BANKENUNION

Hohe Schule der Sophistik

Angenommen, das Bundesverfassungsgericht hätte am Dienstag die europäische Bankenunion gekippt: Dass es wegen des Wegfalls der Haftungsgemeinschaft für Zombiebanken an den Märkten jetzt ziemlich turbulent zuginge, mag aus Karlsruher Sicht angehen....

Hohe Schule der Sophistik

Angenommen, das Bundesverfassungsgericht hätte am Dienstag die europäische Bankenunion gekippt: Dass es wegen des Wegfalls der Haftungsgemeinschaft für Zombiebanken an den Märkten jetzt ziemlich turbulent zuginge, mag aus Karlsruher Sicht angehen. Dass aber Europa noch tiefer in politische Kalamitäten geriete, als es nicht erst dank Brexit ohnehin der Fall ist, wollten die Roten Roben nicht riskieren. Also haben sie im Ergebnis einmal mehr politisch entschieden und sind damit der Linie ihrer “Krisen-Rechtsprechung” seit Beginn des Finanz- und Staatsschuldendesasters treu geblieben. Bei aller Unpässlichkeit, die ihnen dies bereitet, scheinen sie einen Clash mit der Politik unbedingt vermeiden zu wollen.Das Schöne an der Juristerei ist ja, dass im Zweifel kein Argument zu haarspalterisch ist, als dass man mit ihm nicht noch das bizarrste Ergebnis im Brustton der Überzeugung begründen könnte. In diesem Sinne zeigen die Richter im aktuellen Urteil die Hohe Schule der Sophistik. So hegen sie hinsichtlich der Ermächtigung des Abwicklungsgremiums Single Resolution Board “Bedenken”, verneinen aber “eine offensichtliche Kompetenzüberschreitung”. Auch die mit der Unabhängigkeit der Bankenaufseher “verbundene Absenkung des demokratischen Legitimationsniveaus” halten sie für “bedenklich” – immerhin! -, aber “noch hinnehmbar”.Hanebüchen wird es, wenn der Senat wissen lässt, die Verordnung über den einheitlichen Aufsichtsmechanismus übertrage der EZB die Bankenaufsicht in der Eurozone nicht vollständig, überschreite mithin “nicht in offensichtlicher Weise” die Ermächtigungsgrundlage des EU-Vertrages: Artikel 127 (6), an dem sich die Politik bei Etablierung der Bankenunion vergriffen hat. Schon auf der nächsten Seite verweisen die Richter dann selbst auf die jüngst ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen L-Bank gegen EZB, wonach der Zentralbank in der Bankenaufsicht “ausschließliche” Befugnisse eingeräumt worden seien. Doch dieser Widerspruch stört Karlsruhe nicht. Auch nicht die Tatsache, dass die EZB für sich reklamiert, die direkte Aufsicht auch über “weniger bedeutende” Institute jederzeit übernehmen zu dürfen.Als Beobachter muss man sich schon sehr verbiegen, um dieser Rabulistik folgen zu können. Aber keine Sorge: Auch wenn das höchste deutsche Gericht dereinst über eine europäische Einlagensicherung, die nächste Stufe der Bankenunion, zu entscheiden haben wird, sollte es an spitzfindigen Rechtfertigungen im Sinne der Politik nicht fehlen.