum Thema des Datenschutzes geklärt sind”, sagt Hein.Ungeachtet einer nach wie vor dünnen Informationslage hält der EY-Partner es für durchaus angebracht, wenn Banken schon jetzt Vorstudien zu Anacredit starten. Schließlich sind für Mitte 2017 bereits die ersten Meldungen geplant, und aller bisherigen Erfahrung nach hat eine Verzögerung von Vorgaben auf Seiten der Aufseher nicht zur Folge, dass sich damit auch die Frist verschiebt, binnen derer Banken sie umsetzen müssen. Hausaufgaben der AufseherAuch die Aufsicht hat Hausaufgaben zu erledigen, etwa in der Frage, wie sie Konsortialkredite von in verschiedenen Ländern ansässigen Banken erfassen will. Vermutlich wolle die Aufsicht das vollständige Bild über Finanzierungsvorhaben mit verschiedenen beteiligten Banken aus den Datenlieferungen aller beteiligten Banken zusammensetzen, meint Hein: “Das kann nur dann funktionieren, wenn die Aufsicht für solche Finanzierungen jeweils eigene Identifikationsnummern vergibt.” Diese aber müssten die Banken zuvor erfragen, womit es bei Anacredit dann nicht mehr nur um einen Datentransfer von Banken an die Aufsicht, sondern auch von der Aufsicht an Banken gehe.Völlig in den Sternen steht auch noch, ob und inwieweit dereinst auch Banken auf die EZB-Daten Zugriff haben sollen, um sich etwa über die eurolandweite Verschuldung eines Firmenkunden zu informieren.Hinter dem Vorhaben Anacredit stehen damit noch eine Menge Fragezeichen. EZB und Deutsche Bundesbank sollten sie baldmöglichst beseitigen.